Bundespräsidentschaft:Super-Siggi, Teil 3

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Merkel spricht von einer "Entscheidung der Vernunft". Wem wird sie nutzen? Endlich mal dem SPD-Chef? Doch wieder der Kanzlerin?

(Foto: Markus Schreiber/AP)

Der SPD-Vorsitzende Gabriel ist für Bruchlandungen ebenso zuständig wie für die eine oder andere Sternstunde: Die Kür Frank-Walter Steinmeiers, und was aus ihr folgt.

Von Nico Fried, Christoph Hickmann und Robert Roßmann

In Würde zu gewinnen ist schwerer als in Würde zu verlieren. Sigmar Gabriel macht das gut im Moment seines großen Erfolges. Kurz nach elf Uhr ist es am Montag, als er vor die Presse tritt, im Gesicht sein übliches Lächeln gegenüber Journalisten, das stets zwischen Freundlichkeit und Spott changiert. Er spricht leise. Er spricht über alle anderen, nur nicht über sich selbst. Sigmar Gabriel feiert feierlich.

Der SPD-Vorsitzende preist Frank-Walter Steinmeier. Er sei der richtige Mann für Frieden und sozialen Zusammenhalt. Gabriel bedankt sich bei Joachim Gauck für dessen Arbeit. Dann würdigt der Vizekanzler die Verständigung in der großen Koalition. Das Lob ist an CDU und CSU gerichtet, die diese Personalie nun mittragen. Denn das ist ja schon eine große Überraschung, ach was, eine Sensation ist das. Wie er es geschafft habe, Angela Merkel und Horst Seehofer zu überzeugen, wird Gabriel gefragt. "Ich habe gar nichts geschafft, Frank-Walter Steinmeier hat mit seiner Persönlichkeit überzeugt." Er könnte wohl vor Stolz platzen, dieser Sigmar Gabriel, der es allen gezeigt hat, den Miesmachern und Zweiflern, den Skeptikern und Kritikern.

Aber wie schön: Er platzt nicht.

Angela Merkel sagt lange nichts in der Öffentlichkeit. Sie muss sich erst dem CDU-Präsidium erklären, dann dem Parteivorstand. Davor und danach: Termine. Zum Beispiel ein Besuch bei der Jugendfeuerwehr im Wedding.

Den jungen Kollegen Spahn erinnert Merkel ein wenig an die Sache mit der Wahlarithmetik

In der Schaltkonferenz der CDU-Spitze mosert nur einer rum. Jens Spahn verweist darauf, dass sich die Union in der Koalition schon länger nicht entsprechend ihrer prozentualen Größe durchsetze. Und nachdem Bulgarien und Moldawien eben russlandfreundliche Präsidenten gewählt hätten, finde er es kein gutes Signal, mit Steinmeier noch einen hinterherzuschieben, ätzt der Finanzstaatssekretär. Merkel erinnert Spahn, Jahrgang 1980, an die Regierung Helmut Schmidts nach 1976, als die Union mal 48 Prozent gehabt und trotzdem in der Opposition gesessen habe.

Steinmeier zu unterstützen, das sei eine "von der Vernunft geleitete Entscheidung" gewesen, so die Kanzlerin. Vernunft - das ist die Eigenschaft, die ja noch immer einige Deutsche so schätzen an ihrer Kanzlerin. In diesem Fall aber heißt Vernunft vor allem, dass Merkel gerade noch rechtzeitig erkannt hat, wann das Spiel verloren ist. Es wird später Wolfgang Schäuble sein, der dann noch die Schuldfrage thematisiert, aber das dauert noch ein wenig. Sieger Gabriel, Verliererin Merkel. Aber was heißt das in Zeiten wie diesen? Wird es der Kanzlerin schaden, dem SPD-Chef nützen? Gabriel hat schon Joachim Gauck mit erfunden, genützt hat es ihm wenig. Merkel hat schon mal bei einer Präsidentenkür verloren, geschadet hat es ihr nicht.

Und ist angesichts des Mannes, der in Amerika Präsident wird, nicht die Frage, wer in Deutschland Präsident wird, viel bedeutender als die Frage, wie er es wird? Gabriel und - notgedrungen - Merkel üben jetzt die große Gemeinsamkeit bei der Kür des Staatsoberhaupts. Gemeinsam aber ist ihnen vor allem die Ambivalenz, die sie in diesen Tagen umgibt: Merkel, die nach der Wahl von Donald Trump so selbstbewusst aufgetreten ist, westliche Werte verteidigte und einem künftigen US-Präsidenten Bedingungen diktierte, das ist jetzt dieselbe Kanzlerin, die keinen eigenen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten hat. Gabriel wiederum, der Triumphator, stark wie lange nicht mehr in der SPD - aber auch stark genug für eine Kanzlerkandidatur? Ist dieser Sieg über Merkel sein erster oder sein einziger?

