Süddeutsche Zeitung

Bundespräsident in Brennpunktbezirken:Integrationskurs für Gauck

Der Bundespräsident hat sich das Thema Einwanderung vorgenommen, aber er ist noch ein Lernender. Bei den Stadtteilmüttern in Berlin-Neukölln erzählt er von seinen Enkelkindern, in Kreuzberg muss er sich grobe Worte gefallen lassen.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Am Ende wird es doch noch Radau geben, und dem Bundespräsidenten wird zum ersten Mal in seiner Amtszeit ein etwas weniger herzlicher Empfang bereitet. "Hau ab!, rufen Demonstranten am Kottbusser Tor in Kreuzberg. "Kriegstreiber!" und: "Nie wieder Deutschland!" Manche halten Schilder hoch, auf denen Joachim Gauck eine Pickelhaube trägt .

Ein nasskalter Mittwoch in Berlin, der Bundespräsident ist zu Besuch in sogenannten Brennpunktbezirken der Hauptstadt. Morgens Neukölln, mittags Wedding, nachmittags am Kottbusser Tor in Kreuzberg, so geht das. Abends will Gauck zurück ins Schloss zur multiethnischen Kultursause. Der Präsident hat sich das Thema Einwanderungsgesellschaft ja schon länger auf die Agenda geschrieben. Und bei diesem Thema könnte Gauck der unbequeme Präsident werden, der er sein wollte. Wie unbequem, das ist allerdings noch nicht entschieden. Was auch daran liegen könnte, dass Gauck beim Thema Integration noch ein Lernender ist, was er nicht verbergen will und kann.

Gleich morgens also geht es los in Neukölln, einem dieser Stadtteile, die seit Jahren gegen den Ruf kämpfen, die Bronx der Republik zu sein. Für große Teile von Neukölln stimmt das längst nicht mehr, nach Kreuzberg wird auch dieser Bezirk zum begehrten Revier für junges Volk, Immobilienspekulanten, Wohnungskäufer. Ein Vielvölkerbezirk ist das, der weiter gegen Armut und Vernachlässigung kämpft, aber auch gelernt hat, sich selbst zu helfen.

Im "Tower", einem Stadtteilzentrum, warten Stadtteilmütter auf Gauck. Draußen auf dem stillgelegten Rollfeld des Flughafens Tempelhof schieben Rollschuhfahrerinnen teure Buggys vor sich her, im "Tower" sitzen Mütter mit und ohne Kopftuch, die Einwandererfamilien betreuen. Vor allem solche, die zurückgezogen leben, die gefangen sind in konservativem Denken, manche auch in Gewalt. In solche Familien dringen deutsche Behörden kaum vor. Stadtteilmüttern, die selbst Migrantinnen und von der Diakonie ausgebildet sind, wird da schon eher die Tür geöffnet.

Heinz Buschkowsky erklärt das dem Präsidenten jetzt mal, der Bürgermeister von Neukölln ist ja bekannt für sein Mundwerk. Ein "Doppelwhopper" seien Stadtteilmütter, verkündet er, weil sie Kinder großziehen, aber auch anderen Familien helfen, "der Burner schlechthin". Zehn Jahre gebe es das Projekt jetzt, elf Preise habe es kassiert, aber die Frauen müssten trotzdem Jahr für Jahr um ihre Jobs bangen.

Der Bundespräsident unterbricht den Bürgermeister, will lieber mit den Frauen reden. Vorher bricht er aber noch auf zu einem Exkurs über den "Begriff der Selbstermächtigung", der ihm so wichtig sei, weil der Mensch doch Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen könne, statt sich nur "als Opfer zu fühlen". "Wir sind dabei zu begreifen, dass wir ein Einwanderungsland sind", sagt Gauck, "manche wollen das nicht". Rundum höfliche Gesichter.

Die erste Stadtteilmutter, die zu Wort kommt, ist dann nicht so der Opfertyp. Sie hat ein Kind und ein abgeschlossenes Jurastudium, nur eben leider eines aus Marokko, weshalb sie jetzt in Neukölln Familien mit arabischen Wurzeln betreut und "zufrieden" damit ist, wie sie sagt. Die zweite Stadtteilmutter zieht allein drei Kinder groß und erzählt, dass sie selbst von einer Stadtteilmutter betreut wurde, bevor sie andere Familien betreuen ging. "Sind das afrikanische Familien oder geht das querbeet?", fragt Gauck. Die Stadtteilmutter ist schwarz, das meint er wohl. "Ich spreche Französisch, aber ich besuche auch deutsche Familien", sagt die Frau. Den Rest überspringt sie gnadenhalber.

Buhrufe für den Bundespräsidenten

Dass die Kurdin nicht nur Kurdinnen besucht und eine schwarze Haut nicht fürs Afrikanische qualifiziert, lernt der Bundespräsident an diesem Morgen. Eine Rumänin mit sieben Kindern erzählt ihm dann, dass sie sich um Roma-Familien kümmert. Wie schafft sie das?, fragt der Präsident. Seine Töchter seien mit zwei Kindern schon "völlig fertig". Er ist begeistert, das merkt man ihm an, und auch in der Runde wird die Stimmung fröhlicher.

Gauck kann das, Leute auftauen, und wenn er noch nicht ganz trittsicher bei einem Thema ist, macht er das mit Anekdoten aus seinem Leben wett. Das klappt, jedenfalls meistens, aber drei Stunden später erfährt Gauck, dass ihn nicht jeder so mag. Am Kottbusser Tor, wo er am Nachmittag mit jungen Leuten über Identitäten jenseits ethnischer Zuschreibungen reden will, stehen Demonstranten. "Buh!", schreien sie und meinen Gaucks Rede, bei der er den Deutschen mehr Selbstbewusstsein empfohlen hat, auch militärisch. Er wolle für ein "friedliches Miteinander" werben, sagt der Präsident in den Schlachtenlärm hinein. Dann geht er hinein ins "Café Kotti", um sich erklären zu lassen, dass das mit der Identität eine ziemlich verzwickte Sache sein kann.

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SZ vom 20.03.2014/mane
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