Bundesrat:Blinde Kuh in Sachen Sicherheit

Eine Terror-Datei soll Anschläge verhindern - doch wie sie aussehen könnte, ist noch heftig umstritten. Die Zeit eilt und die Zusammenarbeit der Behörden ist mangelhaft.

Von Annette Ramelsberger

Es ist gerade einmal ein paar Wochen her, als deutsche Polizeibehörden eine Analyse in die Hände bekamen, die ihnen die Augen übergehen ließ: Mehr als 100 Männer waren da aufgelistet, die sich in Ausbildungslagern der Terrororganisation al-Qaida aufgehalten hatten, dazu ihr persönlicher Hintergrund, ihre Verbindungen.

Bundesrat: Unter uns: Islamistenführer Kaplan spielte mit der Polizei lange Katz und Maus.

Unter uns: Islamistenführer Kaplan spielte mit der Polizei lange Katz und Maus.

(Foto: Foto: dpa)

Alles Leute, die jetzt in Deutschland leben und vielleicht weiter für al-Qaida arbeiten. Die Liste hatten Bundesnachrichtendienst (BND) und Bundesverfassungsschutz (BfV) zusammengestellt - doch schön für sich behalten. Die Polizei sollte nichts erfahren. Erst auf geharnischte Intervention der Politik gelangten die brisanten Informationen doch noch an die Polizei.

Blinde-Kuh-Spiel gegen Terroristen

Dieses Beispiel ist nur eines von vielen, wie sich die deutschen Sicherheitsbehörden selbst Fesseln anlegen. Sie informieren sich nicht gegenseitig, sie halten Informationen zurück, sie spielen blinde Kuh.

Das Blinde-Kuh-Spiel ist teuer und gefährlich: Im Herbst 2003 hatte die bayerische Polizei bereits wochenlang mit größtem Aufwand einen islamistischen Gefährder überwacht, als man darauf stieß, dass ein norddeutscher Verfassungsschutz etwas über den Verdächtigen wusste - noch dazu viel mehr, als die Bayern zu hoffen gewagt hatten.

Damit solche Treffer künftig kein Zufall mehr sind, soll von Ende des Jahres an ein gemeinsames Lagezentrum von Bundeskriminalamt (BKA), BfV und BND in Berlin Warnungen und Hinweise aus aller Welt auswerten und die Länder zeitnah informieren. 80 BKA-Leute werde dort einsatzbereit sein sowie 15 Geheimdienstler.

Niedersachsen prescht vor

Herzstück ihrer Arbeit soll eine spezielle Terror-Datei werden, die allen Sicherheitsbehörden Zugriff auf das gemeinsame Wissen ermöglicht. Im Sommer hatte die Innenministerkonferenz den Auftrag für diese Datei gegeben, seitdem basteln Experten an dem komplizierten Werk.

Die Polizei hätte am liebsten alle Informationen, die es gibt, sofort abrufbar auf dem Schirm. Die Geheimdienste aber befürchten, dass ihre geheimen Quellen enttarnt werden, wenn die Polizei alles bekommt und die Erkenntnisse dann zwangsläufig in Ermittlungsakten landen - und dadurch bei den Anwälten der Verdächtigen.

In vielen Sitzungen haben sich die Experten einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe nun zusammengerauft. Nur Fundstellen sollen in der Datei verzeichnet werden, also nur das Aktenzeichen eines Vorgangs, die verdächtige Handynummer oder das Autokennzeichen und der Name, alles andere soll im direkten Austausch zwischen den Ämtern erfragt werden.

Der Datenfriedhof

Doch nun prescht der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) vor: Er legt im Bundesrat einen Gesetzentwurf vor, der eine viel weitergehende Datei vorsieht: möglichst viel Information, direkt abrufbar.

Blinde Kuh in Sachen Sicherheit

Und er will nicht nur zur Gewalt neigende Islamisten mit drin haben, sondern auch gleich die 28.000 Mitglieder der extremistischen türkischen Vereinigung Milli Görüs. "Ein Datenfriedhof", stöhnt da der nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens (SPD). "Ein Kompromiss, dem alle zustimmen können", sagt dagegen Schünemann.

Bundesrat: Vorbild Bayern: Innenminister Beckstein.

Vorbild Bayern: Innenminister Beckstein.

(Foto: Foto: dpa)

Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) unterstützt den Kollegen: "Wir wollen den Zeitdruck verstärken. Hier hat der Bund jahrelang eine Lösung versäumt." Auch Beckstein will eine Volltextdatei und hält den bisher gefundenen Kompromiss nur für einen nicht befriedigenden kleinsten gemeinsamen Nenner.

"Hier geht es nur darum, den Wanderpokal des starken Max zu kriegen", sagt dagegen der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck.

Stundenlang niemand erreichbar

Im Bundesrat könnte der Vorstoß Niedersachsens am heutigen Freitag durchgehen, für die Kooperation der Innenminister ist er nicht gerade förderlich: "Das torpediert die gute Zusammenarbeit in der Innenministerkonferenz", heißt es aus Nordrhein-Westfalen.

