Süddeutsche Zeitung

Corona-Krisenstab:Viel geredet, wenig entschieden

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Die Ampel-Koalition will einen neuen Krisenstab einrichten. Wer sich die Bilanz des Vorgängers anschaut, versteht warum.

Von Georg Mascolo, Berlin

Manchmal ahnt ein Gremium sein eigenes Ende voraus, noch bevor es überhaupt offiziell beschlossen ist. Vor zwei Wochen trat der Corona-Krisenstab zu seiner 97. Sitzung zusammen, bereits nach dem ersten größeren Ausbruch in Deutschland im Februar 2020 war die Runde einberufen worden. Kein Krisenstab in der Geschichte der Republik tagte länger, und im Protokoll findet sich der Hinweis, dass man jetzt erst einmal weitermache. Aber natürlich entscheide die neue Bundesregierung "über Fortführung und konkrete Aufgaben". Die Einladungen für die nächste Sitzung am kommenden Dienstag sind bereits verschickt, es wäre die 99. Aber es ist unsicher, ob es zu dieser noch kommen wird.

Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages erklärte der voraussichtliche neue Bundeskanzler Olaf Scholz, dass es jetzt einen ganz anderen Krisenstab geben werde: größer, einflussreicher, von Wissenschaftlern beraten, unter der Federführung des Kanzleramtes - und vor allem unter Beteiligung der Bundesländer. Angela Merkel hat schon Zustimmung signalisiert, es könnte also sehr schnell gehen.

Im bisherigen Gremium trafen sich unter der Leitung von Innen- und Gesundheitsministerium Vertreter des Kanzleramtes und anderer Ministerien, sogar das Finanz- und das Verkehrsministerium entsandten Emissäre. Aber die Experten des Robert-Koch-Institutes wurden nur von Zeit zu Zeit als Gäste eingeladen. Es gehe jetzt darum, "ein ständiges professionelles Begleiten dieser Situation zu organisieren", erklärte Scholz. Der FDP-Politiker Volker Wissing nannte es "empörend", dass es ein solches Gremium bisher nicht gegeben habe. Die Grünen klingen ähnlich.

Sogar die Kanzlerin hat bis heute ihre eigene kleine Expertentruppe

Ein neuer, ein einflussreicherer Krisenstab ist eine gute Idee. Zu den Mysterien des deutschen Weges gehörte stets, warum Bund und Länder beim Auftauchen des Virus erst einmal alle bestehenden Pandemie-Regelungen ignorierten - etwa wissenschaftlichen Rat zu bündeln oder Bund-Länder-Vertreter in einer "Interministeriellen Koordinierungsgruppe" zusammenzubringen, um mit den zersplitterten Zuständigkeiten im Seuchenfall umzugehen. Die Idee stammt immerhin schon aus den Achtzigerjahren.

Der Krisenstab des Bundes aber tagte allein. Daneben entstanden zahllose Gremien, das entscheidende wurden die Beratungen der Kanzlerin mit den Länderchefs. Wissenschaftliche Beratung organisierte sich jedes Bundesland selbst - wer in den Runden sitzt, ist zumeist intransparent. Sogar die Kanzlerin hat bis heute ihre eigene kleine Truppe. Die Experten der Weltgesundheitsorganisation fragt übrigens kaum jemand einmal.

Aber zumindest ein Teil der Kritik am bisherigen Krisenstab ist auch ungerecht. Zur Argumentation der Ampel-Parteien gehört es jetzt, dass endlich alle Zahlen und Fakten zur Pandemie regelmäßig erhoben werden sollten. Das macht der Krisenstab in einem täglichen Lagebild, einem oft daumendicken Dossier, mit Impfquoten, Inzidenzen und der Auslastung der Intensivbetten in jedem Bundesland. Auch ein Blick auf die europäische und die weltweite Situation findet sich.

