Bundespräsident Wulff im TV-Interview:Habt Nachsicht, ich bin Anfänger

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Es ging alles so schnell: erst Landesvater und schwupps, schon Bundespräsident. Deshalb, sagt Christian Wulff im Fernsehinterview bei ARD und ZDF, habe er Fehler gemacht. Doch die von ihm Bedrohten sehen die Sache ganz anders. Protokoll eines Erklärversuchs - und an welchen Punkten die Bemühungen wohl gescheitert sind.

Michael König

Am Anfang ist der Präsident eine Kugel. Ein bisschen ungesund sitzt er da, die Schultern nach vorne gebeugt. Den Kopf gesenkt, die Ellbogen auf der braunen Tischplatte, die Hände ineinander gefaltet. Ein Experte für Körpersprache will in dieser Haltung Anspannung, Unwohlsein und mangelnden Glauben an sich selbst erkannt haben. Aber stimmt das?

In Wulffs Worten ist an diesem Mittwochabend jedenfalls kaum ein Selbstzweifel festzustellen. Er würzt ein Bekenntnis zum Amt mit einer kräftigen Prise Reue und bleibt im Fernsehinterview (eine Zusammenfassung seiner Aussagen finden Sie hier) mit Bettina Schausten vom ZDF und Ulrich Deppendorf von der ARD ansonsten bei der Sprachregelung: "Ich weiß, dass ich nichts Unrechtes getan habe, aber nicht alles richtig war, was ich getan habe."

Das mag einer der Gründe sein, warum die Opposition weiterhin Aufklärung fordert. Und warum die Debatte um seine Kreditaffäre, die Drohanrufe bei kritischen Journalisten und die enge Freundschaft zu Unternehmern womöglich noch nicht beendet ist.

Genau das - einen Schlussstrich ziehen - hat Wulff allerdings im Sinn, als er um kurz vor 17 Uhr im Fernsehstudio in Berlin eintrifft. Es ist womöglich der wichtigste Moment in seiner Karriere. Einen weiteren Rückschlag würde die wohl nicht vertragen.

Der Druck war immer größer geworden, zuletzt hatte selbst die Kanzlerin vom Präsidenten Antworten verlangt. Da war der Termin mit den öffentlich-rechtlichen Sendern wohl schon beschlossen, Wulffs Auftritt schon geplant. Dagewesene berichten von Zetteln, die der Präsident im Auto studiert habe. Von seinem Jackett, das er erst spät angezogen habe, um vor den Fotografen am Eingang des Studios hemdsärmelig zu wirken.

Das Interview machte den Eindruck, als sei es komplett einstudiert, was aber nicht an Schausten und Deppendorf liegt. Die Journalisten arbeiten zahlreiche offene Fragen mit Nachdruck ab. Sie fallen Wulff ins Wort, wenn es nötig ist. Und Schausten erlaubt sich zu Beginn sogar einen bitteren Scherz, als sie sagt, es gebe viele Fragen - "beginnen wir doch vielleicht einfach mal". Als wäre es so simpel gewesen, den Präsidenten ins Studio zu bekommen.

"Große Unterstützung"

Zu Beginn kommt die Frage nach dem Rücktritt, und Wulff blinzelt plötzlich, als sähe er in die Sonne. Er atmet hörbar ein und aus, dann sagt er: "Nein." Er habe in den "ganzen Wochen" die "große Unterstützung meiner Freunde und Mitarbeiter" gespürt. Er nehme die Verantwortung gerne wahr, "ich habe sie für fünf Jahre übernommen". Und erst dann wolle er eine Bilanz vorlegen, "dass ich ein guter, erfolgreicher Bundespräsident war".

Wulff macht einen Anfängerbonus geltend, er spricht von einem "Lernprozess". "Ohne Karenzzeit, ohne Vorbereitungszeit", sei er vom niedersächsischen Ministerpräsidenten zum Bundespräsidenten aufgestiegen. Und er sei "aus Hannover nach Berlin" gekommen. Als wäre schon der Umzug in die Hauptstadt eine Entschuldigung für Fehler. Als hätte ihn niemand vorgewarnt. Als sei sein Vorgänger Horst Köhler nicht wegen harscher Kritik an seiner Person zurückgetreten.

Und erst die Reisen! Vier Länder in fünf Tagen. Und dann habe ihn die Nachricht erreicht, die Bild-Zeitung plane die Veröffentlichung über ein Detail aus seinem Privatleben. Er habe lediglich um einen Tag Aufschub gebeten, den habe man ihm verwehrt. Der Anruf beim Bild-Chefredakteur Kai Diekmann sei dennoch "ein schwerer Fehler gewesen", räumt Wulff ein. Er entschuldige sich, wie er das zuvor schon persönlich getan habe. "Es ist auch akzeptiert worden", sagt Wulff.

Aber war es wirklich so, wie der reumütige Bundespräsident sagt? Nein, erklärt die Bild-Zeitung. "Das haben wir damals deutlich anders wahrgenommen. Es war ein Anruf, der ganz klar das Ziel hatte, diese Berichterstattung zu unterbinden", sagt Nikolaus Blome, Leiter des Hauptstadt-Büros der Boulevardzeitung, im Deutschlandfunk.

