Bundespräsident Wulff unter Druck:"Innerhalb von 48 Stunden muss ein Befreiungsschlag her"

Das Presseecho auf die Wutanrufe von Christian Wulff ist verheerend. Doch die Medienwelt ist nicht identisch mit der Realität, meint Politikwissenschafter Langguth. Politologe Oberreuter glaubt, dass der Bundespräsident sich noch einmal erklären muss - und zwar schnell.

Kathrin Haimerl und Oliver Das Gupta

Muss Christian Wulff zurücktreten? "Er kann Präsident bleiben", sagt Gerd Langguth. "Ich würde Konsequenzen nicht ausschließen", sagt Heinrich Oberreuter. Die Süddeutsche Zeitung fragte die beiden Politikwissenschaftler, wie sie die seit Wochen schwelende Affäre um das deutsche Staatsoberhaupt bewerten. Lob erhält Wulff weder von Oberreuter noch von Langguth, so aussichtslos wie viele Medien die Situation des Präsidenten bewerten, sehen sie die Lage für ihn allerdings nicht.

Pressekonferenz Bundespräsident Christian Wulff

Bundespräsident Christian Wulff am 22. Dezember 2011 während einer Pressekonferenz im Schloss Bellevue in Berlin.

(Foto: dpa)

Oberreuter glaubt, dass Wulff sich ein zweites Mal erklären muss - und zwar schnell: "Im Lauf der nächsten 48 Stunden muss ein ordentlicher Befreiungsschlag her", so der ehemalige Direktor der Akademie für Politische Bildung im oberbayerischen Tutzing. Wulff müsse an seine Weihnachtsansprache anknüpfen - und zwar an seine Aussage zum Respekt vor der Pressefreiheit. Diese müsste er in den Mittelpunkt einer solchen Erklärung stellen, müsste das, was er Bild-Chefredakteur Kai Diekmann mitgeteilt hat, der Öffentlichkeit gegenüber wiederholen. Zugleich müsse er glaubhaft anerkennen, dass für ihn als Vertreter eines solch hohen Staatsamts höhere moralische Maßstäbe gelten als für einen Privatbürger.

Ob eine solche Erklärung allerdings "heilende Kraft" entfalten würde, hänge auch davon ab, ob die Öffentlichkeit diese Buße akzeptiere, sagt Oberreuter. Bislang mache der Niedersachse eine äußerst schlechte Figur: Wulffs Krisenmanagement sei von einer "staatsoberhäuptlichen Unprofessionalität" geprägt. "Dass auch die Erklärung kurz vor Weihnachten nicht in der Lage war, die Situation zu beruhigen, zeigt, dass er tief in der Klemme steckt."

"Medienhatz auf den ehrbaren Bundespräsidenten"

Dem Präsident sei es nicht gelungen, den Stil zu wechseln, meint Oberreuter. Wulff habe einen Großteil seines Lebens unter der "Käseglocke der Parteipolitik verbracht", er habe die Rolle des "erreg- und erzürnbaren Parteipolitikers mit der des Bundespräsidenten" verwechselt.

Allerdings sei die öffentliche Stimmung Oberreuters Einschätzung zufolge keineswegs so Anti-Wulff, wie dies in der aktuellen Berichterstattung den Anschein mache. Die Demoskopie habe andere Werte zutage gefördert. Vielen ging die "Medienhatz auf den ehrbaren Bundespräsidenten" bislang zu weit. Allerdings räumte Oberreuter ein, dass es noch keine Umfragen nach den Wutanruf gebe, sodass nicht klar sei, wie sich Wulffs Drohung gegen die Bild-Zeitung auf die öffentliche Meinung auswirke.

Ähnlich sieht es auch der Bonner Politologe Gerd Langguth. "Die journalistische Welt ist nicht immer identisch mit der Realität", sagt der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete zur SZ. Die Mehrheit der Deutschen liebe ihre Präsidenten. Dieser Umstand erkläre auch die nach wie vor hohen Sympathiewerte, die meisten lehnten seinen Rücktritt nach Bekanntwerden der Kreditaffäre ab.

