Bundespräsident Steinmeier:Finnland hat, was Deutschland bräuchte

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Angetan vom finnischen Bildungssystem: Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender in einer Schule in Oulu. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
  • Auf seiner dreitägigen Finnlandreise gerät Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mitunter ins Schwärmen.
  • Sicherheit, gute Schulen, pragmatische Kooperationen - solche Dinge gelingen in dem nordeuropäischen Land mitunter besser als in Deutschland.
  • Auch in Finnland gibt es eine rechtspopulistische Partei. Die etablierten Parteien haben einen besonderen Umgang mit ihr gefunden.

Von Stefan Braun, Helsinki

Von außen wirkt das Haus im Zentrum der finnischen Stadt Espoo wie ein klassisches Bürogebäude. Im Innern aber öffnet sich ein kleines Wunderland. Jedenfalls dann, wenn man das ganz normale Leben noch als Wunder bezeichnen möchte. Eine geräumige Büroetage ist mit Stellwänden in kleine Räume abgeteilt, die wie die Häuser einer eigenen Stadt erscheinen sollen. Über einem steht Arztpraxis, über dem zweiten Supermarkt, über einem dritten Rathaus. Eine finnische Ortschaft im Kleinen, bevölkert von Dutzenden Schülern.

Die Mädchen und Jungen diskutieren, rechnen, verkaufen - und sind, soweit man das sehen kann, mit größtem Ernst bei der Sache. Zum ersten Mal müssen sie sich gewissenhaft für einen Job bewerben; zum ersten Mal müssen sie als Polizistin, als Verkäufer oder als Stadtoberhaupt ganz normal arbeiten. Und neben alldem müssen sie auch noch lernen, wie man mit einem begrenzten Budget auskommt. Nichts davon ist schon der volle Ernst des Lebens. Aber die Schüler machen einen Tag lang das, was sie später erwartet.

"Me and my city" heißt das Projekt, das in Finnland seit seiner Gründung 2010 zu einem Renner geworden ist. Für die meisten Sechstklässler des Landes ist ein Tag in einem der acht Projektzentren zum fixen Bestandteil des Schuljahrs geworden. "Sie testen genau das, was das Leben später ausmacht", erklärt Heidi Enbacka. Sie hat "Me and my city" mit ins Leben gerufen.

Politisch hätten die beiden Länder die gleichen Sorgen und Interessen, sagt Steinmeier

Während sie erzählt, hat sich Frank-Walter Steinmeier mit einem jungen Holzfäller angefreundet. Auch den Job gibt es hier zum Ausprobieren. Also beugt sich der Bundespräsident zu dem Jungen und schaut gespannt zu, wie der versucht, mit einem Bagger einen Baum zu fällen.

Das geschieht nur auf dem Bildschirm. Spannend aber ist es trotzdem, weil die Computeranimation ziemlich gut und das Bedienen des Baggers ziemlich kompliziert ist. Minutenlang steht der Präsident wie gebannt daneben. "Wir sind hier bei Freunden", sagt Steinmeier später. "Und wir sind gekommen, um voneinander zu lernen." Beim Holzfällen lernt vor allem der Große vom Kleinen. Und das passt gar nicht so schlecht zur Visite des Präsidenten.

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Von Stefan Braun

Drei Tage ist Steinmeier in das nordische Land gekommen. Und die Sache mit dem Lernen ist durchaus ernst zu nehmen. Vor allem für die Gäste aus Deutschland. Natürlich hat Steinmeier mit der finnischen Führung auch über die großen Probleme gesprochen. Und danach bleibt festzuhalten, dass Staatspräsident Sauli Niinistö sich wieder als enger Verbündeter gezeigt hat.

Seine Kritik am mangelnden Zusammenhalt in Europa; seine Warnung vor einer Schwächung demokratischer Gesellschaften und seine Mahnung, den Bürgern mehr Sicherheit zu geben - das würde der Besucher aus Berlin kaum anders ausdrücken. "Wir haben die gleichen Sorgen und die gleichen Interessen", sagt Steinmeier.

Spannend aber ist die Reise, weil Finnland einiges hat und kann, was Deutschland dringend bräuchte. Die Wertschätzung für Lehrer und den großen Einsatz für Schulen zum Beispiel. In Finnland gehört der Lehrerberuf zu den beliebtesten Jobs; der Andrang an den Unis ist so groß, dass nur zehn Prozent der Bewerber genommen werden können. Das müsste man sich mal für Deutschland vorstellen.

