Wer Olaf Scholz fragt, wie er dieses oder jenes Problem zu lösen gedenkt, erhält als Antwort oft nur ein spitzbübisches Grinsen. Ich habe eine Idee, verrate sie aber nicht, bedeutet dieses Grienen in der Sprache des Bundeskanzlers, und: Ich mag zwar nicht der größte Kommunikator des Landes sein, dafür werden die Bürgerinnen und Bürger von mir aber solide und sachgerecht regiert. Scholz, der Macher, der wenig spricht, dafür aber umso erfolgreicher arbeitet – so sieht er sich selbst.
Dumm nur, dass der Kanzler nun erneut mit einer allzu trickreichen Idee gescheitert ist – und das ausgerechnet in einer Disziplin, die er zu seinen Kernkompetenzen zählt: der Finanzpolitik. Nach Ansicht gleich mehrerer Gutachter nämlich weist der Haushaltskompromiss, den Scholz Anfang Juli nach langem Streit mit Finanzminister Christian Lindner und Vizekanzler Robert Habeck vereinbart hatte, erhebliche verfassungsrechtliche Risiken auf. Im Fokus stehen dabei drei Maßnahmen, mit denen die Regierung die verbliebene Lücke im Etatentwurf von 17 auf neun Milliarden Euro verkleinern wollte und die ausgerechnet im Kanzleramt ersonnen worden waren: die Umwandlung von Zuschüssen an Bahn AG und Autobahn GmbH in Darlehen sowie die Umwidmung nicht genutzter Energiepreishilfen in allgemeine Haushaltsmittel.
Lindner hatte die Ideen von Beginn an als verfassungsrechtlich riskant bezeichnet und deshalb die Gutachter eingeschaltet. 2023 nämlich hatte das Bundesverfassungsgericht schon den Beschluss der Regierung kassiert, 60 Milliarden Euro an Krediten aus der Pandemiebekämpfung in Mittel zur Finanzierung der Energiewende umzuwidmen. Erfinder des Finanztricks: Olaf Scholz. Er hatte den Vorschlag, mit den Corona-Darlehen einen gut gefüllten Klimafonds neben dem regulären Etat einzurichten, während der Koalitionsverhandlungen eingebracht.
Die SPD-Spitze reagiert mit heftigen Attacken auf den Bundesfinanzminister
Wie aber geht die SPD damit um, dass Scholz nun erneut mit einem Kreativvorschlag gescheitert ist und Lindner deshalb von den Kabinettskollegen wie vom Parlament neue Sparvorschläge verlangt? Fraktionschef Rolf Mützenich und die Parteivorsitzende Saskia Esken lieferten am Freitag die Antwort: mit heftigen Attacken auf den Finanzminister. Dieser nämlich weigert sich weiterhin, der Forderung der SPD nach einer neuerlichen Aussetzung der Schuldenbremse wegen der Folgekosten des Ukrainekriegs nachzukommen und damit das Tor für eine Finanzierung zusätzlicher Investitionen über Kredite zu öffnen. Manche Genossen vermuten gar, Lindner wolle mit der rigiden Haltung das Ende der Koalition provozieren.
Weil der FDP-Chef den bereits vom Kabinett verabschiedeten Etatentwurf während der Beratungen im Bundestag noch einmal aufschnüren will, platzte Mützenich regelrecht der Kragen. „Es ist unverantwortlich und im Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative bei der Haushaltsaufstellung einmalig, wenn ein Teil der Bundesregierung die alleinige Verantwortung an das Parlament delegiert“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Zudem haben die Sozialdemokraten inhaltliche Fragen, denn die Expertise des Staatsrechtlers Johannes Hellermann lässt sich aus ihrer Sicht auch so auslegen, dass die Vorschläge des Kanzlers sehr wohl verfassungsgemäß gestaltet werden könnten.
Saskia Esken nennt Lindners Vorgehen jenseits der „Grenze des Erträglichen“
Lindners Bewertung des Gutachtens sei daher „auch in fachlicher Hinsicht eigenwillig“, sagte Esken vor Journalisten. „Dass er diese Bewertung aber ohne jede Abstimmung in der Regierung vornimmt und an einem Tag öffentlich macht, der von der Freilassung zahlreicher Menschen geprägt hätte sein sollen, die von Wladimir Putin zu Unrecht gefangen gehalten wurden – das ist rücksichtslos und überschreitet für mich die Grenze des Erträglichen in einer Koalition.“
Mützenich forderte die Regierung auf, beim „Haushalt zu einer kompetenten und einvernehmlichen Entscheidung“ zu kommen. Man könne Gesetzentwürfe nicht regelmäßig mit einem Sondervotum auf den Weg bringen oder vor den Beratungen Zweifel säen. Dabei sind die Aussagen des Fraktionschefs auch als Aufforderung an den eigenen Kanzler zu verstehen. Mützenich nämlich hatte Scholz mehrfach ermahnt, dass das Regierungshandwerk vor allem nach den Fehlern beim Heizungsgesetz und den über Nacht entschiedenen Subventionskürzungen für Landwirte besser werden müsse.
Bundesfinanzminister Christian Lindner verteidigte unterdessen am Freitagabend bei einer Wahlkampfveranstaltung in Brandenburg sein Vorgehen: Die Prüfaufträge seien Vorschläge des Kanzleramts gewesen – „die sind verfassungsrechtlich beziehungsweise auch ökonomisch nicht überzeugend, teilweise sogar riskant“, sagte er.
Auch die SPD-Wahlkämpfer in Sachsen und Thüringen, denen am 1. September schwierige Landtagswahlen bevorstehen, blicken nervös auf den Ampelstreit. Esken konnte sich davon bei einer Reise durch beide Bundesländer jetzt höchstselbst überzeugen: Aus Berlin, so bekam die SPD-Vorsitzende zu hören, komme weiterhin nur Gegen- statt Rückenwind.