Süddeutsche Zeitung

Bundespräsident:Was Gaucks Nachfolger mitbringen muss

Weise ältere Herren hatte das Land genug. Das höchste Amt im Staat würde gewinnen, wenn Erneuerung gewagt wird - ob bei Geschlecht, Religionszugehörigkeit oder Alter.

Kommentar von Constanze von Bullion

Im Verhältnis eines Staatsoberhaupts zu seinen Bürgern geht es manchmal zu wie in einer Großfamilie, jedenfalls im Glücksfall. Man kennt einander, schätzt sich, aber manchmal liegt man sich auch in den Haaren. Und wenn dann einer nach all den Jahren seinen Abschied ankündigt, ist der Kummer groß. So ähnlich wird es wohl auch werden, nachdem Joachim Gauck an diesem Montag kundgetan hat, was lange zu erwarten stand: dass er auf eine zweite Amtszeit verzichtet.

Gaucks Entscheidung sich zu erklären, ist überfällig, sein Schritt richtig. Ein Verlust aber wird es schon, wenn er sich in neun Monaten zurückzieht. Denn mit Gauck wird nicht nur eine Persönlichkeit gehen, wie sie selten ist in der Politik. Es verabschiedet sich auch eine Generation, die Europas Identität geprägt hat.

Der Bundespräsident ist 76 Jahre alt, und es ist jetzt viel davon die Rede, dass ihm die Knochen mürbe werden und auch der eigenwilligste Kopf nicht ewig kämpferisch bleiben kann. Das stimmt. Gauck wäre am Ende einer zweiten Amtszeit 82 Jahre alt, also selbst bei ausgezeichneter Gesundheit in einem Alter, in dem sich kein Mensch Tag für Tag mit den Despoten dieser Welt und den Denkfaulen im eigenen Land auseinandersetzen kann. Genau das aber wird von Gaucks Präsidentschaft erwartet: dass er das Amt, das mal belächelt wurde, zu einer Kontroversenschmiede macht, auch weiterhin. Und dass er jeden, vom Staatschef in Peking bis zum Fremdenfeind in Clausnitz, da anpackt, wo es am meisten wehtut.

Gauck hat das Land zum Nachdenken gezwungen

Was Konfliktbereitschaft im Amt angeht, hat Gauck die Latte so hoch gelegt wie kaum einer seiner Vorgänger. Das macht ihn zum politischsten Präsidenten seit Richard von Weizsäcker. Ob es sein Appell an die Deutschen war, mehr militärische Verantwortung in der Welt zu übernehmen, der Tritt vors Schienbein des türkischen Präsidenten oder die Ermutigung zur real existierenden Einwanderungsgesellschaft: Der Bundespräsident hat viele aufgeregt. Aber er hat das Land auch zum Nachdenken über Dinge gezwungen, über die es ungern nachdenkt.

Gaucks Kraft und die seiner Lebensgefährtin, sich im Amt Ecken und Kanten zu bewahren, hat nachgelassen, auch das gehört zu Wahrheit. Daniela Schadt, die sich anfangs noch bei jedem Werksbesuch zu Wort meldete, spult jetzt still das Damenprogramm ab. Und Gauck hat in der Flüchtlingsdebatte und beim Staatsbesuch in China gezeigt, dass er die Kunst der Diplomatie zwar beherrscht, Furchtlosigkeit aber kein nachwachsender Rohstoff sein muss im Leben.

Lasst den Alten doch ziehen, werden jetzt diejenigen sagen, die den Bundespräsidenten ohnehin für einen Mann von gestern halten. Sie machen es sich ein bisschen einfach.

Es stimmt, Gauck gehört biografisch zu den Großvätern unter Europas obersten Repräsentanten. Die britische Königin ist die Großmutter in dieser Familie. Die beiden haben den Zweiten Weltkrieg erlebt, Diktatur, Kalten Krieg und die Verheerung nationaler Hybris. Wer den auseinanderdriftenden Kontinent von dieser Warte betrachtet, weiß um den Wert der europäischen Einigung. Alter kann eben auch ein Schatz sein, in diesem Fall ein Vermächtnis.

Nein, es kommt jetzt nicht der Ruf nach einer Frau mit Migrationshintergrund

Das darf aber kein Grund sein, sich bei der Nachfolgersuche fürs Präsidialamt an bewährten Mustern festzuklammern. Wenn Joachim Gauck wie seine Vorgänger den Typus des christlichen, bisweilen gestrengen Großvaters verkörpert, steckt hinter diesem Bild die Sehnsucht nach einem Monarchen, den es in Deutschland seit 98 Jahren nicht mehr gibt. Zeit, sich von dieser Vorstellung zu lösen. Die Lammerts und Schäubles der Nation mögen kluge Köpfe sein und beredt. Aber weise ältere Herren oder solche, die es werden wollten, hatte das Land schon genug.

Das höchste Amt im Staat würde gewinnen, wenn Erneuerung gewagt wird, ob bei Geschlecht, Religionszugehörigkeit oder Alter. Nein, es kommt jetzt nicht der Ruf nach einer Frau mit Migrationshintergrund wie vom SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel. Wer sich zu früh auf eine Person festlegt, die beispielsweise weiblich plus muslimisch plus jünger sein soll, wird ohnehin scheitern. Mindestens eine dieser Eigenschaften aber sollte der oder die Neue schon haben in einem Land, in dem Arbeitswelten und Geschlechterrollen sich so rasant wandeln wie Hautfarben und Bekenntnisse. Auch jemand, der im Digitalen daheim ist, wäre hilfreich in globalisierten Zeiten, die herkömmliche Lebensentwürfe unterspülen.

Wer jetzt einwendet, so eine Quotenfrau oder ein dahergelaufener Moslem habe doch keine Ahnung von wichtigen Präsidentenpflichten, etwa auf dem Feld der Außenpolitik, mag recht haben. Das hatte Joachim Gauck anfangs aber auch nicht. Er macht trotzdem einen tollen Job.

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SZ vom 06.06.2016
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