Bundespräsident: Staatsbesuch in der Türkei:Eine Reise mit schwerem Gepäck

Kurz bevor Bundespräsident Christian Wulff zu seinem Besuch in die Türkei aufbricht, erreicht die Debatte um Zuwanderung in Deutschland ihren Höhepunkt: Die Bundesregierung kündigt an, mit schärferen Gesetzen den Druck auf Integrationsverweigerer zu erhöhen.

Wenige Stunden, bevor Bundespräsident Christian Wulff zu einem viertägigen Staatsbesuch in die Türkei aufbricht, erhöht die Bundesregierung den Druck auf Integrationsverweigerer. Neue Gesetzesinitiativen sehen sehen vor, einen eigenen Straftatbestand für Zwangsverheiratung zu schaffen und härter gegen Verweigerer von Integrationskursen vorzugehen. Dies kündigte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Montag in Berlin an.

Marktstand in Berlin-Neukölln

Frauen mit Kopftüchern schauen sich in Berlin auf einem Markt im Stadtteil Neukölln Tuchwaren an. Seit Wochen gibt es immer wieder neue Vorschläge, mit denen eher nach dem Wähler geschielt wird als nach praktikablen Lösungen. Nun hat die Bundesregierung schärfere Gesetze angekündigt, um den Druck auf Integrationsverweigerer zu erhöhen.

(Foto: dpa)

Mit einer Änderung des Strafgesetzbuches solle der "Unwert" der Zwangsverheiratung aufgenommen und "entsprechend bestraft" werden, sagte der Ministeriumssprecher. Wenn Einwanderer nicht an den verpflichtenden Integrationskursen teilnehmen, sollten die zuständigen Sozialämter dies in Zukunft auch an die Ausländerbehörden melden. Die Sanktionen gegen solche Verstöße würden "wahrscheinlich" auch verschärft. Dies sei aber noch in der Abstimmung.

Regierungssprecher Steffen Seibert kündigte an, das Bundeskabinett werde sich bereits an diesem Mittwoch mit verschiedenen Neuregelungen im Ausländer-, Aufenthalts- und Zuwanderungsrecht beschäftigen. Dabei gehe es auch um die "Durchsetzung der Integrationspflicht", das Vorgehen gegen das "wirklich üble Phänomen der Zwangsverheiratung" und eine effektivere Bekämpfung von Scheinehen.

Der Zeitpunkt von Wulffs Besuch in der Türkei ist ohnehin delikat. Gerade hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Mulitkulti für "absolut gescheitert" und CSU-Chef Horst Seehofer es sogar für "tot" erklärt. Türkische Zeitungen versprechen sich von Wulffs Besuch frischen Wind für eine Vertiefung der deutsch-türkischen Beziehungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei dazu nicht in der Lage, weil sie Rücksicht auf die Machtverhältnisse in ihrer Partei nehmen müsse, schrieb die regierungsnahe türkische Zeitung Zaman.

Özdemir: Distanz von Rechtspopulist Seehofer

Es liegt zehn Jahre zurück, dass ein Bundespräsident in die Türkei reiste. Wulff führt morgen in Ankara mit seinem Amtskollegen Abdullah Gül und mit Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan Gespräche. Als erstes deutsches Staatsoberhaupt wird Wulff, der von seiner Frau Bettina und einer Wirtschaftsdelegation begleitet wird, vor der türkischen Nationalversammlung eine Rede halten.

Wenn es nach dem Grünen-Chef Cem Özdemir geht, dann soll der Bundespräsident diesen Staatsbesuch in der Türkei dazu zu nutzen, konstruktiv über Integration zu reden und sich von "Rechtspopulisten" wie CSU-Chef Horst Seehofer zu distanzieren. Der Bundespräsident habe für sein Bekenntnis zur Einbürgerung von Menschen mit muslimischem Hintergrund zu Recht viel Anerkennung in der Türkei erfahren. "Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass Christian Wulff deutlich macht: Die Integrationsdebatte in Deutschland wird nicht von den Rechtspopulisten Seehofer und Sarrazin dominiert, sondern von einem parteiübergreifenden Interesse an einer rationalen Debatte um die beste Integrationspolitik", sagte Özdemir.

Der integrationspolitische Sprecher der SPD, Rüdiger Veit, forderte im Hamburger Abendblatt: "Angesichts der unverständlichen Äußerungen von Horst Seehofer sollte Wulff den Türken sagen, dass sie hier in Deutschland willkommen sind." Die derzeitige Integrationsdebatte werde nicht auf Basis von Fakten geführt, kritisierte Veit: "Eine Panik vor einem Zuviel an Zuwanderung ist unangebracht, wenn man sieht, dass die Zahl der Türken, die von Deutschland in ihre türkische Heimat zurückgegangen ist, im letzten Jahr um 9000 Personen höher lag als die Zahl der Türken, die nach Deutschland gekommen sind."

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz (CDU), forderte dagegen Wulff auf, während seines Staatsbesuchs auf bessere Bedingungen für Christen in der Türkei zu dringen. "Zur Türkei gehört auch das Christentum", sagte Polenz der in Düsseldorf erscheinenden Rheinischen Post. Während seiner Reise könne der Bundespräsident seinen Gastgebern vermitteln, dass sie "stolz sein können auf ihr christliches Erbe". Wesentliche Wirkstätten des Urchristentums lägen in der Türkei, sagte Polenz.

