Bundespräsident gesucht:Wenn das höchste Staatsamt gerettet werden muss

Der junge Bundespräsident Christian Wulff war dem Amt nicht gewachsen und ist daher in seinem Amt nicht alt geworden: Die Erwartungen an seinen Nachfolger sind damit fast ins Unermessliche gestiegen. Welche Anforderungen der neue Präsident erfüllen muss - und warum die Öffentlichkeit nichts Unmögliches verlangen darf.

Heribert Prantl

Der Rücktritt war ein starker Auftritt. In den letzten Minuten seiner Amtszeit hat Christian Wulff zu der Klarheit gefunden, die ihm vorher gefehlt hat. Er hat nicht versucht zu mogeln. Er hat nicht versucht, noch so halb im Amt zu bleiben. Er hat nicht versucht, das Amt ruhen und dann irgendwann wiederaufleben zu lassen. Er hat nicht den Grafen Lambsdorff gemacht. Er hat es also nicht so gehalten wie damals, 1983/84, der FDP-Wirtschaftsminister im Kabinett Kohl - der die Aufhebung seiner Immunität ungerührt verstreichen ließ und erst zurücktrat, als er wegen Steuerhinterziehung angeklagt (und später auch verurteilt) wurde.

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Christian Wulffs Amtszeit als Bundespräsident dauerte nur eineinhalb Jahre.

(Foto: AFP)

Christian Wulff hat sich zuletzt, in den letzten Minuten seiner Amtszeit, ein Verdienst erworben, weil er dem Land weitere quälende Debatten und verstörende Bilder ersparte. Es wird nun nicht dazu kommen, dass im Bundestag im Rahmen einer Debatte über die Aufhebung der Immunität die Wäsche des Präsidialamts gewaschen wird. Es wird nun nicht dazu kommen, dass Staatsanwälte im Schloss Bellevue den Präsidenten als Beschuldigten einvernehmen.

Das alles wäre eine staatspolitische Katastrophe gewesen. Das Amt des Bundespräsidenten liegt zwar nach den vergangenen Monaten am Boden der Verfassung; aber Wulff hat verhindert, dass es dort nun auch noch getreten und zertreten wird. In den letzten Minuten seiner Amtszeit hat Wulff dem Amt, in dem er gescheitert ist, wieder ein klein wenig Würde zurückgegeben.

Die Staatsanwaltschaft beschäftigt sich nun mit einem Bundespräsidenten außer Dienst. Das ist schlimm genug, das gab es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Man möchte zugunsten der Staatsanwaltschaft schon davon ausgehen, dass ihre belastenden Erkenntnisse gegen Wulff wirklich stark genug waren, um die Aufhebung der Immunität zu beantragen. Der Anfangsverdacht gegen einen Bundespräsidenten muss ein starker sein, weil die Staatsanwaltschaft um die Folgen weiß: Bei keinem anderen Anfangsverdächtigen hat die Feststellung eines Anfangsverdachts so gravierende Auswirkungen wie bei einem Bundespräsidenten.

Der Antrag auf Aufhebung der Immunität hat dem Bundespräsidenten Wulff quasi den Rücktritt diktiert. Es wäre ein Debakel, wenn sich schließlich herausstellen würde, dass der Tatverdacht nicht hinreicht, eine Anklage zu erheben oder einen Strafbefehl zu beantragen.

Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Aufhebung der Immunität war nicht nur ein strafrechtlicher, sondern auch ein politischer Antrag. Und hier muss man wissen: Es sind zwar die Richter unabhängig, nicht aber die Staatsanwälte. Sie sind weisungsgebunden, ihr oberster Chef ist der Justizminister, in Niedersachsen heißt dieser Bernd Busemann, CDU. Nun muss man sich diese Weisungsgebundenheit nicht so vorstellen, dass der Minister dem Generalstaatsanwalt und dieser wiederum dem Leitenden Oberstaatsanwalt vorschreibt, bestimmte Ermittlungen zu betreiben und andere nicht.

Aber in politisch relevanten Verfahren kann kein Blatt Papier geschrieben werden, ohne dass das zuständige Ministerium davon weiß und über jeden Schritt wacht. Man muss daraus keine Verschwörungstheorien basteln. Man muss es nur wissen: Ohne Wissen und Billigung des Justizministers und also auch des CDU-Ministerpräsidenten McAllister ist die Aufhebung der Immunität gewiss nicht beantragt worden. Dem amtierenden Ministerpräsidenten in Niedersachsen kommt der Rücktritt Wulffs nicht ungelegen: Das erleichtert ihm den Landtagswahlkampf.

Fast unermessliche Erwartungen

Der junge Bundespräsident Wulff war dem Amt nicht gewachsen und ist daher in seinem Amt nicht alt geworden. Nun ist er ein gescheiterter Präsident, und weil er noch jung ist, wird er an diesem Scheitern lange tragen. Dass seine Amtszeit in den letzten Karnevalstagen endet, ist von makabrer, böser Komik. Man kann Mitleid haben mit Wulff, man muss Mitleid haben mit dem Amt, das er bekleidet hat - und auch mit dem kommenden Amtsinhaber, der es wieder aufrichten soll.

Die Erwartungen an ihn oder an sie sind nach den Rücktritten von Horst Köhler und Christian Wulff fast ins Unermessliche gewachsen. Es geht ja nicht einfach nur darum, einen neuen Amtsinhaber zu finden, der von einem möglichst breiten Vertrauen getragen wird. Es geht darum, das höchste Staatsamt zu retten. Die Bundesversammlung muss nicht einfach nur einen Präsidenten wählen. Sie muss dazu beitragen, den Respekt vor diesem Amt wiederherzustellen.

Es ist derzeit das schwierigste Amt, welches das Land zu vergeben hat. Der Vergrößerungsfaktor, mit dem das Leben des Staatsoberhaupts betrachtet wird, ist immer größer geworden. Von seinen Reden wird erwartet, dass sie fast staatsevangeliaren Charakter haben.

Der Bundespräsident soll eine Art Staatsheiliger sein, aber ohne zu viel Pathos und ohne dem Alltag entrückt zu sein. Er soll die Fehler der Menschen kennen, aber selbst möglichst keine haben. Kurz gesagt: Der liebe Gott soll ein Deutscher sein, an der Spitze des Staates. Da kann sich die Bundesversammlung noch so anstrengen, so einen wird es nicht geben.

Es reicht ja schon, was die Lehrbücher dem Staatsoberhaupt seit jeher ins Stammbuch schreiben: Er soll, so schreibt der Tübinger Ordinarius Martin Nettesheim im dritten Band des Handbuchs für Staatsrecht, den Bedarf nach einer Person befriedigen, "auf die sich in guten wie in schlechten Zeiten die Blicke richten können". Röntgenblicke hält aber keiner auf Dauer aus. Der Bundespräsident soll, sagt der Staatsrechtler, klug reagieren, "wenn es im Raum des Politischen Abirrungen und Fehlentwicklungen gibt". Es wäre freilich auch eine Abirrung, vom Staatsoberhaupt Übermenschliches zu erwarten.

Das Land braucht wieder einen Präsidenten, der das richtige Maß hat. Aber auch die Öffentlichkeit darf bei ihren Anforderungen nicht maßlos sein. Nicht nur das künftige Staatsoberhaupt muss sich anstrengen. Auch die Öffentlichkeit muss sich anstrengen: Sie darf nichts Unmögliches verlangen.

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