Bundespräsident Köhler:"Wohlstand ist nicht für uns reserviert"

Die Weltgemeinschaft braucht ein gemeinsames Ethos: Bundespräsident Köhler im SZ-Interview über die Finanzkrise, die soziale Marktwirtschaft und Armut.

Anfangs wurde er als "ewiger Sparkassenpräsident" belächelt: Horst Köhler, 65, galt in der Rolle des Bundespräsidenten als politisch fixe Idee der CDU und der FDP. Doch der Diplom-Volkswirt erwarb seit Amtsantritt im Juli 2004 an Profil und Anerkennung. Köhler, der zuvor Chef des Deutschen Sparkasen- und Giroverbands sowie Direktor des Internationalen Währungsfonds gewesen war, bewirbt sich nun im Mai 2009 in der Bundesversammlung um eine zweite Amtszeit. Gegen ihn kandideren die Hochschulprofessorin Gesine Schwan und der Künstler Peter Sodann.

Bundespräsident Köhler: "Armut und Klimawandel bedrohen auch unsere Stabilität, nicht nur die der Armen." Bundespräsident Köhler im Interview.

"Armut und Klimawandel bedrohen auch unsere Stabilität, nicht nur die der Armen." Bundespräsident Köhler im Interview.

(Foto: Foto: Regina Schmeken)

In der Süddeutschen Zeitung umreißt der im Schwäbischen groß gewordene Präsident seine politischen Ziele. Horst Köhler über...

...das richtige Krisenprogramm:

"Eine systematische Aufarbeitung sollte aus meiner Sicht vier Ansatzpunkte umfassen: Erstens müssen wir die Ordnungsfunktion des Staates auf den internationalen Finanzmärkten neu definieren und wirksam durchsetzen. Zweitens muss es um den Abbau der globalen Ungleichgewichte gehen. Die USA haben jahrelang auf Kredit konsumiert. Das hat vielen schöne Exporterfolge beschert, auch Deutschland, aber irgendwann führen solche Ungleichgewichte zu Verwerfungen. Drittens müssen wir uns klarmachen: Armut und Klimawandel bedrohen auch unsere Stabilität, nicht nur die der Armen. Also müssen wir den Kampf gegen Armut und Klimawandel als strategische Aufgabe begreifen, die alle angeht, und die wir nur bewältigen können, wenn alle zusammenarbeiten. Und viertens: Wir brauchen als Weltgemeinschaft ein gemeinsames Ethos. Und Wirtschaftsführer, die danach handeln. Wir müssen lernen, mit anderen nur so umzugehen, wie wir selbst behandelt werden wollen. Egoismus im 21. Jahrhundert heißt, sich auch um die anderen zu kümmern. Und Deutschlands Mitverantwortung für die Welt ergibt sich auch aus deutschem Eigeninteresse."

...die deutschen Landesbanken:

"Die meisten haben kein wirtschaftlich tragfähiges Geschäftsmodell; es gibt politische Einflussnahme. So kam es zu hoch riskanten Anlagegeschäften, die mit dem ursprünglichen Auftrag der Landesbanken nichts mehr zu tun hatten."

...den öffentlichen Auftrag von Sparkassen:

"Ich bin bis heute überzeugt, dass die Sparkassen gerade in der Globalisierung ihren Platz haben. Sie schaffen Handlungsspielräume in regionalen und kommunalen Lebenskreisen, im Sozialen, im Kulturellen und bei der Förderung des Mittelstands. Aufgrund einer Klage der deutschen Privatbanken landete das deutsche Sparkassenwesen damals vor der EU-Kommission in Brüssel. Da hieß es, die Sparkassen müssten ihren öffentlich-rechtlichen Status aufgeben, weil sie meist weniger als 15 Prozent Rendite erwirtschafteten und folglich nicht wettbewerbstauglich seien. Ich fand diese Argumentation absurd, vor dem Hintergrund eines gesamtwirtschaftlichen Wachstumstrends von zwei bis drei Prozent."

