Bundespräsident:Steinmeiers Halbzeit

Bundespräsident Steinmeier in Italien

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender sprechen auf dem Flug von Berlin nach Rom mit mitreisenden Journalisten.

(Foto: dpa)
  • Frank-Walter Steinmeier hat an diesem 19. September genau die Hälfte seiner ersten Amtszeit als Bundespräsident absolviert.
  • Es ist der Tag, an dem von Steinmeier angeleierte große Koalition in Berlin ihr umfassendes Klimaprogramm verhandelt.
  • Zu seinem Bergfest besucht der Bundespräsident ausgerechnet Italien, wo man lernen kann, was passiert, wenn die etablierten Parteien nicht liefern.

Von Nico Fried, Berlin

Als Frank-Walter Steinmeier am Donnerstagmorgen gerade die Dolomiten kreuzt, unweit seines traditionellen Urlaubsortes in Südtirol, wird ihm eine besondere Ehre zuteil: Zwei Eurofighter der italienischen Luftwaffe begrüßen den Bundespräsidenten in Italien und eskortieren seinen Airbus von hier aus die ganze verbleibende Flugstrecke bis Rom.

Auch sein Gastgeber und Freund, Italiens Präsident Sergio Mattarella, begrüßt den Kollegen aus Berlin mit allem Pomp im Quirinalspalast. So bekommt Steinmeier doch ein bisschen Brimborium an diesem Tag, dessen Besonderheit ihm selbst freilich keiner ausdrücklichen Erwähnung wert erscheint. Seit zweieinhalb Jahren ist Steinmeier nun Bundespräsident, es ist sein Bergfest: An diesem 19. September hat er genau die Hälfte seiner ersten Amtszeit absolviert.

Aber das ist nicht alles. Ausgerechnet an diesem Tag, an dem der Bundespräsident sein Bergfest begeht, setzt sich die große Koalition zusammen, um in der Klimaschutzpolitik über die vielleicht weitestreichenden Beschlüsse dieser Legislaturperiode zu entscheiden - genau jene große Koalition also, die es ohne Steinmeiers Drängen gar nicht gäbe.

Und als wäre das noch nicht Zufall genug, reist der Bundespräsident genau an diesem Tag auch noch nach Italien, wo man zuletzt eingehend studieren konnte, welchen Einfluss Populisten gewinnen und unter welchen Druck eine Demokratie geraten kann, wenn die etablierten Parteien nicht leisten, was man von ihnen erwartet.

Als Steinmeier im März 2018 nach einer quälend langen Regierungsbildung das neue Kabinett ernannte, betonte er einerseits, die neue Koalition habe denselben Kredit verdient, den alle vorherigen Bundesregierungen auch genossen hätten. "Dem widerspricht nicht, dass die neue Regierung von den Parteien gebildet wird, die auch die Vorgängerregierung getragen haben." Er mahnte aber auch: Um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, werde "ein schlichter Neuaufguss des Alten nicht genügen".

Nun richten sich an die große Koalition, deren Entstehung Steinmeier damals nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen durch viel gutes Zureden vor allem auf Seiten der SPD mit bewirkte, gewaltige Erwartungen. Und ihre Protagonisten setzen sich selbst unter Druck: Kein Pillepalle mehr, so formulierte es die Kanzlerin. Markus Söder und Annegret Kramp-Karrenbauer, die Vorsitzenden von CSU und CDU, twitterten noch am Donnerstagmorgen: "Wir sind bereit für den großen Wurf." Und SPD-Vizekanzler Olaf Scholz befand, man müsse Entscheidungen für die nächsten Jahre treffen, man komme, "mit kleinen Maßnahmen nicht voran".

