Süddeutsche Zeitung

Bundespräsident in der Kritik:Christian Wulff - ein Schweiger im Amt

Christian Wulff hatte es schon als Kandidat schwer. Seit seiner Wahl gelingt dem Bundespräsidenten kaum etwas: Urlaub im Luxusdomizil, Brabbelei in der Causa Sarrazin und Schweigen zur Integration. 80 Tage nach Amtsantritt sucht der CDU-Politiker noch.

Thorsten Denkler

Es geschieht wenige Tage, bevor die Bundesversammlung einen Nachfolger für den zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler bestimmt. Christian Wulff reist. Der Noch-Ministerpräsident von Niedersachsen ist aussichtsreichster Kandidat, und auf der Sommertour durch sein Land geht es natürlich immer wieder um die Kandidatur des CDU-Politikers.

Dass er Bundespräsident werden will, gut und schön. Aber: Warum eigentlich? Welche Vision verbindet er damit? Was will er mit dem Amt anstellen? So lauten die Fragen der Journalisten.

Sein Gegenkandidat Joachim Gauck hätte dazu einiges zu sagen gewusst. Er hat viel gesprochen über sein Lebensthema, die Freiheit, die Verbindung seiner DDR-Biographie mit dem, was das vereinte Deutschland ihm gebracht hat. Und was die nachfolgenden Generationen daraus lernen müssen.

Wulffs Antwort im Tour-Bus, irgendwo in Niedersachsen auf dem Weg zur Küste, ist überraschend dünn: Es sei doch ganz gut, dass mal ein Jüngerer Bundespräsident wird, einer mit schulpflichtigen Kindern.

Schön, aber warum gerade er?

Darüber habe er sich noch keine Gedanken machen können, sagt Kandidat Wulff. Dafür sei die Zeit zu kurz. Er werde dazu im Herbst, zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit, das Wesentliche sagen.

Mehrheit erst im dritten Wahlgang

Es wurde also am 30. Juni 2010 im dritten Wahlgang ein Präsident gewählt, dem zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht klar war, was er mit dem Amt will - außer natürlich, dass er überzeugt war, es schon irgendwie gut zu machen.

Christian Wulff ist jetzt gut 80 Tage im Amt. Dass er es schon irgendwie gut machen würde, das hat er in der Zeit noch nicht unter Beweis stellen können. Immerhin: In seiner Antrittsrede vor Bundestag und Bundesrat hat er Anfang Juli vielbeachtet die "bunte Republik Deutschland" ausgerufen, was als Aufschlag zu einem Beitrag zur Integrationsdebatte angesehen wurde. Immerhin war er es, der die erste Muslima in ein Ministeramt gebracht hat.

Bunt wird es aber danach vor allem, weil sich der neue Präsident einen Fauxpas nach dem anderen leistet. Kurz nach der Wahl reist Wulff in den Urlaub. Nicht irgendwohin, sondern auf die Insel Mallorca in die pompöse Villa des Finanz-Spezialisten Carsten Maschmeyer, Gründer von AWD. Das Unternehmen genießt den zweifelhaften Ruf, mit zwielichtigen Vertriebsmethoden so manchen Kleinanleger um sein Geld gebracht zu haben.

Wulff gibt an, sein Appartement in der Villa regulär gemietet zu haben. Doch ohne beste Verbindung zu einem der reichsten Männer Niedersachsens, der auch zu Gerhard Schröder enge Beziehungen pflegt, wäre Wulff an eine derart exquisite Ferienadresse wohl nicht gekommen. Der Würde des Amtes war das nach einhelliger Meinung nicht angemessen.

Als Nächstes warf er jede bundespräsidiale Etikette über Bord, als er Fußballbundestrainer Jogi Löw auf einer Pressekonferenz in Südafrika mal eben das Bundesverdienstkreuz versprach: "Ich habe entschieden." Ganz so, als wäre das eine Auszeichnung, über die er frei verfügen könne. Und nach der Tragödie bei der Loveparade dachte Wulff laut über die politische Verantwortung des Duisburger Oberbürgermeisters Adolf Sauerland nach - dabei gehören Rücktrittsforderungen nicht zu den Aufgaben des Staatsoberhaupts.