Vor genau sieben Jahren übernahm Gabriel den SPD-Vorsitz. Seither hat es viele Wahlsiege in den Ländern gegeben, 2013 eine Niederlage bei der Bundestagswahl, diverse Kurswechsel, viele miese Umfrageergebnisse und Scharmützel mit Generalsekretärinnen oder Juso-Chefinnen. Aber auch genau drei Sternstunden.

Wendig genug auch die unorthodoxen Spielzüge hinzulegen

Die erste lieferte Gabriel vor seiner Wahl zum Chef, als er beim Parteitag im November 2009 einer auf 23 Prozent abgestürzten, gedemütigten SPD mit seiner bisher besten Rede so etwas wie Mut zurückgab. Die zweite Sternstunde folgte vier Jahre später, als er die SPD in die große Koalition führte, inklusive Mindestlohn und Rente mit 63, wovon kaum ein Genosse vorher zu träumen gewagt hätte. Am Montag erlebt die SPD die dritte Sternstunde.

Frank-Walter Steinmeier soll Bundespräsident werden. Dank Sigmar Gabriel. Gemeinsam ist diesen Großtaten, dass Gabriel sie jeweils aus beinahe aussichtsloser Position vollbracht hat. Vor seiner legendären Parteitagsrede sprach einiges dafür, dass die SPD an der Niederlage zerbrechen könnte. Vor dem Gang in die große Koalition waren sich Ende 2013 die meisten Großdeuter einig, dass ein weiteres Bündnis mit der Union die SPD eher früher als später zerreißen würde. Auch wurden wieder Köpfe geschüttelt, als Gabriel vor drei Wochen vorpreschte und Steinmeier als Kandidaten vorschlug. Unabgesprochen. Ohne eine Mehrheit. Einfach mal so. Der Siggi. Du fasst es nicht. Aber wenn es eng wird, wenn nichts mehr geht, bewahrt der sonst ruhelose Vizekanzler offensichtlich eine Ruhe, die anderen Mitspielern abgeht. Und er ist wendig genug, in solchen Situationen auch die unorthodoxen Spielzüge hinzulegen, oder, besser gesagt: sich auch mal selbst zu widersprechen.

Als vor ein paar Jahren die erste Kandidatur Joachim Gaucks für das Amt des Bundespräsidenten gescheitert war, berauschte sich Gabriel an der Idee, auch künftig unabhängige, überparteiliche Kandidaten für das höchste Amt im Staat zu suchen. Über Christian Wulff, der damals zunächst Präsident wurde, hatte er gelästert, dieser bringe nur "eine politische Laufbahn" mit in seine Kandidatur, während es bei Gauck "ein Leben" sei.

Auf wen würde der Ausspruch von der politischen Laufbahn besser passen als auf den Karrierebeamten und spätberufenen Politiker Frank-Walter Steinmeier?

Steinmeiers Bedächtigkeit empfand er als eine Beamtenhaftigkeit

Dessen Verhältnis zu Gabriel war lange Zeit höchstens durchwachsen. Von 2009 bis 2013 führte Steinmeier die SPD-Bundestagsfraktion. Damals regierte Schwarz-Gelb, Steinmeier war somit Oppositionsführer, zumindest formal. Während er auch in dieser Rolle stets besonnen agierte, übernahm Gabriel als Parteichef immer wieder die Rolle des obersten Angreifers. Steinmeiers Bedächtigkeit empfand er als eine Beamtenhaftigkeit, die ihn zwischendurch rasend machte. Umgekehrt hatte Steinmeier bald die Nase voll von den zuweilen unabgesprochenen Vorstößen des Parteivorsitzenden. Nun hat Gabriel mit einem dieser gefürchteten Vorstöße ausgerechnet diesen Steinmeier wohl zum Bundespräsidenten gemacht.

Da jubelten am Montag allenthalben auch jene zahlreichen Gabriel-Skeptiker, die es in der SPD nun einmal gibt. Müsste also einer, dem so etwas gelingt, der in diesem Jahr so viele Klippen umschifft hat, von den Landtagswahlen im Frühjahr bis zu den Landtagswahlen im Herbst, müsste so einer nicht automatisch Kanzlerkandidat sein? Ja, einerseits. Andererseits: Man redet hier über Sigmar Gabriel.

Und der zögert und zweifelt. Weil er zwar die Veranlagung hat, nach Erfolgen früher oder später doch ziemlich breitbeinig daherzukommen, weil er aber auch die Vorbehalte kennt, die es in der eigenen Partei gegen ihn gibt und auch in der Bevölkerung. Weil er weiß, dass er Vertrauen bei den meisten Wählern allenfalls eingeschränkt genießt. Es ist also denkbar, dass Gabriel, der Sieger der Stunde, seinen Erfolg nutzt, um aus einer Position der Stärke heraus jemand anderem den Vortritt zu lassen. Andererseits: Man weiß nicht, was der Steinmeier-Coup mit ihm und seinem Innenleben macht. Vielleicht wächst ja doch noch einmal die Lust, es allen zu zeigen.

