An diesem Sonntag wird Joachim Gauck zum Bundespräsidenten gewählt werden. Wer sich nur ein wenig für Politik interessiert, der weiß, dass Gauck aus der ehemaligen DDR stammt, wo er zweifelsfrei zu den Dissidenten zählte. Dass ihm dies sofort nach seiner Nominierung etliche Protagonisten der deutschen Nörgel-Gesellschaft absprechen wollten, ist leider typisch geworden für die jederzeitige Bereitschaft zur überkritischen bis üblen Nachrede in diesem Land.
Was bedeutet es, deutsch zu sein? Und welche Rechte und Pflichten sind damit verbunden? Diese Fragen wird ein Bundespräsident Gauck beantworten müssen.
(Foto: dpa)Weil Christian Wulff sich so verhielt, wie er sich verhielt, hat sich die Nachrede-Bereitschaft in jüngster Zeit zu einer Art Lust entwickelt. Privatleben eines Amtsträgers gilt vielen mindestens als der Beginn von Korruption, wenn nicht Verschwörung; zumal wenn Flugzeuge oder Urlaube dabei eine Rolle spielen.
Jedes unvollständige Zitat, das die im Netz stationierten Überfallkommandos der Gedankenpolizei epidemisch verbreiten, wird als Ausweis latenter Rechtslastigkeit oder wenigstens von Ignoranz gegenüber Teilen des allgemein zu akzeptierenden Gedankenguts gewertet.
Gauck hat Letzteres zum Beispiel wegen eines vor geraumer Zeit dahingesprochenen Halbsatzes über den "Mut" des Herrn Sarrazin erlebt. Jeder, der viel spricht oder schreibt, gibt auch Fragwürdiges von sich. Manches davon ist sehr an den Tag gebunden, wird aber genau deswegen Monate oder Jahre später von Gesinnungs-Pathologen seziert, die stets den Vorteil der zurückschauenden Weisheit nutzen, welche zur Grundausstattung des Besserwissers zählt.
Jenseits dieser Kulturkritik bleibt eines beim Blick auf die Wahl wichtig, so seltsam es auch klingen mag: Nach Horst Köhler und Christian Wulff ist eine von Joachim Gaucks bedeutendsten Aufgaben, dass er sein Amt von Sonntag an bis zum Ende der Wahlperiode in fünf Jahren auch ausübt - vorausgesetzt jener Gott, an den auch Gauck glaubt, gibt ihm die Gesundheit dafür.
Kein Präsident war unumstritten
Es darf nicht normal werden, dass der Bundespräsident vorzeitig geht. Eine der vielen Begründungen für die Existenz des Amtes liegt darin, dass der Präsident als eine dem demokratischen Meinungskampf der Parlamente enthobene Institution den Staat als Gemeinwesen verkörpert. Dafür aber bedarf es der Stabilität dieser Institution.
Den Mantel des Bundespräsidenten darf man nicht niederwerfen (und schon gar nicht ablegen müssen), so wie man eine Koalition beendet oder einen Ministersessel räumt. Dieses Amt ist größer, weswegen gerade nach Wulff darauf geachtet werden sollte, dass niemand mehr benannt wird, der die Gefahr in sich birgt, dass er zu klein ist für das einzigartige Wahlamt, das gleichzeitig eine Berufung ist.
Kein Präsident war unumstritten, und schon über Theodor Heuss sagten damals viele Rechte und manche Linke: "Mein Präsident ist das nicht." Das macht prinzipiell nichts aus, denn einen Menschen, der wirklich für alle steht, kann es nicht geben, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass sich jeder in dem Präsidenten wiedererkennt. Trotzdem aber muss der Mensch, der in das Amt gewählt wird, die natürliche Autorität haben, die Respekt gebietet, oder wenigstens das Amt so führen, dass dieser Respekt entsteht.
Trotzdem dürfen Parteien einen Kandidaten auch unter parteipolitischen Gesichtspunkten nominieren. Wenn dies aber zum Hauptzweck wird - wie etwa im Falle Wulffs oder auch bei der von der Linkspartei zusammengestolperten Trotz-Kandidatur von Beate Klarsfeld -, dann verstoßen die Parteien gegen jenes institutionalisierte Vertrauen, das ihnen die Verfassung durch die Besetzung der Bundesversammlung ausgesprochen hat.
Gewiss, man hat die Bundespräsidentenwahl auch immer wieder als Menetekel oder Beweis für einen Regierungswechsel verstanden und/oder organisiert. Das war so bei Gustav Heinemann oder Horst Köhler. Dennoch waren die meisten Nominierten vor Wulff respektgebietende Leute, die, sieht man vom abrupten Ende der Köhler-Präsidentschaft ab, dem Amt mehr oder weniger gut gerecht wurden.