Bundespräsident:Zur Lage der Nation

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Sieben auf einen Streich: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier tauscht sich virtuell mit seinen Bürgern aus. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Frank-Walter Steinmeier tauscht sich mit fünf Frauen und zwei Männern aus, die besonders von der Pandemie betroffen sind. Die Unterhaltung wird schnell emotional.

Von Anika Blatz, München

Der Bundespräsident hat viele Fragen an die Bürger. "Mich interessiert: Wie ist Ihre Lage? Wie viel Angst haben Sie persönlich um Ihre Gesundheit? Hat sich das im Laufe der Pandemie geändert? Welche Wirkung und welche Nebenwirkungen haben die Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens auf Ihre Arbeit, auf Ihren Alltag? Was macht Ihnen Sorgen, was Hoffnung?"

Das alles will Frank-Walter Steinmeier in der "Bürgerlage" wissen, einer neuen digitalen Gesprächsreihe. Er unterhält sich mit sieben Menschen, die in Bereichen tätig sind, die von der Corona-Pandemie besonders stark betroffen sind. Sie arbeiten in Schulen, Altenheimen, in Gastronomie und Hotellerie, im Kulturbereich oder ehrenamtlich für Menschen, die besonders unter der Pandemie und den Einschränkungen des öffentlichen Lebens leiden. Dennoch hat Steinmeier gleich klargestellt, dass er letztere für unvermeidlich hält: "Die Lage in Deutschland ist bitterernst: Hohe Infektionszahlen, viele Todesopfer. Es ist offenkundig: Wir müssen unsere Anstrengungen deutlich verstärken."

Die "Bürgerlage" folgt auf die "Kaffeetafel"

Eineinhalb Stunden nimmt sich der Bundespräsident in der Auftaktveranstaltung am Freitagvormittag für die fünf Frauen und zwei Männer Zeit, die er wegen der Pandemie nicht persönlich, sondern mittels Videoschalte ins Schloss Bellevue geholt hat. Den Livestream verfolgen kann jeder, sogar Fragen, die von der Diskussionsrunde aufgegriffen werden, können die Zuschauer schriftlich stellen.

Es ist nicht das erste Format des Bundespräsidenten, um mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen. Schon seit Sommer 2018 lädt er regelmäßig an seine "Kaffeetafel". Das Besondere an der "Bürgerlage": Mit den meisten seiner Gesprächspartner hat Steinmeier schon Kontakt gehabt, etwa mit der Altenpflegerin Gaby Weber, die in Bremen in einer Pflegeeinrichtung arbeitet und mit der er im Frühjahr bereits telefoniert hatte, um sich ein Bild über die Lage vor Ort zu machen, oder mit Hotelinhaberin Katrin Andres aus Freyung in Bayern, in deren familiengeführtem Hotel der Bundespräsident im Rahmen seiner Reihe "Land in Sicht" schon einmal übernachtet hatte. Außerdem soll die digitale Runde bis auf Weiteres beibehalten und regelmäßig einmal im Monat in gleicher Besetzung fortgesetzt werden. So erfährt Steinmeier, was sich getan hat und was besser werden muss.

"Wir sind am Ende angelangt, es geht nicht mehr"

Die Unterhaltung fließt von Anfang an, es wird auch emotional. So etwa, wenn Birgit Brandtscheit, die in Zerbst/Anhalt in Sachsen-Anhalt eine Kindertafel eingerichtet hat, erzählt, dass Kinder mit Tränen in den Augen vor der Tür ihrer Einrichtung stehen, die sie aber fortschicken muss, weil die Abstandsregeln nicht eingehalten werden können. Oder wenn Katrin Andres sagt, dass ihre gesamte im Hotelgewerbe tätige Familie mit Perspektivlosigkeit, Existenzangst und Planungsunsicherheit zu kämpfen hat. "Es ist fast aussichtslos. Wir sind am Ende angelangt, es geht nicht mehr", sagt sie mit Blick auf die von der Regierung zwar zugesicherten, aber immer noch nicht gezahlten Novemberhilfen. Und die Dezemberhilfe könne man heute, am 11. Dezember, noch nicht einmal beantragen. Hier zeigt sich dann auch der praktische Nutzen eines solchen Austauschs: "Das Gespräch, das wir heute führen, ist nicht ganz schädlich für die Beschleunigung der Zahlungen", sagt Steinmeier schmunzelnd.

Aber nicht nur darum geht es bei dem Dialog. Steinmeier hört aufmerksam zu. Immer wieder stellt er Rückfragen und zeigt Verständnis für die Enttäuschung der Menschen. Im Frühjahr seien wir alle beseelt gewesen von dem Gedanken, dass wir die Lage in den Griff bekommen, wenn wir alles richtig machten, sagt er, und die Gesprächsrunde nickt, "klar, dass wir jetzt alle enttäuscht sind, dass es trotzdem zur zweiten Welle gekommen ist." In der zweiten Januarhälfte soll die "Bürgerlage" fortgesetzt werden.

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