Seither lebt die Union den Menschen keine Union mehr vor, sondern zelebriert immer wieder von Neuem eine von Machtfragen und Überlebenstaktiken geprägte Dauerschlacht um die Meinungshoheit. Nichts erklärt besser, warum die Union keine Kraft mehr entfaltet. Dass Union und SPD mit dem Fall Maaßen und den nachfolgenden Kompromiss-Absurditäten in den Umfragen immer weiter abstürzen, überrascht nicht. Sie bieten genau das Schauspiel, das die AfD und ihre außerparlamentarischen Verbündeten herbeisehnen: Streit, Häme, Uneinigkeit, verbunden mit dem Eindruck, dass die Koalition ihren Aufgaben nicht mehr gewachsen ist.
Und wie lässt sich das lösen? Schwer zu sagen, aber auf der Suche nach einer Antwort könnte ein Blick nach Finnland helfen.
Von Finnland lernen? Jetzt? Für viele in Deutschland mag das merkwürdig, ja absurd erscheinen. Das Land ist doch viel kleiner; es hat doch eine ganz andere Geschichte, eine andere Mentalität. Die Einwände kann man haben. Aber das ändert nichts daran, dass ausgerechnet dieses Land mit seinen 5,5 Millionen Einwohnern in Kernfragen ein vortreffliches Vorbild sein kann.
Das liegt nicht so sehr an der Tatsache, dass das Land beinahe exakt gleich groß ist wie Deutschland und sein Pro-Kopf-Einkommen nahezu identisch. Es macht sich an der Frage fest, wie groß der Zusammenhalt ist und was Politik dafür tun kann. Wer das Land bereist, erlebt ziemlich schnell Faktoren, die ungewöhnlich sind und die Gesellschaft vergleichsweise zukunftsfähig machen.
Da ist das Vertrauen in den Staat; es ist ungebrochen und sehr groß; und da ist der Zusammenhalt in der Gesellschaft, auch er ist außergewöhnlich. Und das nicht, weil sich das Land einkapseln würde. Es gehört vielmehr zu den engsten Verfechtern eines solidarischen Europa. Und es lebt enorm davon, dass es seine Produkte weltweit verkaufen kann. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der das Land Anfang der Woche besuchte, stellte fest, dass er so viel Vertrauen in den Staat und seine Institutionen schon lange nicht mehr irgendwo erlebt hat. Da klang auch Neid mit an.
Wer sich nun umhört, woran das liegt, erhält zwei Antworten: Die Menschen fühlen sich gut aufgehoben, und sie haben das Gefühl, dass man in Finnland Herausforderungen immer wieder gemeinsam angeht. Gut aufgehoben fühlen sie sich, weil die Polizei gut ausgestattet und bezahlt wird - und weil die meisten Ressourcen in gute Schulen und Universitäten gesteckt werden. Die Folge: Die Menschen fühlen sich sicher und sie wissen, dass ihre Kinder sehr gute Chancen im Leben bekommen. Zwei elementare Pflichten des Staates werden sehr gut erfüllt, das erklärt vieles. Auch die Tatsache, dass Polizisten und Lehrer mit Abstand zu den beliebtesten Berufen gehören.
Hinzu kommt: Die Menschen erleben immer wieder, dass sowohl im praktischen Alltag als auch bei ungewöhnlichen Herausforderungen alle Kräfte zusammengeworfen werden. Man kann das bei Schulprojekten beobachten, wo Kommunen, Unternehmen und Schulen ohne jede Berührungsangst kooperieren. Und man kann es dort studieren, wo Universitäten, Städte und große wie kleine Unternehmen sich vernetzen, weil sie alleine nie die Ressourcen für die Digitalisierung erwirtschaften könnten.
Der Pragmatismus führt alle zusammen. Und das Zauberwort, das dabei wirkt, heißt Solidarisierung. In Finnland sitzt sie tief; den Deutschen droht sie abhanden zu kommen.