Schließlich der Fall Thilo Sarrazin: Wulff legte dem Bundesbankvorstand in einem kurzem Fernsehstatement am Rande einer Veranstaltung recht unmissverständlich nahe, sich doch von Sarrazin zu trennen. Wulff muss dabei vergessen haben, dass er persönlich als neutrale Instanz das Gesuch des Bundesbankvorstandes nach Ablösung zu prüfen gehabt hätte.

Am Ende mischtesich Wulff in die Verhandlungen mit Sarrazin ein, um den umstrittenen Buchautor (Deutschland schafft sich ab) zum freiwilligen Rückzug zu bewegen. Es gelingt, aber der Preis ist hoch: Der Bundespräsident hat den Nimbus der Überparteilichkeit erst mal verloren.

Kein Beitrag zur Integrationsdebatte

So weit die Ereignisse. In der Bilanz fällt auf: Was alle von ihm erwartet haben, unterließ Christian Wulff. Kein Wort war von ihm zu hören zu der auflodernden Integrationsdebatte, die gerade Thilo Sarrazin mit seinem Buch entfacht hatte. Plötzlich fühlten sich Rechtsextreme bestätigt in ihren deutschtümelnden Thesen. Das Land schien sich zu spalten in glühende Sarrazin-Verehrer und schärfste Kritiker seiner biologistischen Thesen. Nur vom Bundespräsidenten kein Wort dazu.

Sein Schweigen war so auffällig, dass 15 namhafte deutsche Muslime Wulff in einem offenen Brief aufforderten, Stellung zu beziehen. In dem Appell hieß es: "Wir bitten Sie, gerade in der derzeitigen angespannten Stimmung für die Leitsätze einer offenen, von gegenseitigem Respekt geprägten demokratischen Kultur einzustehen und öffentlich für sie zu werben." Es folgte: großes Schweigen aus Schloss Bellevue.

Nun will sich Christian Wulff doch äußern, am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit - so wie er es in dem Bus kurz vor seiner Wahl angekündigt hatte. Nur: Jetzt ist er nicht mehr der Gestalter einer wichtigen Debatte, sondern ein Getriebener. Er muss sich rechtfertigen dafür, dass er so lange geschwiegen hat. Stattdessen hat er sich in Personalentscheidungen eingemischt, die ihn nichts angehen dürfen.

Als schwierig für Wulff erweist sich jetzt auch noch der übergangslose Wechsel aus dem Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten in das Amt des Bundespräsidenten.

Als Ministerpräsident war Wulff ein Partei- und Machtpolitiker, ein Strippenzieher, der auch mal mit harten Bandagen kämpfte, wenn es in seinem Interesse lag. Das war bei der Übernahmeschlacht um Porsche und Volkswagen so. Das war so, als es um die Rettung der Continental AG ging. Wo gehobelt wird, fallen Späne, heißt es. Das ist bei Wulff nicht anders.

Altlasten aus Niedersachsen

Zu den für Wulff eher schwierigen Altlasten seiner Zeit als Ministerpräsident gehört nun möglicherweise auch sein ehemaliger Wahlkampfmanager Markus Karp. Der soll, so sagt es ein früherer enger Weggefährte, Teile von CDU-Wahlkämpfen gerne aus der Kasse der Wolfsburger Stadtwerke bezahlt haben. Der Verdacht der illegalen Parteienfinanzierung steht im Raum.

Pikant für Wulff: Er hatte den jetzigen Wolfsburger Stadtwerkechef Karp für den letztlich erfolgreichen Landtagswahlkampf 2003 angeheuert. Und wenn die Vorwürfe stimmen, dann hat Wulff die illegalen Praktiken seines einstigen Mitarbeiters als damaliger Landeschef der CDU voll zu verantworten.

Wulff ist drauf und dran zu einer weiteren Baustelle für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu werden. Schon seine Wahl konnte sie nicht wie gehofft als Erfolg für die schwarz-gelbe Koalition verkaufen. Der Kandidat hat viele nicht überzeugt, er wurde nach einer langen Zitterpartie erst im dritten Wahlgang gewählt.

Und selbst da fehlte noch eine erkleckliche Anzahl von Stimmen aus dem bürgerlichen Lager. Kanzlerin Angela Merkel konnte nur hoffen, dass ihr Favorit dann im Job seine Vorzüge unter Beweis stellen würde.

Bisher aber stolpert der Bundespräsident durch sein Amt. Die Antwort auf die Frage im Tour-Bus steht noch aus.

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