Öffentlichkeitsarbeit:Aufklärung oder doch Werbung für die Minister?

Öffentlichkeitsarbeit: Screenshot aus einem Infovideo zur "kalten Progression" des Finanzministeriums von Christian Lindner.

Screenshot aus einem Infovideo zur "kalten Progression" des Finanzministeriums von Christian Lindner.

(Foto: Bundesfinanzministerium)

Die Bundesministerien geben Millionen für Broschüren und Erklärvideos aus. Der Bund der Steuerzahler übt Kritik.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Eine rothaarige Frau sitzt mit ihrer Katze am Schreibtisch und strahlt. "Eine Gehaltssteigerung, da hat sich Anna sehr gefreut", sagt eine Stimme aus dem Off. Bald aber strahlt Anna nicht mehr: Während eine Ananas und weitere Produkte im Supermarkt ihr Portemonnaie fressen, lernt sie, was "kalte Progression" ist - wenn nämlich die Inflation das Gehaltsplus zunichtemacht, man aber trotzdem mehr Steuern zahlen muss. Die Stimme aus dem Off tröstet sie: "Dagegen geht das Bundesfinanzministerium vor. Es passt die Steuersätze an die Inflation an."

Wer glaubt, dass es sich hierbei um einen Beitrag aus den Kindernachrichten handelt, kennt das Bundesfinanzministerium schlecht. Der Trickfilm-Clip gehört zur Reihe "Finanzisch für Anfänger", die das Ministerium seit Ende 2020 auf seiner Internetseite veröffentlicht. Ebenfalls im Angebot: die Videoformate "Einfach Fragen" und "CL erklärt", wobei "CL" für Christian Lindner steht, den Minister persönlich.

"Steuergeld für Hochglanzkampagnen mit fragwürdigen Effekten"?

Für das Ministerium fällt das unter "Öffentlichkeitsarbeit". Der Bund der Steuerzahler dagegen hat sich die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung genauer angesehen und findet, dass dieser Begriff inzwischen ziemlich weit ausgelegt wird.

Zwischen Broschüren und Berichten, Print-, Fernseh-, Online- und Außenwerbung, Internetseiten, Social Media und Imagefilmen bestehe die Gefahr, dass "motiviert durch den technologischen Wandel (...) freigiebig viel Steuergeld für Hochglanzkampagnen mit fragwürdigen Effekten" ausgegeben werde. Insgesamt betreibe die Regierung inklusive ihrer nachgeordneten Stellen beispielsweise mehr als 400 Social-Media-Accounts - plus 500 Accounts der Auslandsvertretungen.

Laut einem Zwölf-Seiten-Papier der Lobbyorganisation lagen die Ausgaben des Bundes für Werbe- und Kommunikationsagenturen im Jahr 2021 bei 67,2 Millionen Euro. 2017 waren es noch lediglich 42,4 Millionen Euro gewesen, nach einem Knick im Jahr 2018 sind die Ausgaben seither stetig gestiegen.

Rahmenverträge für die Zusammenarbeit mit Mediaagenturen werden vom Bundespresseamt verwaltet; allerdings können die Ministerien auch eigene Projekte ausschreiben. Jedes Ressort hat einen eigenen Haushaltstitel für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Zusammengenommen lagen diese Titel in den vergangenen zehn Jahren immer bei plus/minus 45 Millionen Euro - mit einem Hoch von 52,6 Millionen 2016 und einem Tief von 32 Millionen 2021. Für das laufende Jahr sind knapp 47 Millionen Euro vorgesehen. Nicht mitgezählt sind allerdings die Personalkosten für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit; der Steuerzahlerbund berichtet von 313 Planstellen in den Ressorts und gut 530 im Bundespresseamt.

Am meisten will das Arbeitsministerium für Öffentlichkeitsarbeit ausgeben

Darüber hinaus verstecken sich in den Einzeletats der Ministerien weitere Ausgaben, die ebenfalls Öffentlichkeitsarbeit sind, aber unter anderen Titeln laufen. Das erklärt auch, warum die addierten Öffentlichkeitsarbeitstitel niedriger sind als die ausgewiesenen Gesamtausgaben des Bundes für Werbe- und Kommunikationsagenturen. Ohnehin kommt zu all dem auch noch der Etat des Bundespresseamtes selbst hinzu.

