Süddeutsche Zeitung

Bundespräsidentenwahl: Rechenbeispiele:Was wäre wenn?

Hat Joachim Gauck bei der Bundesversammlung überhaupt eine Chance? Ein Rechenbeispiel.

Lars Langenau

Die Nominierung von Joachim Gauck gilt Beobachtern als einer der geschicktesten Schachzüge der SPD und Grünen in den vergangenen Jahren. Gauck gilt als eher konservativ, obwohl er für das "linke" Lager antritt und beeindruckt allein schon durch seine Biographie. Würde ihn das Volk direkt wählen, hätte er wohl eine Mehrheit sicher. Doch das Volk wählt ihn nicht, sondern die Bundesversammlung, die größte parlamentarische Versammlung der Bundesrepublik.

Zwar hat Schwarz-Gelb anders als bei der Wiederwahl von Horst Köhler vor einem Jahr diesmal eine klare absolute Mehrheit in der 14. Bundesversammlung, aber es gibt ein paar Unwägbarkeiten. Zur Wahl des neuen Staatsoberhauptes sind 1244 Personen aufgerufen: 622 Bundestagsabgeordnete und 622 Delegierte aus den Bundesländern, darunter Landtagsabgeordnete sowie Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Für einen Sieg im ersten oder zweiten Wahlgang ist die absolute Mehrheit von 623 Stimmen erforderlich. Bleiben zwei Wahlgänge ergebnislos, genügt im dritten die einfache Mehrheit.

Union und FDP verfügen über 644 Sitze in dem Gremium. Damit hat ihr Kandidat Christian Wulff einen komfortablen Vorsprung von 21 Stimmen über der absoluten Mehrheit. Einige FDP-Wahlmänner aus den Ländern haben aber bereits angekündigt, für Joachim Gauck zu stimmen.

SPD und Grüne stellen 462 Wahlleute. Gauck kann darüber hinaus mit der Stimme des SSW-Delegierten aus Schleswig-Holstein und Unterstützung von den Freien Wählern aus Bayern rechnen, die zehn Wahlleute stellen. Rechnet man die in Gänze einfach mal Gauck hinzu, verfügt Rot-Grün über 473 Stimmen. Plus den liberalen Stimmen, die FDP-Parteichef Guido Westerwelle auf "drei, vier, vielleicht fünf" schätzt, wären es möglicherweise 478 Gauck-Stimmen. Höchstwahrscheinlich sind es jedoch allein sieben FDP-Landespolitiker aus dem Osten, plus einen aus Berlin und noch andere "Wackelkandidaten" aus dem Westen. Summa summarum zehn FDP-Abweichler, anstatt fünf, wie von Westerwelle behauptet. Macht zusammen 483.

Nicht genug. Rechnet man noch ein paar Stimmen aus dem Lager der Union hinzu, die sich der Argumentation von Kurt Biedenkopf und den Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Roman Herzog nach einer "Freigabe" des Stimmverhaltens anschließen und laut ihrem Gewissen zu Gauck tendieren, käme dieser vielleicht auf fünfzehn weitere Stimmen von CDU und CSU. Macht, theoretisch, 498 Stimmen. Reicht immer noch nicht.

Zumindest nicht ohne die Linke. Und die verfügt über 124 Sitze - schickt aber eine eigene Kandidatin in die Wahl, die Bundestagsabgeordnete Luc Jochimsen. Sollte Wulff die absolute Mehrheit in den ersten beiden Wahlgängen verpassen, haben einige Wahlleute der Linkspartei ihre Unterstützung für Gauck im dritten Wahlgang in Aussicht gestellt. Die Parteispitze hat dies hingegen kategorisch ausgeschlossen. Sollte sich die Linkspartei entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch noch im letzten Moment für Gauck entscheiden, immerhin gibt es heute Nachmittag noch einen "Höflichkeitsbesuch" von ihm in der Fraktion, wären es 622 Stimmen.

Lassen wir einmal die drei NPD-Stimmen weg, und zieht man 15 Stimmen von der Union und zehn Stimmen der Liberalen aus dem schwarz-gelben Block ab, dann reduziert sich die Anzahl auf 619 Stimmen. Gauck hätte dann 622 Stimmen und Wulff nur 619. Hätte, wohlgemerkt.

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