Regierungsgipfel zur Zuwanderung

Regierungssprecher Seibert kündigte an, dass die Spitzen von Union und FDP am 18. November über die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte beraten und daraus ein Gesamtkonzept entwickeln. Dabei soll nicht nur Bilanz der bisherigen Maßnahmen gezogen werden. Die Ressortchefs sollen auch eine Einschätzung abgeben, wie sich die völlige Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus der EU vom 1. Mai 2011 an auswirken werde. Auch solle überprüft werden, wie sich etwa die Senkung des Mindestverdienstes von etwa 80.000 auf 60.000 Euro im Jahr, um eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu bekommen, ausgewirkt habe, sagte Seibert.

Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) äußerte sich derweil besorgt darüber, dass derzeit mehr Menschen aus Deutschland ab- als zuwandern. Es gebe viele junge, gut ausgebildete Menschen, "die angesichts mancher Debattenbeiträge nicht wissen, ob sie wirklich willkommen sind", sagte Özkan der in Hannover erscheinenden Neuen Presse. "Wir müssen aufpassen, dass diese oftmals schon in Deutschland geborenen und hier gut integrierten jungen Menschen nicht unserem Land plötzlich den Rücken kehren."

Für mehr Einwanderung warben auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen und Bildungsministerin Annette Schavan (beide CDU). Von der Leyen forderte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die Hürden für den Zuzug qualifizierter Fachkräfte zu senken. Bildungsministerin Schavan sagte der Welt am Sonntag: "Nicht Einwanderung muss uns aufregen, sondern Auswanderung aus Deutschland. Wenn wir dagegen nichts tun, wird sich der Fachkräftemangel zur größten Wachstumsbremse entwickeln."

Das Bundesbildungsministerium legte zudem einen Gesetzentwurf vor, nach dem die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse zügiger und transparenter werden soll. Zuwanderer sollen demnach bald einen Rechtsanspruch darauf bekommen, dass das Verfahren nicht länger als drei Monate dauert, wenn alle nötigen Nachweise vorliegen. Das Gesetz solle helfen, dem Fachkräftemangel zu begegnen und Einwanderer besser zu integrieren.

Auf Zustimmung traf der Vorstoß der beiden Ministerinnen für mehr Einwanderung bei Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Er schlug vor, auch die Mindestverdienstgrenze für einen unbefristeten Aufenthalt von derzeit 66.000 Euro pro Jahr auf 40.000 Euro herunterzusetzen. Eine Konkurrenz zu Arbeitslosen in Deutschland sieht Brüderle durch eine gezielte Einwanderung nicht. Schließlich fehlten der deutschen Wirtschaft Fachkräfte in ganz bestimmten Branchen. Nach seinen Angaben fehlen derzeit 36.000 Ingenieure und 66.000 IT-Fachkräfte. Allein im vergangenen Jahr hätte dieser Mangel zu einem volkswirtschaftlichen Verlust von 15 Milliarden Euro geführt. Zugleich regte Brüderle ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild für Einwanderer vor. Damit sollten sowohl die berufliche Qualifikation der Einwanderer als auch ihre Deutschkenntnisse und andere Fähigkeiten bewertet werden.

JU-Chef Philipp Mißfelder kündigte ebenfalls an, sich auf dem CDU-Parteitag im November für die Einführung eines Punktesystems stark zu machen: "Es geht also nicht um Herkunft oder Religionszugehörigkeit, sondern allein um Qualifikation."

"Multikulti ist tot"

Während immer mehr Unionspolitiker mehr Einwanderung nach Deutschland begrüßen, forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Wochenende auf dem Deutschlandtag der Jungen Union in Potsdam, dem Ruf, jetzt müsse "ganz viel Zuwanderung kommen", dürfe nicht nachgegeben werden, "bevor wir nicht alles daran gesetzt haben, unsere eigenen Menschen im Lande zu qualifizieren und ihnen eine Chance zu geben".

Auch für CSU-Chef Horst Seehofer ist der Zuzug Hochqualifizierter "ausreichend geregelt". Der bayerische Ministerpräsident beharrte in einem vom Magazin Focus veröffentlichten Sieben-Punkte-Plan darauf, dass "Deutschland kein Zuwanderungsland" sei. Auch ein prognostizierter Fachkräftemangel könne "kein Freibrief für ungesteuerte Zuwanderung sein". Auf dem Deutschlandtag sagte er: "Wir als Union treten für die deutsche Leitkultur und gegen Multikulti ein. Multikulti ist tot."

Vor allem bei FDP-Generalsekretär Christian Lindner stieß der CSU-Chef damit auf scharfe Kritik. "Für mich war das kein fachlicher Beitrag von Horst Seehofer. Es war der Versuch, die Lufthoheit über den Stammtischen von Thilo Sarrazin zurück zu gewinnen", sagte er dem Handelsblatt. "Pauschalurteile und kulturelle Abschottung sind falsch." Entscheidend für Zuwanderung seien "nicht das religiöse Glaubensbekenntnis oder die private Lebensführung, sondern die Akzeptanz unserer Rechtsordnung und die Bereitschaft zur Integration in Wirtschaft und Gesellschaft. Wer also nach unseren Regeln spielt und mithilft, unser Land nach vorne zu bringen, sollte uns willkommen sein."

Der Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst, warf Seehofer vor, er erledige "für die Hassprediger die Arbeit". Es sei "eine Schande, dass solche Worte ausgerechnet vom Ministerpräsidenten eines Landes kommen, das so sehr vom Export lebt wie Bayern".

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