Hier freilich ist es selbstverständlich, dass der Staat viel Geld in gute Lehrer und moderne Schulen steckt. Und er hat keine Berührungsängste, dabei auch mit Unternehmen zu kooperieren. "Me and my city" wird von großen Firmen wie Nokia mitgetragen. "Das macht uns keine Angst, sondern freut uns", erzählt Heidi Enbacke. "Die Firmen lernen, dass auch sie eine soziale Verantwortung haben."

Nun wäre es übertrieben zu berichten, dass der Bundespräsident und seine Frau Elke Büdenbender mit offenem Mund Schulen und Unis besuchen. Aber sie staunen nicht schlecht, was die Finnen bieten. "So wie hier habe ich das in keinem anderen Land erlebt", sagt die Frau des Bundespräsidenten. Und Steinmeier fügt hinzu, dass die Menschen offenkundig "ein großes Vertrauen in den Staat haben". Verwunderung schwingt da mit - und der Wunsch, dass es in Deutschland genauso sein möge. "Sie sind glücklicher als die Menschen anderswo. Da fragt man sich, wo das herkommt."

Tatsächlich ist das Land in dieser Kategorie 2018 weltweit auf Platz eins gelandet. Die Vereinten Nationen untersuchen regelmäßig, in welchem Land die Menschen sich wie wohlfühlen. Das Ergebnis ist der World-Happiness-Index - mit dem erwähnten Spitzenreiter.

Auf der Suche nach dem Grund für das große Glücksgefühl fliegt Steinmeier weiter nach Oulu. Die Stadt im Zentrum des Landes mit ihren gut 200 000 Einwohnern ist nicht nur die nördlichste Großstadt der EU. Sie ist auch die Heimat von Nokia und der Ort, an dem die SMS erfunden wurde. Außerdem hat Oulu eine hochgelobte, weil erfindungsreiche Universität, konnte um sie herum eine sehr erfolgreiche IT-Start-up-Szene entwickeln und hat sich mit den Steuereinnahmen jüngst eine hochmoderne Schule geleistet.

Steinmeier besucht die Uni, die Schule und das Rathaus. Und er wird permanent daran erinnert, dass Nokia alles in sich vereint: vergangene Erfolge, nachfolgende Katastrophen und eine stabile Wiederauferstehung. Einst gehörte die Firma zur Weltspitze der Handy-Produzenten. Dann folgte das Desaster, als Smartphones die Handys verdrängten.

Doch was anderswo zum Niedergang geführt hätte, wurde hier zum Neuanfang. Nokia bot seinen bedrohten Ingenieuren eine doppelte Abfindung an, falls sie das Geld nicht einstecken, sondern in ein Start-up investieren würden.

Sicherheit, gute Schulen, pragmatische Kooperationen

Das erklärt nicht alles, aber viel, vor allem über das Selbstverständnis. In Oulu haben die Kommune, die Firmen, die Unis ihre Kräfte zusammengeworfen, statt über Abhängigkeiten nachzudenken. "Alle arbeiten unideologisch zusammen", erzählt Jan Feller von der deutsch-finnischen Handelskammer.

Hinzu komme, dass die IT-Firmen von einer fast ungebremsten Offenheit der Bevölkerung profitierten. Angst vor der Digitalisierung, Angst vor Datenklau oder Missbrauch - so etwas kenne man nicht in Finnland, sagt Feller.

Das bleibt nicht ohne Folgen. Es verschafft Vorteile, auch gegenüber den Deutschen. In einer Umfrage unter Unternehmen hat Fellers Handelskammer Bemerkenswertes herausgefunden. Auf die Frage, ob bei der Digitalisierung deutsche oder finnische Betriebe fortschrittlicher seien, antworteten 57 Prozent: die Finnen. Gerade mal zwei Prozent votierten für die Deutschen.

Sicherheit, gute Schulen, pragmatische Kooperationen - das sind Voraussetzungen dafür, dass Finnland ziemlich gut dasteht. Trotz einer höheren Arbeitslosigkeit als in Deutschland; und trotz der Tatsache, dass auch in Finnland rechte Parteien die Politik durcheinanderwirbeln.

Gefragt, was er Steinmeier im Umgang mit solchen Parteien raten könnte, antwortete Staatspräsident Niinistö übrigens, in Finnland habe man die Wahren Finnen nach der letzten Wahl in die Regierung aufgenommen, aber darauf bestanden, dass der Koalitionsvertrag kein antieuropäischer geworden sei. Inzwischen habe sich die Partei gespalten und die radikaleren Kräfte seien nicht mehr Teil der Regierungskoalition. Mit der Folge, dass die Partei in Umfragen massiv geschrumpft sei.

Ein konkreter Ratschlag ist das eher nicht gewesen. Ein klein bisschen Hoffnung machte er dem Besucher aus Berlin mit der Erzählung trotzdem.

© SZ vom 20.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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