Bundespräsident Gauck wird 75:Mister Nonstop

Bundespräsident Joachim Gauck im Interview

Pfarrer, Bürgerrechtler, Bundesbehördenleiter - dann der Karrierehöhepunkt: Vor knapp drei Jahren wurde Joachim Gauck zum Bundespräsidenten gewählt.

(Foto: dpa)

Joachim Gauck ist einer der umtriebigsten Bundespräsidenten, den die Republik bislang hatte. Die Themen gehen ihm längst nicht aus. An diesem Samstag feiert der Ostdeutsche seinen 75. Geburtstag - und denkt über eine zweite Amtszeit nach.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es gibt Tage, an denen man sich fragt, wie lange er das durchhalten will. Der 9. Oktober 2014 ist so ein Tag, da sitzt Joachim Gauck in der Nikolaikirche in Leipzig, wo an 25 Jahre friedliche Revolution erinnert wird. Am Vortag war der Bundespräsident auf der Buchmesse in Frankfurt, heute morgen haben sie ihn in Berlin wieder in die Karosse geladen und zum Leipziger Gewandhaus gefahren. Dort hat er ins Publikum gewunken wie Freddy Mercury und eine Rede gehalten über die Kraft des Einzelnen, die Großes bewirken kann. Gauck hat Hände gedrückt, viele, den Aufrührern von '89, Hans-Dietrich Genscher, Henry Kissinger, James Baker. Der frühere US-Außenminister ist dann mitgesaust in die Nikolaikirche, da steht er nun am Altar und breitet einen dicken Teppich von Texanerenglisch über die Gemeinde. In vorderster Holzbank kämpft Gauck gegen die Lider, gegen diese verdammten Rückenschmerzen und die Jahre. Er sieht, höflich gesagt, sehr müde aus.

Doch, ja, man erkennt diese Augenblicke, in denen der vielleicht umtriebigste aller Bundespräsidenten murrt, mal innerlich, mal hör- und sichtbar. Meistens scheint es aber so zu sein, dass Gauck sich schnell wieder berappelt und hinreißen lässt von sich und seiner Lieblingsaufgabe: des Bürgers Sonntagsruhe zu stören. Oft gelingt das, Gauck hat in seiner Amtszeit ein paar nicht ganz unwichtige Kontroversen angestoßen: über den Krieg und die deutsche Verantwortung in der Welt, über Flüchtlinge und das Fremdeln mit Einwanderern. Wenn er an diesem Samstag 75 Jahre alt wird, ist das offenbar aber auch für ihn, den Mister Nonstop, eine Zäsur nicht ohne Nachdenklichkeit.

Ob er für eine zweite Amtszeit antritt? Bisher beließ er es bei Andeutungen

Gefeiert wird trotzdem bei den Gaucks, mit Enkeln, Urenkeln und Freunden. Die Spitzen der Verfassungsorgane, wie es so schön heißt, wird der Präsident ein paar Tage später verarzten, beim Empfang politischer Stiftungen. Und über allem wird diese lästige Frage schweben, die sich aufdrängt an einem solchen Datum: Wird es eine zweite Amtszeit geben?

Wer behauptet, sicher zu wissen, wie Gauck die Sache sieht, sagt vermutlich nicht die ganze Wahrheit. Denn selbst diejenigen im Bundespräsidialamt, die wissen müssten, wo die Reise hingeht, geben zu verstehen, dass man bei Gauck sowieso nie ganz sicher sein könne, ob das Begeisterungsbarometer morgen umschlage. Und selbst wenn er sich schon gegen eine zweite Amtszeit entschieden hätte, wäre er nicht gern eine lahme Ente. Ansonsten wird beharrlich geschwiegen. In einem Gespräch, das ein Jahr zurückliegt, sagte Gauck sinngemäß auf die Frage, ob er noch einmal antritt, das liege ja wohl auf der Hand. Es klang wie: Nein.

Übers Bauchgefühl gehen solche Einschätzungen nicht hinaus, aber wer weiter spekulieren möchte, kann sich vor Augen führen, dass Gauck zu den ältesten deutschen Staatsoberhäuptern gehört. In der Bundesrepublik war nur Theodor Heuss am 75. Geburtstag noch auf Posten. Wilhelm Pieck hielt länger durch, er blieb bis zu seinem Tod mit 84 Jahren Präsident der DDR. Nur vier Bundespräsidenten hatten überhaupt eine zweite Amtszeit: Neben Gründervater Heuss waren das der Unglücksvogel Heinrich Lübke, Richard von Weizsäcker und Horst Köhler, dem die zweite Runde wenig Glück brachte.

Womit sich die womöglich entscheidende Frage stellt: Was könnte Gauck noch erreichen in einer zweiten Amtszeit? Selbst seine Kritiker, und das sind nicht wenige, räumen inzwischen ein, dass diese Präsidentschaft mindestens eines schon bewiesen hat: wozu das Amt taugt, wenn einer sich traut. Als Gauck antrat, der Querkopf aus Rostock, wussten viele nicht mal, wozu man den Bundespräsidenten noch braucht. Inzwischen ist er eine Art Seismograf der Gesellschaft geworden. Schlägt er aus, ist Erschütterung gewiss.

Aber Gauck will natürlich mehr, nicht nur reagieren, sondern gestalten, was kompliziert ist, wenn man der Politik nicht ins Steuer greifen soll. Das erste Gebot heißt da: Du sollst der Kanzlerin nicht in die Quere kommen. Das kriegt er jetzt meistens hin. Dafür ist es neuerdings die Kanzlerin, die Gauck in die Parade fährt. Unverhofft hat sie ihre Hand auf ein Thema gelegt, dass bisher zu Gaucks Revier gehörte: Islam, das Miteinander der Verschiedenen. Wenn Merkel so weitermacht, wird Gauck sich womöglich ein neues Feld suchen müssen, um Kollisionen zu vermeiden.

Aber zurück zu der Frage, was der Präsident noch vorhat. Was treibt ihn um? Das Verhältnis von Alt und Jung, die Generationengerechtigkeit, heißt es in seinem Haus. Offenbar will Gauck nicht als Kriegspräsident ins Geschichtsbuch eingehen, er plant ein Forum zum internationalen Krisenmanagement, dem zivilen, nicht dem militärischen. 70 Jahre Befreiung vom Nationalsozialismus stehen an und der 25. Geburtstag der deutschen Einheit. Und dann warten da noch ein paar Reisen.

Ein Staatsbesuch in Washington wäre kleidsam, 2015 aber wird daraus nichts. Gauck würde gern nach Russland fahren, um sich vor den Opfern deutscher Kriegsverbrechen zu verneigen, und vielleicht auch, um diesem Zorn nachzugehen, der ihn begleitet, seit sein Vater im Gulag verschwand. Die Einladung lässt auf sich warten. Aber wie man Gauck so kennt, betrachtet er das als Kompliment.

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