Bundespräsident in der Kritik:Wulff schrumpft sein Versprechen

Vollmundig versprach Bundespräsident Wulff in seinem Fernsehinterview, "alles" im Internet veröffentlichen zu lassen - mehr als 400 Fragen und Antworten zu seiner Kreditaffäre und den Folgen. Jetzt widerruft sein Anwalt die Ankündigung und verweist auf seine Verschwiegenheitspflicht. Doch das Argument zieht nicht.

Oliver Das Gupta

Es waren große Worte, die Christian Wulff am 4. Januar im Fernsehinterview mit ARD und ZDF von sich gab. Mit Blick auf seine scheibchenweise publik gewordenen Affären und Affärchen um Kredite, Urlaube bei reichen Freunden und Anrufe mit offensichtlich drohendem Unterton kündigte der Bundespräsident an, Neuland betreten zu wollen.

Wulff nach Fernsehinterview

Bundespräsident Christian Wulff in seinem Wagen nach seinem Fernsehinterview am 4. Januar.

(Foto: dpa)

"Ich glaube, diese Erfahrung, dass man die Transparenz weitertreiben muss, die setzt auch neue Maßstäbe", so Wulff. Dann wurde der Bundespräsident konkret:

"Morgen früh werden meine Anwälte alles ins Internet einstellen. Dann kann jede Bürgerin, jeder Bürger jedes Details zu diesen Abläufen sehen und bewertet sehen, auch rechtlich. Und ich glaube nicht, dass es das oft in der Vergangenheit gegeben hat, und wenn es das in Zukunft immer gibt, wird es auch unsere Republik offenkundig auch zu mehr Transparenz positiv verändern."

An anderer Stelle sagte der Bundespräsident den Satz: "Ich geb Ihnen gern die 400 Fragen, die 400 Antworten."

Nun, nach nicht einmal einer Woche, ist klar: Wulff kann sein vollmundiges Versprechen nicht halten. Eine sechsseitige Zusammenfassung stellte die Kanzlei seines Anwalts Gernot Lehr am Tag nach dem Fernsehinterview ins Internet - das war es.

"Aus Gründen der praktischen Handhabbarkeit"

Keine Frage: Der durch seine Affären angeschlagene Präsident wollte mit weitgehender Offenheit die Diskussion um ihn beenden, wollte endlich wieder als Handelnder und nicht als Getriebener wirken. Und wie einer, der sich nicht länger mit der Presse herumschlägt, sondern mit seiner Transparenz die Bürger direkt erreicht. Seht her, ich habe nichts zu verbergen, so lautete seine Botschaft.

Dass Wulff nun wieder mauert, schafft Argwohn und facht Spekulationen an: Warum folgt der Rückzieher? Sind die Antworten doch nicht so harmlos? Oder bergen sie - kombiniert - neuen Sprengstoff?

Zurück zur Salami-Taktik?

In der veröffentlichten Stellungnahme geht es um den Privatkredit für Wulffs Eigenheim, seine Urlaube in den Anwesen befreundeter Unternehmer und die vom Unternehmer Carsten Maschmeyer bezahlte Zeitungsanzeige für ein Wulff-Buch. Die umstrittenen Beschwerdeanrufe Wulffs bei Bild-Chefredakteur Kai Diekmann, Springer-Chef Mathias Döpfner und Verlegerin Friede Springer sind kein Thema. Und eine detaillierte Dokumentation soll es - Stand Dienstagvormittag - auch nicht geben.

TV-Interview Bundespräsident Wulff

"Ich geb Ihnen gern die 400 Fragen, die 400 Antworten": Bundespräsident Christian Wulff (l) während seines Fernsehauftritts am 4. Januar.

(Foto: dpa)

Rechtsanwalt Lehr erklärte dazu dem Tagesspiegel: "Der im Mandantenauftrag geführte Schriftverkehr zwischen Anwälten und Dritten fällt unter die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht. Aus diesem Grund sowie aus Gründen der praktischen Handhabbarkeit für alle Beteiligten ist eine zusammenfassende Stellungnahme erfolgt."

Doch Lehrs Argumentation will nicht so recht ziehen: Schließlich hat ihn Wulff quasi öffentlich von seiner Schweigepflicht entbunden. Er strebe vollständige Transparenz an, damit jeder Bürger sich ein eigenes Bild machen könne, verkündete der Präsident im Fernsehen. Ein Versprechen, das Millionen Bürger hörten und lasen.

Und nun die Flucht in den Formalismus? Journalisten hat Wulffs Anwalt ja 400 Antworten auf 400 Fragen gegeben. Dass die Antworten auf die Journalistenfragen veröffentlicht werden, damit mussten Wulff und sein Anwalt ja rechnen - was soll die Presse auch sonst damit tun?

Dass sich Lehr hinter seiner anwaltlichen Schweigepflicht verschanzt, ist umso unverständlicher, weil das Präsidialamt in diesen Tagen Journalistenanfragen reflexhaft an den Anwalt aus Bonn weiterleitet. Der Rechtsbeistand hat quasi die Funktion des präsidialen Pressesprechers mit übernommen.

Kein Ende der Spekulationen in Sicht

Das hat Lehr bislang oft auch gut gelöst und auf Journalistenanfragen durchaus zeitnah und zufriedenstellend reagiert. Auch hat das Bundespräsidialamt angekündigt, auf der neuen Online-Plattform "Direkt zu Wulff" gestellte Fragen von Bürgern zu beantworten - zumindest "in der Regel".

Dem selbsterklärten Ziel, "alles" zu veröffentlichen, kommt Wulff so aber kaum näher. Was nicht gefragt wird, bleibt unveröffentlicht. Mag sein, dass das in Wulffs Sinne ist. Ein Ende der Spekulationen ist so jedenfalls nicht in Sicht.

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