Süddeutsche Zeitung

Bundespräsident:Steinmeier - vom Dorfjungen zum Weltstaatsmann

Der designierte Bundespräsident Steinmeier ist kein politisches Alphatier, sondern ein Betatier. Er ruht in sich. Und das ist keine Attitüde.

Von Heribert Prantl

Die atemberaubende Karriere des Mannes aus dem Dorf Brakelsiek begann mit Gerhard Schröder: Der damalige Ministerpräsident von Niedersachsen stellte den jungen Juristen ein, als Hilfsreferent in der Staatskanzlei. "Der kam nicht in gebückter Haltung rein", erinnert sich Schröder an das Vorstellungsgespräch; Frank-Walter Steinmeier habe auch gleich offen erzählt, dass er sich zugleich bei der Regierung Rau in Nordrhein-Westfalen beworben habe, aber Rot-Grün in Hannover erscheine ihm spannender.

Solch gerades Reden gefällt einem Schröder. Er hält Steinmeier für eine "gelungene Mischung aus Administration und Politik". Steinmeier wurde der Spielführer, er wurde Außen- und Innenverteidiger, beides in Schröders Regierungsmannschaft: Erst Leiter von Schröders persönlichem Büro, dann Chef der politischen Abteilung, Staatssekretär, Kanzleramtschef, Außenminister.

Wäre es nach Schröder gegangen, wäre Steinmeier nicht im Jahr 2017 Bundespräsident, sondern im Jahr 2007 Bundeskanzler geworden. Wäre nämlich Schröder 2005 noch einmal zum Kanzler gewählt worden, hätte er Steinmeier in der Mitte der Legislaturperiode das Amt übergeben, sagt Schröder. Steinmeier könne nämlich fast alles, nur nicht Wahlkampf; er sei halt keine Rampensau; das hat sich dann auch 2009 gezeigt, als er SPD-Kanzlerkandidat war. Schröder ist ein Alphatier, Steinmeier ein Betatier. Alphatiere bersten vor Selbstbewusstsein, Betatiere ruhen in sich; und das ist bei Steinmeier keine Attitüde.

Wer keine Fehler macht, hat keine zuzugeben

"Frank, mach mal!" Das war der Spruch, der das gemeinsame Arbeitsleben und das Wirken von Gerhard Schröder und Frank-Walter Steinmeier begleitete: Frank machte, Frank konnte. Egal, ob komplizierte Verhandlungen mit dem grünen Koalitionspartner oder heikle Besprechungen mit den Geheimdiensten.

Neben Wahlkampf kann Steinmeier aber noch ein Zweites nicht: Fehler zugeben. "Weil er keine macht", meint ein feixender Schröder. Murat Kurnaz, der in Bremen geborene Türke, den die Amerikaner fast fünf Jahre in Guantanamo eingesperrt und gefoltert haben, ist da anderer Meinung. Er wartet auf eine Entschuldigung von Steinmeier, weil der als damaliger Kanzleramtsminister ein Freilassungs-Angebot der Amerikaner abgelehnt habe. Ein solches Angebot, erklärt Steinmeier aber noch heute apodiktisch - das habe es nie gegeben.

Man kann wunderbar plaudern mit Schröder, aber auch in bester Plauderlaune fällt ihm keine Anekdote ein über Steinmeier. Steinmeier ist ein Mann, über den es keine Geschichten gibt. Und über die, die es gibt, redet Steinmeier nicht. Er hat seiner Frau eine Niere gespendet. Steinmeier bringt, darauf angesprochen, sogleich das Gespräch auf etwas ganz anderes. Schröder hat Steinmeier nach der OP in der Reha besucht. Darüber haben die beiden kein Wort gesprochen, es ging nur um Politik.

Porträts beschreiben Steinmeier daher als Mann ohne Eigenschaften, als einen schmallippigen Typen, der sicher nie ein Hallodri war. Wer einmal in die Hörweite des Lachens von Steinmeier geraten ist, wundert sich über so ein Urteil. Steinmeier kann in Fraktionsstärke lachen und er kann sich auch wunderbar über sich selber lustig machen. Der Schriftsteller Tilman Spengler hat in seiner Laudatio zu Steinmeiers sechzigstem Geburtstag eine solche Szene erzählt. Sie spielt oberhalb von Bozen in einem Tal in Südtirol, in dem die Familie Steinmeier gern Urlaub macht - und sie trug sich zu, als der der Papst noch Joseph Ratzinger hieß und ebenfalls hier Entspannung in der Natur suchte.

Steinmeier ist ein diskreter Mensch

Eines Tages begegneten Steinmeier und seine Frau Elke beim Spazierengehen einem Touristenpaar, das beim Näherkommen immer stärker signalisierte, dass es den Außenminister zwar erkannt habe, dass man sich das Erkennen aber rücksichtsvoller Weise nicht sofort anmerken lassen würde. Nachdem sich die beiden Paare dann wieder etwas entfernt hatten, hörten die Steinmeiers einen Laut, der ihnen aus der westfälischen Heimat vertraut war, nämlich ein lautes "Boa" gefolgt von dem Ausruf: "Letztes Jahr der Papst, jetzt der Steinmeier, das wird ja immer härter. So 'ne Erscheinung hat man nicht überall."

Steinmeier geht mit solchen Geschichten nicht hausieren. Er ist ein diskreter Mensch und zugleich ein Kümmerer. Der Vater war Tischler; der Großvater hat als Wanderarbeiter die Ziegel für den Aufbau Berlins gebrannt. Dem Buben vom Dorf war es, wie man so sagt, nicht in die Wiege gelegt, dass er einmal ein Weltstaatsmann sein und über den Frieden im Nahen Osteu und in der Ukraine verhandeln wird.

Bei diesem Friedenswerk ist es nicht unbedingt notwendig und es gehört auch nicht zwingend zur auswärtigen Kulturpolitik - Steinmeier besonders angelegen -, dass man das Lied der "Lipper Schützen" erstens aufsagen und zweitens singen kann. Aber Steinmeier bietet das gern an, wenn er ganz gut aufgelegt ist: "Zu Siebzig da zogen wir lippischen Schützen, nach Frankreich hinein, um das Vaterland zu schützen." Der Refrain ("Zum Truderidera, und zum Truderidera, und zum Truderidara, und die Lipper die sein da") hört sich beim Singen besser an als beim Lesen. Als Bundespräsident muss er reden.

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Quelle:
Aus der SZ vom 11.02.2017/ulsu/fie/ghe
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