Dem Papier des Steuerzahlerbundes zufolge plant das Ressort von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) dieses Jahr mit dem größten Etat für Öffentlichkeitsarbeit. Eine Ministeriumssprecherin sagt, dass "für Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit" insgesamt gut elf Millionen Euro zur Verfügung stünden. Vergangenes Jahr seien die größten Einzelpositionen die Ausgaben für den Bürgerservice inklusive eines Bürgertelefons gewesen, der Onlineauftritt des Ministeriums, die Social-Media-Kanäle und Veranstaltungen wie Bürgerdialoge, Fachkonferenzen oder der Tag der offenen Tür.

Regelmäßig veröffentlicht das Ministerium auch Videos über den dienstlichen Alltag des Ministers, etwa bei Betriebsbesuchen oder zu Themen wie der Mindestlohnerhöhung oder der Fachkräftesicherung. Laut Ministerium kostet ein Film zwischen 900 und 2900 Euro, plus Mehrwertsteuer. Der Renner der jüngeren Vergangenheit war das Video "12 Euro Mindestlohn: Respekt vor guter Arbeit", das vor allem über die Sozialen Medien fast 600 000 Mal angesehen wurde. "Investition in die Zukunft" war mit knapp 10 300 Views dagegen eher kein Blockbuster.

Lindners Finanzressort liegt mit 5,5 Millionen Euro für dieses Jahr laut Steuerzahlerbund auf Platz drei bei den Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit. Dort werden gleich drei Erklärformate des Hauses mit unterschiedlichen Ansätzen begründet. "Finanzisch für Anfänger" sei "für eine jüngere Zielgruppe", die sich über "grundlegende Begriffe der Finanz- und Steuerpolitik" informieren wolle. Bei "Einfach Fragen" würden dagegen Bürgerfragen vom Minister persönlich beantwortet.

Ist Bildungsarbeit durch Ministerien grundsätzlich fragwürdig?

Das Ministerium hat ausgerechnet, in welchem Verhältnis Kosten und Nutzung stehen. "Finanzisch für Anfänger" kostet demnach 7000 Euro je Folge und kommt im Schnitt auf 70 000 Aufrufe - macht zehn Cent je Aufruf. Bei "Einfach Fragen" sind es 1,5 Cent; das Format kostet 4000 bis 5500 Euro je Folge und erreicht laut Ministerium "weit über 300 000" Aufrufe.

Vergangenes Jahr hat das Finanzministerium darüber hinaus auch mit zwei Influencern zusammengearbeitet - auf Tiktok zu Begriffen der Finanzpolitik und auf mehreren Kanälen zur Finanzkriminalität. "Dabei sind jeweils Kosten von etwas über 12 000 Euro angefallen", so eine Sprecherin.

Der Steuerzahlerbund verfolgt als Lobby der Steuerzahler naturgemäß andere Interessen als die Ministerien und verweist deshalb auf das Bundesverfassungsgericht, wonach die Grenze zulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Regierung dort verlaufe, wo Werbung für oder Einflussnahme gegen einzelne im politischen Wettbewerb stehende Parteien oder Personen beginne.

Die Frage also ist: Wenn Lindner sein Lieblingsprojekt "Kalte Progression" via Social Media verbreitet und Heil das SPD-Wahlversprechen eines höheren Mindestlohns - sorgen die Minister dann für die gebotene Transparenz über das Regierungshandeln? Oder arbeiten sie am eigenen Image und dem ihrer Partei?

Wenig überraschend findet der Steuerzahlerbund Bildungsarbeit durch Ministerien grundsätzlich fragwürdig; genau wie Smartphone-Lernspiele aus dem Auswärtigen Amt und werbende Öffentlichkeitsarbeit für Gesetzesvorhaben schon vor den ersten Lesungen im Bundestag. Die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung, schreibt die Organisation, habe ausschließlich "der Information zur freien Willensbildung der Bevölkerung" zu dienen.

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