Süddeutsche Zeitung

Bundespräsidentenwahl:"Gesine ist hilfsbereit und kritisch"

Im geordneten Berliner Westen stellt sich Gesine Schwan einer Diskussionsrunde mit Oberstufenschülern. Wenigstens die kann sie von sich überzeugen.

Jonas Reese, Berlin

Blühende Bäume säumen den Bürgersteig der wenig befahrenen Berliner Goßlarstraße. Blank geputzte Mittelklassewagen stehen Stoßstange an Stoßstange an der Seite der Allee und führen zum prächtigen Eingangsportal der Paul-Natorp-Oberschule. Ein schmucker Erker mit großen Toren laden ein in diesen riesigen Bau aus der Jugendstil-Epoche.

Weit weg ist der soziale Brennpunkt Neukölln mit seiner Rütli-Schule. An der Paul-Natorp-Oberschule, eine früheres Mädchengymnasium, gibt es sogar Italienisch und Informatik-Leistungskurse.

Drinnen, im Musiksaal im zweiten Stock sitzen ungefähr 60 Mädchen und Jungen aus Geschichts- und Politik-Leistungskursen in Stuhlkreisen und lauschen gebannt. Hoher Besuch ist da: Gesine Schwan ist zu Gast.

Gesine Schwan hat sich mehr als zwei Schulstunden Zeit genommen, um hier für "Demokratie zu werben", so drückt sie es aus. Gleichzeitig ist das Gymnasium aber auch eine Station auf ihrer vermeintlichen Wahlkampftour, um möglichst viele Delegierte der Bundesversammlung von sich zu überzeugen. Sie hat den Kampf noch nicht aufgegeben, am 23. Mai gegen Horst Köhler zu gewinnen. Bis dahin betreibt sie direkte und indirekte Überzeugungsarbeit.

Hier in Friedenau ist es eher indirekter Wahlkampf. Vier Kamerateams stehen vor den beiden Tischen, an deren einem Ende Gesine Schwan sitzt und ihr gegenüber Janusz, Alisa und Janine. Sie sind die Moderatoren der Runde.

Die erste Frage zielt auf die Politikverdrossenheit in der deutschen Gesellschaft. Wie wolle Frau Schwan das denn ändern, falls sie Bundespräsidentin wird, so die erste Frage. Eine gute Frage, auch für Schwan, denn damit kann sie gleich punkten. Genau deswegen sei sie ja hier, sagt sie. "Das, was wir hier machen ist Demokratie." Das leuchtet allen ein. Und so als ob Schwan die Gunst der Anfangsminuten nutzen wollte fügt sie hinzu: "Wenn ich hier so in die Runde schaue, dann ist von Politikverdrossenheit nichts zu spüren."

Das stimmt. Es ist ruhig. Keiner schwatzt. Keiner schreibt SMS. Alle verfolgen konzentriert die ausschweifenden Argumentationsketten der möglichen nächsten Bundespräsidentin. Die Fragen sind clever und zeugen von umfangreichem politischen Wissen. Alle im Saal sind jedoch auch allesamt Leistungskursler. Machen mit beim freiwilligen Debattierclub und lesen täglich Zeitung. Die anderen, die Politik-Legastheniker, die Desinteressierten, die Verdrossenen mussten draußen bleiben.

"Europa ist ein riesiger Gewinn"

In dieser wohlwollenden Atmosphäre philosophiert Schwan dann über die Rolle des Staates in Zeiten der Finanzkrise, wiederholt und erklärt ständig das Wort "Demokratie" und bezieht Stellung zur Einheitsschule. Schnell bemerken auch die Schüler, dass Schwans Methode immer die Gleiche ist: In einem leicht professoralen Ton verschleiert sie Meinung und Fachwissen, um zum Standpunkt mit dem größtmöglichen Zuspruch zu kommen. So fallen Sätze wie "Der Staat darf sich nicht überall einmischen, aber er muss die Grenzen festlegen", "Ich bin unzufrieden mit der Demokratie" oder "Europa ist ein riesiger Gewinn".

Klar, dass die Schüler daraufhin die Unterschiede zum jetzigen Amtsinhaber Köhler wissen wollen: Gilt er doch vielen als zu weich und opportunistisch. Schwan begegnet diesem Versuch mit einem schon bekannten diplomatischen Ausweichmanöver: "Da musst Du schon selber draufkommen." Damit erkennen auch die Letzten im Saal: Schwan hat das nötige diplomatische Talent für das Amt des Bundespräsidenten.

Als Bundespräsidentin wolle Sie den demokratischen Prozess deutlich machen, kritische Fragen anregen und wichtige Anstöße geben, sagt Schwan. Sie wolle so sein wie es auch schon auf ihrem ersten Schulzeugnis vermerkt war: "Gesine ist hilfsbereit und kritisch."

Dass ihr das gelingt, bestätigt Janusz Hüsges, einer der Moderatoren nach der Veranstaltung. "Herzlich, dynamisch, kritisch" charakterisiert er seine Gesprächspartnerin heute. "Für eine Bundespräsidentin hat sie prima Qualitäten."

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