Dresden (dpa/sn) - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Jugend zur gemeinsamen Stärkung Europas aufgerufen. „Lassen wir nicht zu, dass dieses Europa von denjenigen zerstört wird, die die Antworten auf die Fragen der Zukunft nur in der Vergangenheit suchen, die das Gegeneinander wollen, aber nicht das Miteinander“, sagte er am Dienstag bei einem Europa-Fest an der Dresdner Frauenkirche vor mehreren Tausend Jugendlichen.
„Europa ist keine Selbstverständlichkeit. Europa lebt und lebt nur, wenn die Menschen dieses Europa wollen, wenn sie sich dafür einsetzen“, betonte das Staatsoberhaupt. Dafür brauche man vor allem die jungen Menschen, ihre Neugier, ihre Weltoffenheit. Denn sie seien das „Europa von morgen“. Im 21. Jahrhundert könne man die großen Fragen der Zeit nur gemeinsam lösen. „Dafür brauchen wir ein starkes Europa: Meine Bitte ist, machen Sie dieses Europa so stark wie möglich. Europa ist unsere Zukunft, eine andere haben wir nicht.“
Manche mögen Zweifel haben, ob Europa den großen Herausforderungen der Zeit wirklich gewachsen ist, betonte Steinmeier. „All unsere Geschlossenheit und Entschlossenheit wird in diesen Tagen, in diesen Wochen, in diesen Monaten täglich auf eine harte Probe gestellt. Wir leben in Zeiten von Umbrüchen, wir leben in Zeiten des Wandels, wir leben in einer Zeit, in der sogar der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist.“ Europa sei aber nicht „in Angst und mit Zweifeln geboren“, sondern das Ergebnis von Mut und Zuversicht derjenigen, die nach dem Zweiten Weltkrieg an eine bessere Zukunft Europas geglaubt haben.
Bei der „Fête de l'Europe“ in Dresden sollte eigentlich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprechen. Wegen der Unruhen in seinem Land hatte er den Besuch in Deutschland aber abgesagt. „Es tut mir in der Seele weh, dass der lange vorbereitete Staatsbesuch leider nicht in der Form stattfinden konnte, wie wir das vorhatten und wie wir es vorbereitet haben“, sagte Steinmeier. Er habe lange mit Macron telefoniert, der es zutiefst bedauert habe, nicht in Dresden sein zu können. Man wünsche Frankreich, „dass der soziale Friede bald wieder hergestellt ist und dass die Wunden von den Auseinandersetzungen der letzten Tage geheilt werden können“.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) begrüßte die Teilnehmer der Kundgebung auch auf Polnisch und Tschechisch - aus den beiden Nachbarländern waren viele junge Leute angereist. „Konflikte gehören zu diesem Vielvölkerkontinent Europa. Aber wir müssen dafür sorgen - und dafür ist die Europäische Union so wichtig - dass diese Konflikte, diese unterschiedlichen Interessen, diese unterschiedlichen Meinungen fair miteinander ausgehandelt werden“, sagte der Regierungschef des Freistaates.
Kretschmer zufolge sind Werte wie Demokratie und Menschenwürde nicht in Stein gemeißelt. Es brauche immer wieder junge Menschen, die diese Werte verteidigen und dafür eintreten. Ganz sicher seien die Anwesenden nicht die „letzte Generation“. Sie könnten aber die erste Generation sein, „die wirklich nachhaltig lebt, die eine Kreislaufwirtschaft aufbaut, die dafür sorgt und danach lebt, dass es keine Rolle spielt, wer wen liebt und welches Geschlecht man hat“, sagte er unter Beifall.
In Zeiten der Transformation und Veränderung komme es darauf an, nach vorn zu schauen, was Deutschland und Frankreich „miteinander gestalten können“, sagte Steinmeier bei einem Treffen mit jungen Menschen des Netzwerks Generation Europa. Sie entwickeln seit Jahresbeginn gemeinsam Vorschläge, wie die deutsch-französische Zusammenarbeit weiterentwickelt werden kann. Es gehe darum, was beide Länder gemeinsam für Europa tun könnten. „Wir müssen aufpassen, dass Europa gegenüber den Vereinigten Staaten und China nicht noch weiter zurückfällt“, sagte er. Wenn es darum gehe, wer in Europa Initiative übernehmen könnte, ruhten die Hoffnungen dabei auf Deutschland und Frankreich.
Die Qualität des deutsch-französischen Verhältnisses sollte nicht vom Streit über bestimmten Themen abhängen, „sondern davon, wie viel Bereitschaft es gibt, sich aufeinander zuzubewegen“ und trotz unterschiedlicher Auffassungen Lösungen zu entwickeln, sagte der Bundespräsident. Beide Länder sollten bereit sein, Verantwortung auch für Europa zu tragen, „ohne übertriebenes Selbstbewusstsein und erst recht ohne Hochmut“.
Mit der „Fête de l'Europe“ wollen die Veranstalter - der Freistaat Sachsen und die Cellex-Stiftung - auch eine Brücke nach Osteuropa schlagen. Deshalb waren auch Jugendliche aus Polen und Tschechien eingeladen. Auf zwei Bühnen wurde ihnen bis in die Abendstunden ein Programm geboten, bei dem viele Bands und Solisten auftraten, darunter die Sängerinnen Leony und Lea sowie die Dresdner Formation 01099. Der deutsch-französische Kabarettist Emmanuel Peterfalvi, besser bekannt als „Alfons“, führt durch das Programm. Alfons hatte für den Auftritt eigens das ihm 2021 verliehene Bundesverdienstkreuz angelegt.
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