Und unter den Fachleuten bei der Polizei stöhnt man: "Wir waren doch schon so weit. Das wirft uns zurück." Der Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Ernst Uhrlau, warnt davor, die neue Datei zu überfrachten: "Die Datei ist kein Allheilmittel. Wer nicht miteinander redet, der wird auch nichts erfahren."

Eine Datei ist nicht alles, es müssen auch neue Strukturen entstehen. Als kurz vor Silvester in Hamburg die Warnung einging, zwei Islamisten planten einen Anschlag auf das Bundeswehrkrankenhaus, da konnten die Hamburger Behörden stundenlang niemand erreichen, der ihnen eine verlässliche Auskunft gab: Was war dran an der Warnung? Wie ernst musste man sie nehmen? Was veranlassen?

"Besser gleich Radio hören"

Die Hamburger entschieden sich, vorsorglich das Krankenhaus abzusperren. "Überreaktion", mussten sie sich später anhören. Doch insgeheim wussten die Verantwortlichen in anderen Städten, dass sie kaum andere Möglichkeiten gehabt hätten als Hamburg. "Wir hätten bei einem solchen Wissensstand genauso gehandelt", sagt der Niedersachse Schünemann.

Er erinnert sich, dass auch nach dem Anschlag von Madrid am 11.März erst mal völlige Verwirrung unter Deutschlands Sicherheitsbehörden herrschte: "In der Schaltkonferenz der Innenminister nach dem Anschlag ging der Bund immer noch von einer Tat der spanischen ETA aus und nicht von Islamisten. Da war es besser, Radio zu hören, als auf die Einschätzung der Nachrichtendienste zu vertrauen."

Schon jetzt haben viele Verantwortliche in Bund und Ländern Angst vor den Fragen danach - dann, wenn wirklich etwas passiert ist. Warum sie ihre Informationen nicht stärker vernetzt haben, warum sie nicht schneller arbeiten? Jeden Monat erreichen Hunderte von Warnhinweisen die Behörden.

"In drei Stunden kanllt es"

Das hört sich dann auch mal so an: "In der U-Bahn von Berlin soll es in drei Stunden knallen." Oder: "Zwei islamistische Gewalttäter sind mit falschen Pässen nach Deutschland eingereist." Die Angaben zu Namen und Orten sind oft widersprüchlich. Je schneller die Information abgeklärt wird, desto sicherer für die Bevölkerung.

Doch die Zusammenarbeit geschieht in Zeitlupe. Nur alle zwei Wochen kommen Experten von Bundeskriminalamt, Bundesverfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst in einem so genannten Information Board zusammen, um sich auszutauschen. Über Computer vernetzt sind sie nicht.

Auch Anfragen beim Bundesamt für Verfassungsschutz dauern noch immer viel zu lange: "Die Reaktionszeit dort liegt bei acht oder neun Wochen - da kriegen Sie schneller eine Baugenehmigung", mokiert sich ein Landesverfassungsschützer, der wieder mal lange gewartet hat. Freitag nach eins ist dort ohnehin nicht mehr viel zu erwarten.

Antiquierte Systeme

Im Sommer haben sich die süddeutschen Verfassungsschützer in einer internen Analyse heftig darüber beklagt, dass noch nicht einmal die verfassungsschutz-interne Arbeitsdatei über islamistische Mudschahedin ordentlich bestückt werde. Auch Polizei oder BND könnten nicht darauf zugreifen. Überhaupt sei das Nadis-System des Verfassungsschutzes "antiquiert" und müsse grundlegend modernisiert werden.

Viele Ämter sind auch viel zu klein angesichts der neuen Bedrohung. In Ländern wie dem Saarland, Thüringen oder Bremen sitzen oft nur "30, 40 Hanseln", spottet ein Verfassungsschützer. "Da kennen die Überwachten doch nach zwei Wochen jedes Observationsteam persönlich."

Auch in größeren Ländern wie Niedersachen sind es nur 230 Beamte, die für den Verfassungsschutz arbeiten, in Berlin mit seiner vielfältigen extremistischen Szene sind es gerade 190. "Ab 300 Leuten können Sie so ein Amt professionell gestalten", sagt der Chef eines westlichen Landesamtes. Nur die großen Ämter in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gelten als leistungsstark.

Gegen die Rechten im Osten, gegen Islamisten im Westen

Das weiß natürlich auch Innenminister Otto Schily (SPD), der immer wieder mit Fusionswünschen an die Länder herantritt. Schon haben Bremen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachen darüber nachgedacht, ob sie nicht einen "Küstenverbund" beim Verfassungsschutz hinbekommen.

Der Grüne Beck findet, sechs bis acht Verfassungsschutzämter bundesweit reichten aus. Regional kooperieren - das scheint der Trend zu sein. Schon wird vorgeschlagen, die ostdeutschen Ämter könnten sich auf den Rechtsextremismus konzentrieren, die westdeutschen auf den Islamismus.

Warum soll etwa Sachsen seine Leute für eine Linksaußen-Splittergruppe abstellen, wenn die Neonazis viel dringender beobachtet werden müssen? Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit bot diese Woche die Radikallösung an: Der Bund solle den Berliner Verfassungsschutz gleich ganz übernehmen. Offenbar ist dem klammen Berlin alles Recht - Hauptsache, es muss nicht selbst bezahlen.

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