"Solch ein Aussetzer ist noch keine Bedrohung der Pressefreiheit"

Neben den Zustimmungswerten in der Bevölkerung nennt der Wissenschaftler noch weitere Faktoren, die darauf hindeuten, dass der angeschlagene Präsident sein Amt behalten wird. "Momentan haben weder die Kanzlerin noch SPD-Chef Gabriel Interesse, dass der Präsident zurücktritt", sagt Langguth und erinnert daran, dass Gabriel wortgewaltig vor einer Staatskrise warnte.

Zudem handele es sich bei Wulff eher um moralisch-ethische denn um justiziable Vorwürfe. Auch andere Bundespräsidenten hätten trotz Affären im Amt bleiben können, so Langguth mit Blick auf Johannes Rau. Der sei von der Flugaffäre eingeholt worden, die juristisch viel gravierender gewesen sei als das, was Wulff vorgeworfen werde.

Aus dem schwarz-gelben Lager war der Sozialdemokrat Rau damals hart angegangen worden, unter anderem von Wulff, seinen Rücktritt forderte. Rau war nach Beginn seinem Einzug ins Schloss Bellevue vorgeworfen worden, als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident auf Kosten der Westdeutschen Landesbank (WestLB) gereist zu sein. Rau musste aber seine Angaben mehrfach korrigieren. Trotz des Wirbels sei Rau aber ein würdiges und anerkanntes Staatsoberhaupt geblieben, so Langguth: "Die Chance, als geachteter Präsident seine Amtszeit zu beenden, hat auch Wulff."

Den Anruf des Bundespräsidenten bei Bild-Chefredakteur Kai Diekmann bezeichnet Langguth zwar als "äußerst ungeschickt". Es sei unerklärlich, dass solch ein Wutausbruch einem routinierten Medienprofi wie Wulff passiere. Langguth betont aber, dass von der auf Band gesprochenen Nachricht Wulffs bislang nur "Gesprächsfetzen" veröffentlicht sind und weist auf "die persönliche Verbindung zwischen Diekmann und Wulff" hin, die zeitweise "sehr positiv" gewesen zu sein scheint.

Zugleich rät Langguth aber zur verbalen Abrüstung: "Solch ein Aussetzer ist noch keine Bedrohung der Pressefreiheit, auch ein Bundespräsident darf mal danebenliegen." Zu hoch solle man den Vorfall auch nicht hängen angesichts der Begleitumstände: Langguth erinnert daran, dass Bild die erste Geschichte über Wulffs umstrittenen Kredit just dann publizierte, als der Bundespräsident im Ausland weilte. Kritik übt der Politologe auch am aktuellen Verhalten der Bild-Zeitung: Wulff habe sich für einen Anruf entschuldigt und damit schien für ihn die Sache erledigt zu sein. "Dass solch ein vertrauliches und eigentlich geklärtes Telefonat nach mehreren Wochen plötzlich hochkommt, ist schon denkwürdig."

Das verheerende Medienecho auf Wulffs Interventionsversuche sei verständlich. Wer sich mit einem Presseorgan anlege, erfahre breite Solidarität bei anderen Medien. Dies zeige auch ein Fall in der jüngeren Vergangenheit: Als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) einen Interview-Boykott für die Bild-Zeitung verkündete, brach ein Sturm der Entrüstung los.

Doch anders als bei Schröder geht es im aktuellen Fall nicht um Parteipolitik und Wahlkampf, sondern um das Oberhaupt der Republik und um die oft beschworene Würde des Amtes. Aus Sicht von Oberreuter bestätigt der Fall Wulff einen Trend, den der Politologe seit Jahrzehnten beobachte - und zwar der Verlust eines "generellen, parteiübergreifenden Respekts vor den Institutionen".

Dennoch sei das Amt des Bundespräsidenten, das über den Parteien das Gemeinwesen repräsentiere, nach wie vor zeitgemäß. Gäbe es dieses Amt nicht, bliebe alles "dem Wechselspiel der politischen Tagesmeinungen unterworfen".

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