Süddeutsche Zeitung

Bundespräsidentenwahl:Die Direktwahl des Bundespräsidenten wäre das falsche Mittel

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Das Staatsoberhaupt vom Volk wählen zu lassen, klingt sympathisch. Doch für Bürgerbeteiligung gibt es bessere Gelegenheiten.

Kommentar von Heribert Prantl

Die Forderung, grundsätzliche Dinge vom Volk entscheiden zu lassen, gehört zu den Forderungen, die in einer Demokratie grundsätzlich sympathisch sind. Die Argumente, die gegen Plebiszite und Volksabstimmungen angeführt werden, klingen ja oft so, als bestünde das Volk aus Halbidioten, die man vor sich selber schützen müsse.

Weil sich diese skeptische Betrachtung streng genommen auch aufs allgemeine Wahlrecht erstrecken müsste, gestehen die Gegner von Plebiszit und Volksabstimmung dem Volk alle paar Jahre einen lichten Augenblick zu: just dann, wenn es um die Bestätigung der politischen Repräsentanten geht. Aber mehr, so heißt es, soll bitte nicht sein; ein Mehr an Demokratie gefährde die Demokratie. Eine solche Argumentation ist darauf aus, die Angst des Volks vor sich selbst zu wecken; sie kann so nicht richtig sein.

Die Forderung, den Bundespräsidenten künftig nicht von den 1 260 Wahlleuten der Bundesversammlung, sondern vom Volk wählen zu lassen, also von potentiell 62 Millionen Wahlberechtigen, klingt deshalb erst einmal sympathisch. Die Forderung wird in den Umfragen von siebzig Prozent der Bundesbürger geteilt; darin spiegelt sich sowohl die Lust auf mehr Demokratie, die bei Personalia besonders groß ist, als auch Ärger darüber, dass die Kandidaten fürs höchste Staatsamt auf undurchsichtige Weise ausgekungelt werden. Aber die Direktwahl wäre das falsche Mittel, dem Ärger Luft zu geben; dann wären die neuen Probleme größer als die, die man damit abstellen will.

Direktwahl nicht mit dem Grundgesetz vereinbar

Nicht alles was zunächst sympathisch klingt, ist auch richtig. Es ist so: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben sich gegen ein Präsidenten-Regierungssystem entschieden. Und die Erfahrungen, die man derzeit in der Türkei, in Polen und in anderen Staaten Osteuropas damit macht, sind nicht geeignet, näher an ein solches Regierungssystem heranzurücken. Die Direktwahl des Präsidenten würde die Gewichte im parlamentarischen System ein Stück weit in Richtung auf ein präsidentielles System rücken.

Deutschland hätte dann einen direkt gewählten Präsidenten, der aber nach der Grundgesetz wenig zu sagen hat, weniger als der in Österreich - der aber, weil er nun einmal direkt gewählt wurde, darauf bestehen würde, dass er die Richtlinien der Politik mitbestimmen darf. Die Machtbalance würde schwieriger. Das gilt erst recht dann, wenn man dem Präsidenten neue Kompetenzen gäbe. Welche eigentlich?

Die deutschen Erfahrungen sind nicht gut: Hindenburg hat mit der Kraft des volksgewählten Reichspräsidenten die Legitimität der Weimarer Republik durch Notverordnungen ausgehöhlt. Die schmalen Kompetenzen des Bundespräsidenten waren die Lehre, die der Parlamentarische Rat 1948/49 daraus zog.

Man wollte dem direkt gewählten Parlament keinen direkt gewählten Bundespräsidenten entgegensetzen. Die Zurückhaltung war so groß, dass überlegt wurde, auf ein Staatsoberhaupt ganz zu verzichten und dessen Funktionen dem Präsidenten des Bundestags oder dem des Bundesverfassungsgerichts zu übertragen - was auch keine ganz schlechte Lösung wäre.

Für mehr Bürgerbeteiligung gibt es wichtigere und bessere Gelegenheiten: Volksentscheide auf Bundesebene. Wer bei dieser Forderung aufschreit, weil er AfD und Co fürchtet, verwechselt Ursache und Wirkung. Das grassierende Gefühl, dass "die da oben eh machen, was sie wollen", ein Gefühl, das zu Politikverdrossenheit und Politikverachtung geführt hat, hätte sich nicht so gefährlich ausgebreitet, wenn es Plebiszite gäbe.

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SZ vom 11.06.2016
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