Das Papier ist als Verschlusssache eingestuft, aber der Empfängerkreis ist breit. Wer es in Bund und Ländern lesen will, kommt leicht daran. Eingeschränkter ist der Zugang zu den Protokollen der Runde. Sie liefern zahllose Belege, wie früh die sich zuspitzende Lage erkannt wurde; seit dem Spätsommer beginnen die Protokolle oft mit Sätzen wie diesem hier: "Die negative pandemische Entwicklung der Vorwochen setzt sich fort."

Aufgeschrieben wurde im Krisenstab viel. Gelesen wurde es immer weniger. Hinzu kam, dass selbst in dieser Runde die notwendige Einigkeit eines schnellen und entschlossenen Handelns nicht immer vorhanden war. Da war das Impfen: Bereits im Sommer zeichnete sich ab, dass die Bereitschaft zur Impfung zu schnell nachließ, die Zahlen waren zu niedrig. Der Krisenstab gründete die "Unterarbeitsgruppe Impfbereitschaft". Gerungen wurde um die Frage, ob man nur über "positive" oder auch über "negative" Impfanreize diskutieren solle. Nur werben also - oder den Druck erhöhen. Das Innenministerium war, das liegt nahe, für Druck. Und führte immer wieder das Beispiel der in Italien und Frankreich geltenden begrenzten Impfpflicht für medizinisches Personal an. Aber es fehlte an Einigkeit für diesen Schritt. Noch im Protokoll des Krisenstabes vom 26. Oktober steht dieser Satz: "Die UAG plädiert dafür, dieses Thema nicht weiter zu verfolgen, bis sich eine neue Bundesregierung konstituiert hat."

Selbst bei kleineren Fragen blieb es zäh. Da waren etwa die beunruhigenden Meldungen, dass immer mehr gefälschte Impfzertifikate auftauchen und dass eine mögliche Lücke im Strafgesetzbuch die Verfolgung und Ahndung erschwere. Aber das Justizministerium wollte der Entscheidung einer "neuen Hausleitung" nicht vorgreifen.

"Diese Wahl kommt ein Jahr zu früh."

Zuletzt war der Frust bei manchen im Krisenstab groß. Schon Wochen bevor sich im Land ein allgemeines Entsetzen über ein viel zu spätes Handeln der Politik breitmachte, berichteten Mitglieder von "einem Dé­jà-vu nach dem anderen". Wieder werde viel geredet, aber viel zu wenig entschieden. Einer sagte: "Diese Wahl kommt ein Jahr zu früh." Der Wahlkampf habe es unmöglich gemacht, früh über einschneidende Maßnahmen zu diskutieren und sie zu verabschieden.

In den letzten Sitzungen in diesem November entlud sich schon einmal aufgestauter Frust. Das Innenministerium klagte, "seit mind. acht Wochen" hätte man an Maßnahmen zur Erhöhung der Impfquote arbeiten können. Aber nichts sei passiert. Und ausgerechnet das Gesundheitsministerium, das lange jede Idee auch nur partieller Impfpflichten ablehnte, erklärte: "Für derartige Schritte habe bislang der politische Wille in DEU gefehlt."

Der neue Krisenstab soll nun einige der strukturellen Schwächen beseitigen, wissenschaftliche Beratung professionalisieren und vor allem jene Detailfragen vorberaten oder lösen, die die Bund-Länder-Schaltungen schon einmal zu ganztägigen Veranstaltungen machten. Ob es zu einem wirklich großen Schritt kommt, wird erst die genaue, noch nicht bekannte Struktur der neuen Runde zeigen. Und auch, ob nur Beamte oder auch politische Entscheidungsträger an den Sitzungen teilnehmen.

Zudem bleibt die Frage, ob Zuständigkeiten gebündelt werden: In diesen Tagen erinnert das Auftauchen einer neuen, der südafrikanischen Variante daran, dass eine Pandemie ein weltweites Ereignis ist. Zu glauben, dass man dies bewältigt, indem man nur auf Deutschland schaut, war schon immer falsch. Impfstoffe benötigt auch der Rest der Welt. Zur Frage der Produktion und der Abgabe von Vakzinen aber tagt in der Bundesregierung, wie könnte es anders sein, eine eigene Runde.

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