Steinmeier weiß, wie solche Verhandlungen laufen. Und er weiß, wie Angela Merkel sie führt. Er war Außenminister und Vizekanzler, als die Bundesregierung die milliardenschweren Rettungspakete zusammenbaute. Er hat nächtelang im Kanzleramt über die Rettung von Opel verhandelt. Und zusammen mit Merkel hat er rekordverdächtige 17 Stunden in Minsk gesessen, um im Ukraine-Konflikt zu vermitteln. Er weiß: Wenn es drauf ankommt, bleibt Merkel sitzen, bis es eine Lösung gibt. Zumindest irgendeine Lösung. Allerdings: Nicht immer hält das Ergebnis dann, was es zunächst verspricht. Als Bundespräsident verfolgt er das Ganze nun von außen.

Steinmeier hat jüngst noch einmal an die Koalition appelliert: "Die alarmierende Dynamik des Klimawandels lässt uns keine Wahl. Wir müssen schneller und entschiedener handeln", sagte er dem Spiegel. "Wir müssen - als Bundesrepublik Deutschland - den Ehrgeiz haben, den guten Ruf zu halten, den wir uns in der Klimapolitik erarbeitet hatten. Wir waren lange Jahre geschätzter Vorreiter in Fragen des Klimaschutzes und bei den erneuerbaren Energien. Andere sind nachgezogen, wieder andere heute sogar an uns vorbei."

Das war als nicht allzu mühevoll versteckte Kritik an Merkel zu verstehen. Die Aussage kam immerhin vom einstigen Kanzleramtschef der rot-grünen Regierung, die den Atomausstieg beschlossen, die Förderung erneuerbarer Energien auf den Weg gebracht und eine Ökosteuer eingeführt hatte. Als allerdings der Bundespräsident im März 2018 bei der Ernennung des Kabinetts die wichtigsten politischen Herausforderungen für die neue Regierung aufzählte, fehlte eine: der Klimawandel.

"Eine große Koalition muss die großen Themen anfassen", so Steinmeier jüngst. Wenn es klappt, muss der Bundespräsident letztlich am Ende die entsprechenden Gesetze nur unterschreiben. Wenn es schiefgeht, die Koalition womöglich sogar scheitert, könnte er schon bald in eine Situation kommen, wo es sehr auf ihn ankommt, wie es politisch weitergeht in Deutschland: Minderheitsregierung? Neue Koalitionsgespräche? Neuwahlen? Je blockierter die Politik, desto stärker die Position des Bundespräsidenten. So gibt es das Grundgesetz vor.

Am Donnerstagmittag steht Steinmeier zur Pressekonferenz neben Sergio Mattarella. Der italienische Präsident musste ebenfalls 2018 eine neue Regierung beauftragen, gebildet aus zwei populistischen Parteien. Die ist vorerst gescheitert, der Chef der rechtspopulistischen Lega, Matteo Salvini, spekulierte auf Neuwahlen und sitzt nun in der Opposition - auch weil Präsident Mattarella mithalf, eine neue Regierung zu installieren. Die beiden Präsidenten beschwören die deutsch-italienische Partnerschaft und freuen sich an ihrer persönlichen Freundschaft.

Europa brauche Deutschland und Italien, da sind sie sich einig. Am Nachmittag, als in Deutschland die Vorgespräche für den Koalitionsausschuss anlaufen, sitzt Steinmeier in einem römischen Garten unter einem Dach aus Laub. Er unterhält sich mit Intellektuellen und Künstlern. Es geht um die Lage in Italien, um den Unterschied zwischen dem reicheren Norden und dem ärmeren Süden, um Dominanz und Arroganz, um Rückständigkeit und Unterlegenheitsgefühle. Steinmeier möchte gerne wissen, warum der Norditaliener Matteo Salvini so erstaunlich viele Anhänger im Süden hat, und die Vermutung liegt nahe, dass der Bundespräsident dabei auch die Erfolge der westdeutsch dominierten AfD im Osten im Hinterkopf hat. Auch wenn seine Gesprächspartner nicht die eine Antwort haben, kann man in Italien etwas Wichtiges lernen: dass zumindest politisch auch das, was man für unmöglich hielt, am Ende doch passieren kann.

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