Bundespräsident Christian Wulff nach seinem Fernsehinterview in seinem Wagen. (Foto: dpa)

Ob der Anruf als Drohung verstanden werden könne oder nicht, sei vielleicht Ansichtssache. "Aber klar war das Ziel dieses Anrufes, die Absicht und das Motiv, nämlich: diese Berichterstattung, diesen ersten Breaking-Bericht über die Finanzierung seines privaten Hauses zu unterbinden", so Blome.

Es wird sich zeigen, ob dem Bundespräsidenten seine Behauptung helfen wird. Jedenfalls will er sein Verhältnis zu den Medien "neu ordnen" und sie künftig "als Mittler stärker einbinden und anerkennen". Mit der Entscheidung, das Interview im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu geben und sich nicht in einer Pressekonferenz den Fragen aller Journalisten zu stellen, hat er für seinen ersten Schritt in diese Richtung allerdings einen ungewöhnlichen Weg gewählt.

Im Interview wird auch klar: Wulff unterscheidet klar zwischen Bürgern und Journalisten. Die einen sind gut zu ihm, die anderen nicht so sehr. Er sei "geradezu überrascht", wie stark die Menschen "letztlich darauf setzen, dass ich Bundespräsident bleibe", sagt Wulff. "Morgen früh" würden seine Anwälte "alles ins Internet stellen". Er glaube nicht, "dass es das oft in der Vergangenheit gegeben hat." Und wenn es das in Zukunft öfter gebe, "wird es auch unsere Republik offenkundig zu mehr Transparenz positiv verändern". Die Bürger sollten sich künftig ihr eigenes Bild machen. Ohne Medien? Das lässt Wulff offen.

Gescheiterte Salami-Taktik

Bei ARD und ZDF hatte der Bundespräsident zunächst darum gebeten, die Ausstrahlung des Interviews mit einer Sperrfrist zu versehen. Erst nachdem andere Medien heftig protestierten, wurde die Regelung aufgeweicht. Eine geleakte Audio-Datei im Blog netzpolitik.org machte diese Art der Salami-Taktik jedoch zunichte (mehr dazu hier).

Wulff will von einer solchen Häppchen-Strategie freilich nichts wissen. 400 Einzelfragen hätten ihn erreicht. Daraufhin habe er 400 einzelne Antworten gegeben. Das ginge gar nicht anders. Leider fragen Schausten und Deppendorf an dieser Stelle nicht nach, warum ihm nicht früher eingefallen ist, seine Anwälte "alles" ins Netz stellen zu lassen.

Zu Recht werden SPD und Grüne später monieren, dass Wulffs Antworten auf entscheidende Fragen ausstehen, die das Land beschäftigten. Etwa, warum Wulff mit Strafanzeige drohte, wenn es doch nur um einen Aufschub um einen Tag ging. Zurecht wird die Opposition hinterher kritisieren, dass Wulff "kein Opfer einer Medienkampagne" ist, sondern "mit Problemen zu kämpfen" hat, für die er "selbst verantwortlich" ist.

Statt befriedigend zu antworten, setzt Wulff bei seinem Auftritt auf Emotion: Er lässt es menscheln. Als Deppendorf ihn nach den umstrittenen Kontakten zu niedersächsischen Unternehmern befragt, darunter sein Kreditgeber Geerkens, sagt Wulff: "Ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, wo sich jemand von Freunden kein Geld mehr leihen kann." Beinahe trotzig fügt er hinzu: "Es gibt auch Menschenrechte, selbst für Bundespräsidenten."

Mit geöffneten Händen zum Befreiungsschlag

In diesen Momenten sitzt Wulff aufrecht, er öffnet die Hände, holt zum Befreiungsschlag aus. Es müsse erlaubt sein, in Gästezimmern von Freunden zu schlafen, wenn man diese Freunde schon seit Ewigkeiten kenne. Wulff nennt Norderney als Beispiel, sein Blick schweift ab. Womöglich packt er in Gedanken den Schlafsack aus. In der Realität hat Wulff Urlaub bei Carsten Maschmeyer auf Mallorca gemacht. In einer Villa, die über die Größe eines Zimmers deutlich hinausgeht. Macht das einen Unterschied? Wulff meint: nein.

"Derjenige, der ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein", sagt er. Man werde lebensklüger, auch demütiger. Wulff sagt "man", nicht "ich". Außerdem sei "das Amt des Bundespräsidenten aus vielerlei Gründen schwieriger geworden". Und "wem es in der Küche zu heiß ist, der darf nicht Koch werden wollen".

Gegen 18 Uhr verlässt der Bundespräsident das Fernsehstudio wieder. Um 20.35 Uhr flimmert die letzte Szene mit ihm über die Bildschirme. Die öffentlich-rechtlichen Sender machen danach weiter im Programm.

Beim ZDF hätte eigentlich schon längst eine Spielshow beginnen sollen. Ihr Titel: "Rette die Million!"

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