Ämari/Tallinn (dpa) - Plötzlich kleben sie an der rechten Tragfläche. Der Airbus A319, der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von Berlin nach Estland bringt, ist im Anflug auf die Luftwaffenbasis Ämari - da bekommt er Gesellschaft von zwei Eurofightern. Der deutsche und der britische Kampfjet eskortieren den Airbus bis zur Landung. Aber: Kein Grund zur Sorge, nur eine Übung.
Ähnlich sähe aber auch der Ernstfall aus. Im vergangenen August übernahm die deutsche Luftwaffe wieder die Luftraumüberwachung - im Nato-Jargon: Air Policing - über dem Baltikum. 28 Mal stiegen seitdem ihre Eurofighter zu Alarmstarts auf und identifizierten russische Militärmaschinen über der Ostsee - zuletzt erst am Dienstag dieser Woche. Die Militärs sprechen vom „Abfangen“ der Maschinen, was aber kein Abdrängen bedeutet. „Eigentlich geht es um ein visuelles Identifizieren“, sagt Presseoffizier Alexander Feja.
„Keine Zunahme von Luftraumgrenzverletzungen“
Schon seit 2004 schützt die Nato den Luftraum über dem Baltikum. Estland, Litauen und Lettland besitzen keine eigenen Kampfjets. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine vor gut einem Jahr wurde diese Hilfe nochmals wichtiger. Wobei der Ukraine-Krieg die Lage im Luftraum über dem Baltikum nicht verschärft hat, wie der scheidende Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn berichtet. „Wir haben keine Zunahme von Luftraumgrenzverletzungen. Wir haben auch bei der Anzahl der Alarmstarts, die wir machen, keine signifikante Zunahme“, sagt der General, der den Bundespräsidenten begleitet.
Presseoffizier Maurice Heck ergänzt, ihm sei auch keine Situation bekannt, wo sich russische Jets besonders provokativ verhalten hätten. Allerdings flögen sie regelmäßig ohne Transponder und seien daher nicht auszumachen. Wie „Geisterfahrer“ seien sie unterwegs - und das in einem engen und viel beflogenen Luftraum. „Das ist extrem gefährlich.“ Gefährlich auch deswegen, weil sich nirgendwo sonst die Streitkräfte von Nato und Russland so nah kommen wie im internationalen Luftraum über der Ostsee.
Deutsch-britische Eurofighter-Staffeln
Das alles lässt sich Steinmeier am Mittwoch ausgiebig erläutern. In der Technikhalle informiert er sich über die Wartung der Eurofighter. Und er beobachtet den Übungsalarmstart einer deutsch-britischen Staffel. Denn das ist neu seit dem 6. März: Deutsche und britische Jets fliegen jetzt in gemischten Staffeln. Der erste gemeinsame Einsatz gegen zwei russische Flugzeuge erfolgte just einen Tag vor dem Besuch des Bundespräsidenten.
Steinmeier besuchte im vergangenen Jahr bereits die beiden baltischen Staaten Lettland und Litauen sowie fast alle anderen Länder an der Nato-Ostflanke. Dort hatte Deutschland mit seiner anfangs zögerlichen Hilfe für die von Russland angegriffene Ukraine Zweifel an seiner Zuverlässigkeit als Bündnispartner gesät. Auch das deutsche Festhalten an der Gaspipeline Nord Stream 2 trug dazu bei.
Steinmeier versichert: „Auf Deutschland ist Verlass“
Hier an der Nato-Ostflanke ist die Sorge groß, das nächste Opfer einer russischen Aggression zu werden. Estland, das von der Fläche her etwas kleiner ist als Niedersachsen, hat im Osten eine fast 300 Kilometer lange Grenze mit Russland. Das erklärt, warum Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas immer wieder eine Verstärkung der Nato-Ostflanke verlangt.
Steinmeier weiß um die Sorgen und Befindlichkeiten der östlichen EU- und Nato-Partner. Und so nutzt er noch vor einem Treffen mit Estlands Staatspräsidenten Alar Karis in Tallinn die Gelegenheit, um ihnen - demonstrativ vor einem Eurofighter - zu versichern: „Die Nato ist bereit, jeden Quadratzentimeter ihres Bündnisses zu verteidigen.“ Das gelte auch für das Baltikum. „Auf Deutschland ist auch in dieser Hinsicht Verlass.“ In Tallin ergänzte er: „Deutschland steht zu seiner Verantwortung in der Nato und in Europa.“
Karis reagierte fast überschwänglich: Deutschlands Bedeutung für die europäische Sicherheit könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. „Deutschland spielt die zentrale Rolle in der kollektiven Verteidigung der Nato, auf dem Schlachtfeld und bei allen Entscheidungen.“
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