...das globale Vorbild soziale Marktwirtschaft:

"Ich finde es richtig, die Idee der sozialen Gerechtigkeit auch in ihrer globalen Dimension zu erfassen. Das Recht auf Wohlstand ist nicht für uns reserviert. Eine Zukunftsaufgabe für uns in Deutschland besteht darin, armen Ländern beim Vorankommen zu helfen und trotzdem unseren Wohlstand zu halten. Die Chance der Krise besteht darin, dass sie uns wach macht für die Erkenntnis: Globalisierung bedarf der Gestaltung. Und wir Deutsche haben mit der sozialen Marktwirtschaft den Beweis erbracht, dass es möglich ist, Freiheit und Marktwirtschaft mit sozialem Ausgleich zu verbinden. Da haben wir etwas anzubieten. Wenn das heute deutsches Wesen ist: nur zu. Die Bundeskanzlerin verdient Unterstützung."

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"Wohlstand ist nicht für uns reserviert"

...das Grundgesetz:

Bundespräsident Köhler: Bundespräsident Horst Köhler im SZ-Interview in seinem Amtszimmer im Schloss Bellevue, das Gespräch führten von l.n.r. Hans Werner Kilz, Heribert Prantl und Claus Hulverscheidt.

Bundespräsident Horst Köhler im SZ-Interview in seinem Amtszimmer im Schloss Bellevue, das Gespräch führten von l.n.r. Hans Werner Kilz, Heribert Prantl und Claus Hulverscheidt.

(Foto: Foto: Regina Schmeken)

"Ich finde, man sollte das Grundgesetz nicht laufend ändern oder ergänzen wollen. Allerdings hoffe ich doch auf eine Föderalismusreform II, die vor allem die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden neu regelt. Und ich halte es auch für richtig, über den Abstimmungsmodus im Bundesrat nachzudenken. Wolfgang Schäuble hat recht: Enthaltungen sollten dort künftig nicht mehr wie Nein-Stimmen wirken."

..das deutsche Schulsystem:

"Bildung geht jeden von uns an. Ein föderaler Wettbewerb um die besten Bildungsangebote ist hilfreich. Aber wir müssen besser dafür sorgen, dass gemeinsame Bildungsstandards verwirklicht werden, dass finanzschwache Länder nicht hinten runterfallen, und dass Kinder nicht darunter leiden, wenn Eltern in andere Bundesländer umziehen (....) Ich finde es beschämend, wie gering die Chancen für Kinder aus Nichtakademiker-Familien auf ein Studium vergleichsweise sind. Das ist ein Versagen der ganzen Gesellschaft."

...die Lage der Nation:

"Das Land steht auf einem guten Fundament, die Menschen haben Ideen. Wir haben an Selbstbewusstsein gewonnen, ohne Bescheidenheit aufzugeben. Das ist eine gute Mischung, finde ich. Nehmen Sie die Besonnenheit, mit der die Bürger die schlechten Nachrichten dieser Tage aufnehmen. Das ist ein Zeichen für innere Stabilität."

...Aufritte mit der Konkurrentin Gesine Schwan:

"Frau Schwan wird als eine der Beauftragten der Bundesregierung wie immer zum Neujahrsempfang für das Diplomatische Corps ins Schloss Bellevue eingeladen. Wahlkampfveranstaltungen werde ich nicht mit ihr bestreiten, da ich keinen Wahlkampf um mein Amt mache."

...Demokratie und Bürger:

"Unsere ruhigeren Stunden sollten wir womöglich auch einmal zum Nachdenken darüber nutzen, wie moderne Demokratien die Komplexität politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Prozesse so meistern können, dass sie für die Bürger einleuchtend bleiben. Demokratie braucht Bürger, die von Herzen mitgehen. In Amerika sehen Sie ab und zu Riesenschilder: ´Obey the law!´ - ´Befolge das Gesetz!´ Aber wer das Gesetz befolgen soll, der muss es auch verstehen können."

Das ganze Interview in der Süddeutschen Zeitung, Donnerstagsausgabe.

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