Kein Showdown. Die Mehrheit muss sicher sein

Merkel äußert sich erst spät am Montagnachmittag. "Ungewöhnlich eng" arbeite sie mit Steinmeier zusammen, vor allem in der Ukraine-Krise. Da habe man sich gut kennengelernt, sagt Merkel, was man angesichts mancher Differenz in der Russland-Politik so und so verstehen kann. Diese Zweideutigkeit passt ganz gut. Merkel und Steinmeier, noch so ein kompliziertes Verhältnis. Vier Jahre miteinander in der großen Koalition, dann vier Jahre gegeneinander, als die SPD mit dem Kanzlerkandidaten Steinmeier in die Opposition gestürzt war. Nun wieder seit drei Jahren miteinander. Merkel und Steinmeier, das war stets Distanz und Nähe. Sie wissen, was sie aneinander haben. Und was nicht. Sie schätzen sich, weil sie sich einschätzen können.

Im April meldet Der Spiegel, die Kanzlerin werde eine Kandidatur Steinmeiers als Bundespräsident nicht unterstützen. Die Begründung ist nicht persönlich, sondern politisch: Der Sozialdemokrat sei in der Union nicht durchsetzbar. Damit nimmt sich die Kanzlerin in die Pflicht, jemanden in den eigenen Reihen zu finden. Doch Merkel, von der es sonst heißt, sie denke stets vom Ende her, findet in dieser Frage noch nicht einmal den rechten Anfang.

Wen immer sie fragt, und CSU-Chef Horst Seehofer berichtet am Montag, es seien "sehr viele" Gespräche geführt worden, innerhalb der Union und auch außerhalb: Merkel hat niemanden vorzuweisen. Dazu dürfte nach Gabriels Vorstoß zugunsten Steinmeiers die Aussicht mit beigetragen haben, gegen den populären Außenminister anzutreten und eine Niederlage zu kassieren. Einen Showdown in der Bundesversammlung am 18. Februar will auch Merkel nicht. Die Mehrheit muss sicher sein.

All das Gerede und die Kommentare zu einer offenen, die Demokratie belebenden Abstimmung beeindrucken Merkel nicht die Bohne. Ihre Erfahrung lehrt sie, dass solche Appelle genau so lange halten, bis ihr Kandidat verliert. Dann wäre es doch wieder ihre persönliche Niederlage, verbunden mit dem Spott jener, die eben noch eine offene Demokratie forderten, dazu mit einem beschädigten Minister oder Ministerpräsidenten der CDU. Und das alles nicht zehn Monate vor der Bundestagswahl, wie jetzt, sondern sieben. Merkel wägt Interessen kühl ab. Auch deshalb wird Steinmeier Bundespräsident.

Schäuble ist sehr sauer auf die CSU

In die letzte Kurve ist die Union vergangene Woche mit einer Sitzung der Spitzen von CSU-Landtagsfraktion und CSU-Landesgruppe im Bundestag gegangen. Das ist ein traditionelles Treffen, und diesmal testet Horst Seehofer die Stimmung unter seinen Leuten in der Bundespräsidentenfrage. Die ist nicht gut. Man liege, schimpft einer, gegen die SPD schon 0:3 hinten.

Vor allem aber lernt Seehofer, dass seine Leute lieber Steinmeier akzeptieren, als einen Grünen wählen würden. Sie wollen die Grünen nicht als Verbündete, sondern als Feind. Als Merkel vergangene Woche den Versuch unternimmt, doch noch Winfried Kretschmann zu gewinnen, signalisiert Seehofer ihr: Das läuft nicht.

In der CDU-Schaltkonferenz am Montag greift Merkel eine beliebte Floskel von Wolfgang Schäuble auf. Der, so die Kanzlerin, würde sagen: "Es isch, wie's isch." Daraufhin meldet sich Schäuble selbst. Er ärgert sich. Die Nominierung Steinmeiers sei "eine Niederlage" für die Union gewesen. Aber Schäuble sagt auch, wen er dafür mit verantwortlich macht: Durch die Art, wie die CSU sich benehme, sei die CDU nicht handlungsfähig, ereifert sich Schäuble. Das geht gegen Seehofer. Aber schön ist es für Merkel auch nicht gerade.

Am Mittwoch werden Merkel, Seehofer und Gabriel ihren Kandidaten gemeinsam in Berlin präsentieren. Bei Gauck 2012 war es ja ganz ähnlich. Man könnte sogar sagen, dass Merkel und Seehofer schon so etwas wie Routine darin haben, mit freundlichem Gesicht und blumigen Worten Bundespräsidenten vorzuschlagen, die sie eigentlich nicht wollten. Eine Niederlage ist eben immer auch das, was man daraus macht. Am Donnerstag kann Merkel wieder ganz Kanzlerin sein. Da kommt der scheidende Präsident Barack Obama nach Deutschland. Er, der jetzt viel toller wirkt, als er jemals war, wird Merkel preisen. Und einen Tag später stoßen noch drei wichtige Staats- und Regierungschefs dazu. Schließlich muss sich Merkel jetzt noch mehr um Außenpolitik kümmern, da sie ihren bewährten Außenminister verliert. Sie wird wohl auch diese Niederlage überstehen.

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