Süddeutsche Zeitung

Bundespräsidentenwahl in Österreich:Van der Bellen muss Gräben zuschütten

Bei aller spürbaren Erleichterung wird auf der Wahlparty in Wien klar: Die große Herausforderung für den neuen Bundespräsidenten wird es sein, ein gespaltenes Land wieder zu einen.

Von Paul Munzinger, Wien

Um Viertel nach sechs erreicht Alexander Van der Bellen an diesem Wahlabend die Wiener Hofburg, als Sieger. "Wie fühlen Sie sich?", ruft ihm eine Stimme auf englisch entgegen, die irgendwo aus der Wand von Kameras und Mikrofonen kommt. "Great", antwortet Van der Bellen.

"Sie haben gewonnen", insistiert die Stimme etwas einfallslos. "Wir haben wieder gewonnen", korrigiert Van der Bellen. Österreichs nächster Bundespräsident neigt weiß Gott nicht zum Triumphgeheul. Aber er ist auch keiner, der den eigenen Sieg kleiner reden will, als er ist. Van der Bellen hat den Vorsprung aus der später annullierten Wahl im Mai ja nicht nur verteidigt, er hat ihn ausgebaut: von 30 000 auf mehr als 300 000 Stimmen.

Wahl liefert keine allgemeingültigen Antworten

Er hat kräftig zugelegt, wo es ihm viele nicht zugetraut haben: auf dem Land. Und er verweigert sich auch der Deutung nicht, dass seine Wahl über Österreich hinaus ein Zeichen ist: ein Zeichen, dass ein Kandidat auch im Jahr 2016 mit einem Pro-EU-Kurs und ohne lautes Getöse eine Wahl gewinnen kann. Von Wien aus, sagt er, gehe an diesem Tag "ein rot-weiß-rotes Signal der Hoffnung und der positiven Veränderung durch Europa". "Wir haben Europa und der Welt gezeigt, dass es möglich ist", wird er später auf der Wahlparty sagen.

Es waren die entscheidenden Fragen dieser Präsidentschaftswahl: Wem nützt der fast einjährige Dauerwahlkampf, wem schadet er? Wer profitiert von den Großereignissen, die die Welt seit Mai erschüttert haben, dem Brexit im Juni, der Wahl von Donald Trump im November? Oder entscheidet am Ende doch die Müdigkeit des Wahlvolkes, das nach Vorwahl, Stichwahl, Wahlanfechtung, Wahlwiederholung, Wahlverschiebung einfach keine Lust mehr hat?

Die Österreicher haben zumindest auf diese Frage am Sonntag eine klare Antwort gegeben: Die Wahlbeteiligung stieg im Vergleich zum Mai. Und insbesondere Van der Bellen ist es gelungen, seine Wähler davon zu überzeugen, noch einmal zur Wahl zu gehen. 98 Prozent der Menschen, die ihm im Mai schon ihre Stimme gegeben hatten, wählten ihn erneut, dazu kamen noch 77 000 frühere Hofer-Wähler. Diese Wahl hat nicht für Verdrossenheit gesorgt. Sie hat mobilisiert, auch weil sie polarisiert hat.

Immer wieder hat Van der Bellen, der einstige Grünen-Chef, darauf verwiesen, welch breite, überparteiliche Bewegung in den vergangenen Monaten um ihn herum entstanden sei. Wie viel Unterstützung er aus allen Bereichen der Gesellschaft erhalten habe, aus der SPÖ, aus der ÖVP, von Prominenten und Künstlern. "Wir haben gewonnen", mit diesem kurzen Satz eröffnet er dann am späten Abend auch seine kurze Rede auf der Wahlparty in den Wiener Sofien-Sälen, es klingt jetzt eher nach Erleichterung und Erschöpfung als nach Genugtuung.

Gräben aus dem Wahlkampf müssen überwunden werden

Erleichterung ist auch das Wort, das man von den Menschen hier am häufigsten hört. Stundenlang haben Hunderte Anhänger und Wahlkampfhelfer auf Van der Bellen gewartet. Viele junge Leute sind gekommen, einige tragen "Öbama"-T-Shirts mit dem Konterfei des künftigen Präsidenten, in der Menge sieht man mehr Regenbogenflaggen als Rot-Weiß-Rot.

Die große Herausforderung für Van der Bellen besteht darin, auch der Präsident derjenigen zu sein, die an diesem Abend nicht da sind: Der Landbewohner, der Arbeiter, der weniger Gebildeten, der Österreicher, die pessimistisch in die Zukunft sehen. Nahezu die Hälfte der Bevölkerung hat ja auch bei dieser Wahl Norbert Hofer ihre Stimme gegeben, trotz der oft schmutzigen Kampagne der FPÖ. Van der Bellen wird Gräben zuschütten müssen, die im Wahlkampf aufgerissen wurden.

Wie schwer diese Aufgabe wird, darüber herrschen an diesem Abend unterschiedliche Ansichten. Alexandra Cech, PR-Beraterin aus Wien, glaubt, dass es sehr schwierig werde, das gespaltene Land wieder zu vereinen. Zu konträr seien die Meinungen. "Dass ein Mann das alleine kann, bezweifle ich", sagt sie. "Da sind wir alle gefragt." Niki Scherak, Parlamentsabgeordneter der liberalen Neos, glaubt, dass die Gräben gar nicht so tief seien, wie behauptet werde. Viele hätten Hofer aus Protest gewählt, und dass es Unzufriedenheit in der österreichischen Bevölkerung gebe, sei nachvollziehbar. "Die Annahme, dass 46 Prozent der Österreicher Rechtspopulisten sind, ist einfach falsch."

Sechs Jahre hat Alexander Van der Bellen nun Zeit, der Präsident aller Österreicher zu werden. Norbert Hofer hat schon angekündigt, dass er beim nächsten Mal gerne wieder antreten würde.

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