Einer, der selbst jahrelang für die SPD in Koalitionsrunden saß, mit der Union statt mit Grünen und FDP, formuliert den Zustand dieser Koalition so: „Die Ampel und ihre Akteure erinnern inzwischen an die Comicserie ‚Tom und Jerry‘, in der die Protagonisten immer weitermachen mit ihrer gegenseitigen Jagd, immer irrwitziger, und doch nicht sterben.“ Ratio, Verantwortung, Vertrauen und Autorität seien längst aufgebraucht. „Man macht einfach weiter, weil die Akteure zum echten Exit zu feige sind.“ Dabei sehne sich das Publikum längst nach einem anderen Stück, „mit einem neuen Spielleiter“.
Einer, der bisher unermüdlich an eine Zukunft der Ampel und an den Spielleiter Olaf Scholz glaubt, ist der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil. Er wirkt wie ein wandelnder Vermittlungsausschuss, der die Dinge beruhigen will. Wo seine Co-Vorsitzende Saskia Esken die Hütte brennen sieht, ist erkennbar, dass der Kanzler die Koalition retten und FDP-Chef Christian Lindner nicht hinauswerfen will. Helfen soll ihm dabei besonders Klingbeil, Architekt auch seines „Respekt“-Wahlkampfes 2021.
Klingbeil steht loyal zum Kanzler
Klingbeil, Esken, der neue Generalsekretär Matthias Miersch und Fraktionschef Rolf Mützenich waren Sonntagabend im Kanzlerabend, bevor es dann zum Vieraugengespräch zwischen Scholz und Lindner kam. Das Bild des am Weinglas nippenden Lindners, der dem Kanzler weit entfernt gegenübersitzt, gehört nun auch zum Fotoalbum dieser Koalition.
Auch wenn sich Klingbeil oft mehr Leidenschaft von Scholz wünschen würde, steht er loyal zu ihm, versucht auch stets, die Debatte um Boris Pistorius als Ersatzkandidat abzumoderieren. Und er muss nun den Laden zusammenhalten. In der Sitzung des SPD-Präsidiums wird am Montag gemahnt, auf die eigene Sprache zu achten, also sich zurückzuhalten bei öffentlichen Äußerungen.
Klingbeil betont explizit, dass es durchaus Einigungsmöglichkeiten bei Lindners 18-Seiten-Papier für eine Wirtschaftswende gebe: etwa die Vorschläge für weiteren Bürokratieabbau, womöglich auch bei Entlastungen für Unternehmen. Lindner hat nun öffentlich eigene Vorschläge der SPD eingefordert, aber die sind eigentlich bekannt.
Wegen der tiefen Krise bei VW, aber auch in der Stahlindustrie, will man bei den Energiepreisen etwas machen. Scholz schwebt ein Bundeszuschuss für die Übertragungsnetzentgelte vor, die sich verdoppelt haben, etwa wegen des Baus von Stromautobahnen, um Windstrom in den Süden zu bekommen. Schon vergangenes Jahr wollte die Bundesregierung die Netzentgelte mit 5,5 Milliarden Euro dämpfen – dann kam das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Haushalt und dieses Konstrukt nicht zum Tragen. Klingbeil hätte auch gerne einen Strompreisrabatt für die heimische Industrie.
Doch eine Überschreitung der Schuldenbremse?
In der SPD setzt man auf ein Einlenken Lindners an einer für ihn besonders heiklen Stelle. Der FDP-Chef und Finanzminister hatte vergangenes Jahr eingewilligt, dass er durchaus einen sogenannten Überschreitungsbeschluss mit Lockerung der Schuldenbremse mittragen würde – wenn sich die Lage grundlegend ändert. Das hat sie sich aus Sicht der Kanzlerpartei, denn die Wirtschaft schwächelt erheblich. Wenn sich nach der US-Präsidentschaftswahl an diesem Dienstag zudem ein Sieg von Donald Trump abzeichnen sollte, will man in jedem Fall diese Option diskutieren. Dann könnten etwa alle Kosten für die Ukraine-Unterstützung oder Konjunkturmaßnahmen von der Schuldenbremse ausgeklammert werden und so würden die Spielräume im Bundeshaushalt 2025 für alle drei Partner größer.
Klar ist aber auch, wo die SPD nicht mitgehen wird, bei Lindners Papier: Rentenkürzungen, eine Abschaffung des Soli auch für Spitzenverdiener, zudem hat Lindner sein Veto gegen die geplante Fassung des Tariftreuegesetzes angekündigt – wegen zu viel neuer Regulierung. Klingbeil sagte dazu in der ARD, was denn schlecht daran sei, wenn mehr Beschäftigte nach Tarif bezahlt würden. „Das ist ein bisschen neoliberale Ideologie.“ Klingbeil betonte dort auch: „Wir sind für vier Jahre gewählt.“ Das Land sei im Umbruch, die internationale Situation wirklich herausfordernd. Da müsse man sich schlicht zusammenraufen. Ständig dieses Hickhack in der Regierung, zu erleben, wie ein Koalitionspartner versuche, andere zu provozieren, „das macht doch keinen Spaß, das macht keinen Sinn“.
Er sagt aber auch, bei allem Einigungswillen, dass man gerüstet sei für Neuwahlen. „Das ist schon eine Woche der Entscheidung.“ Klingbeil gilt als einer, der in Prozessen denkt – und im Hinterkopf auch alle Eventualitäten parat hat. Als designierter Generalsekretär fragte er in einer internen Runde 2017, „was machen wir denn, wenn Jamaika scheitert“. Er schaute in fragende Gesichter, es gab keinen Plan dafür in der SPD. Als Christian Lindner diese Sondierungen mit Union und Grünen tatsächlich platzen ließ, stolperte die SPD völlig unvorbereitet in Verhandlungen über eine große Koalition – und die Partei zerriss es fast, weil man das eigentlich nicht nochmal wollte.
Erwartet wird, dass dem für 18 Uhr am Mittwoch angesetzten Koalitionsausschuss nach den vorherigen Runden von Scholz, Lindner und Robert Habeck etwas Schriftliches vorgelegt wird, über das sich dann alle beugen. Lindner hat klargemacht: Es müsse eine „Richtungsentscheidung“ geben. Sein wichtigster Berater Lars Feld sagt: Wenn SPD und Grüne der FDP weit genug entgegenkommen, müsse die Koalition nicht platzen.
Was weit genug ist, ist die Frage. Jener SPD-Stratege, der sich gut mit solchen Situationen auskennt, glaubt, dass es halten wird. Lindners Papier sei für ihn auch keine „Scheidungsurkunde“, sondern „ein Überlebenspapier“. Da rufe ein FDP-Chef von der Rettungsinsel, aus der langsam die Luft entweiche: „Hallo! Uns gibt’s noch!“ Seit Tagen werde nun über das Papier berichtet. Wann sei der FDP zuletzt so ein Coup gelungen?
Zugleich, das ist die Gegenmeinung, hat Lindner damit auch bereits ein klares eigenes, von der Wirtschaft gelobtes Programm für den Fall einer Neuwahl vorgelegt.