Bundesrechnungshof:31 Schachteln gratis

20,5 Milliarden

Euro Umsatz machte die deutsche Tabakindustrie nach eigenen Angaben im Jahr 2016. Darin enthalten sind 12,4 Milliarden Euro aus der Tabaksteuer. Der deutsche Markt ist mit rund 80 Milliarden versteuerten (und mehreren Milliarden als Schmuggelware unversteuert gekauften) Zigaretten der größte Westeuropas. 168 Milliarden Zigaretten wurden ausgeführt. In 25 Betrieben arbeiteten 9585 Beschäftigte. SZ

Knapp 10 000 Beschäftigte der Tabakindustrie erhalten monatlich 600 Zigaretten kostenlos, für die die Betriebe keine Steuern zahlen müssen. Der Bundestag will dieses Privileg der Tabak-Beschäftigten nun streichen.

Von Markus Grill, Berlin

Seit 29 Jahren macht sich der Bundesrechnungshof für die Abschaffung eines Privilegs der Zigarettenindustrie stark - bisher jedoch ohne Erfolg. Demnach können die knapp 10 000 Beschäftigten in der Tabakindustrie monatlich 600 Zigaretten kostenlos erhalten, für die die Betriebe auch keine Steuern zahlen müssen. Auf diese Weise entgehen dem Staat jährlich Steuereinnahmen in Höhe von sechs Millionen Euro, kritisiert der Rechnungshof in seinem aktuellen Bericht.

Doch diesem Privileg droht nun die Abschaffung. Am Freitag haben sich die Abgeordneten im Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestags einstimmig hinter die Forderung des Rechnungshofs gestellt und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) aufgefordert, diese Steuerbefreiung "kritisch zu überprüfen". Wörtlich heißt es in dem Beschluss: "Der Grundsatz der Steuergerechtigkeit und das von Deutschland unterzeichnete Rahmenabkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs sprechen für eine Aufhebung der Steuersubvention."

Die Gratis-Zigaretten für die Beschäftigten der Tabakindustrie wurden nach dem Ersten Weltkrieg eingeführt. Damals sollte der Tabakdiebstahl durch die eigenen Mitarbeiter verringert werden. Außerdem war es ein Mittel, um die geringe Entlohnung der Beschäftigten aufzubessern. Bis heute können Mitarbeiter von Tabakfirmen laut Tarifvertrag 600 Zigaretten gratis im Monat bekommen, was etwa 31 Schachteln entspricht. Die Packungen tragen die Aufschrift "Steuerfreies Deputat!". Weiterverkaufen dürfen die Mitarbeiter die Zigaretten offiziell nicht. In seinem aktuellen Bericht kritisiert der Rechnungshof aber: "Es ist nicht Aufgabe des Steuerzahlers, die Tabakindustrie vor Straftaten ihrer eigenen Beschäftigten zu schützen oder deren Arbeitsmotivation zu steigern." Mit der gleichen alten Begründung könne zum Beispiel auch der Einzelhandel Steuervergünstigungen fordern.

"Das Privileg ist aus der Zeit gefallen", kritisiert die Grünen-Abgeordnete Ekin Deligöz, Obfrau des Rechnungsprüfungsausschusses. "Wenn wir das Rauchen wirklich eindämmen wollen, müssen wir auch gegenüber der Zigarettenindustrie konsequent sein."

Normalerweise folgt der Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestags den Empfehlungen des Bundesrechnungshofes "in 98 Prozent der Fälle", wie eine Abgeordnete der Regierungskoalition erklärt, die selbst lange Mitglied dieses Gremiums war. Die Tabakentscheidung sei aber "eine heiße politische Kiste". Sie selbst sei froh, dass in ihrem Wahlkreis keine Zigarettenfirma sei.

Der Bundesrechnungshof hatte erstmals 1989 die Abschaffung des Privilegs gefordert. Er kritisiert, dass dem Staat seither mehr als 171 Millionen Euro an Steuern entgangen seien. Für den Deutschen Zigarettenverband (DZV) sind diese Zahlen "nicht nachvollziehbar", wie er auf Anfrage mitteilt. Er geht zudem davon aus, dass weit weniger als die knapp 10 000 Beschäftigten tatsächlich Anspruch auf die Freizigaretten haben, weil nur bestimmte Gruppen in den Herstellungsbetrieben "deputatberechtigt" seien. Jan Mücke, Chef der Zigaretten-Lobby DZV, geht außerdem davon aus, dass die nun diskutierte Abschaffung "aufgrund des verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht möglich" sei. Sonst müsste man auch zum Beispiel Mitarbeitern von Brauereien ihr Bier streichen. Denn auch auf dieses Bier zahlen die Brauereien keine Verbrauchsteuern.

Vermutlich deshalb hat der Ausschuss jetzt auch erst mal noch einen Bericht von Finanzminister Scholz angefordert, in welchen Branchen es vergleichbare Regelungen gebe. Scholz hat dafür ein Jahr Zeit.

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