Bundespräsident Gauck:Stärke der Symbolfigur

Bundespräsident eröffnet Hansetag in Lübeck

Bundespräsident Gauck spricht auf dem Internationalen Hansetag in Lübeck.

(Foto: dpa)

Der Bundespräsident ist kein politischer Kastrat, er muss sich keinen Knoten in die Zunge machen. Denn ein Präsident, der nichts sagt, wäre eine Schaufensterpuppe der Demokratie oder bestenfalls ein Grüßonkel. Deshalb darf er ruhig auch ein wenig danebenformulieren.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Das Wort "Spinner" bleibt auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine strafbare Beleidigung. Karlsruhe hat keinen Freibrief für Beleidigungen ausgestellt. Ein Mieter, der seinen Vermieter wegen einer Mietererhöhung als "Spinner" bezeichnet, darf sich auch künftig nicht auf das höchste Gericht berufen. Und wer bei einer Verkehrskontrolle einen Polizeibeamten so tituliert, muss nach wie vor mit einer Geldstrafe rechnen - die Strafbefehle liegen hier bei 1600 Euro.

Auch der Bundespräsident hat nicht die Lizenz zu Beleidigung und übler Nachrede. Der höchste Repräsentant des Staates hat sich im konkreten Fall freilich nicht bei einer Straßenverkehrskontrolle einschlägig geäußert, sondern bei einer Diskussion mit Berufsschülern über Rechtsextremismus, Rassismus und militante Ausländerfeindlichkeit - und in diesem Zusammenhang Rechtsextremisten, Rassisten und militante Ausländerfeinde als "Spinner" bezeichnet. Das ist eigentlich noch eher milde; da könnte einem auch noch Härteres einfallen - "Verfassungsfeinde" zum Beispiel.

Wer will eine Schaufensterpuppe der Demokratie?

Joachim Gauck hat keine Namen genannt, er hat nicht eine Partei, er hat nicht bestimmte Politiker attackiert. Er hat auch nicht die NPD als verfassungsgefährliche, aber nicht verbotene Partei und ihre Wähler als Kollektiv beleidigt. Er hat, wie das die Juristen formulieren, ein "negatives Werturteil" über eine nicht genau spezifizierte Zahl von Menschen abgegeben, die aus der Geschichte nichts gelernt haben. Das darf er - und zwar nicht nur deswegen, weil er Bundespräsident ist. Das darf jeder Demokrat. Und was jeder Demokrat darf, darf der oberste Repräsentant dieser Demokratie erst recht; auch wenn man bei ihm eher eine feinere Ausdrucksweise sucht.

Der Bundespräsident sollte es verstehen, "die großen Streitfragen intellektuell ins Schweben zu bringen und handliche Begriffe in den Diskurs zu werfen", hat der Politologe Hans-Peter Schwarz einmal gesagt. Das Wort "Spinner" ist zwar handlich, bringt aber nicht unbedingt etwas ins Schweben. Am Wort sollte man aber nicht kleben bleiben. Wichtig ist etwas anderes: Der Bundespräsident ist kein politischer Kastrat, er muss sich keinen Knoten in die Zunge machen. Zumal dann, wenn er sich in freier Rede äußert, darf er das pointiert tun. Niemand will einen Bundespräsidenten hören, der vor lauter Vorsicht nur noch Nichtssagendes sagt. Der Präsident soll überparteilich sein, aber nicht weichgespült. Ein Präsident, der nichts sagt - er wäre eine Schaufensterpuppe der Demokratie oder bestenfalls ein Grüßonkel. Er darf auch einmal ein wenig danebenformulieren.

Demokratie braucht Inszenierung

Jahrzehntelang ist nun darüber debattiert worden, ob der Bundespräsident zu wenig Macht hat, ob seine Kompetenzen ausgebaut, ob er womöglich vom Volk gewählt werden soll. Nichts davon ist nötig. Ein guter Präsident kommt, die Geschichte der Republik hat es gelehrt, mit den schmalen Kompetenzen, die er hat, gut zurecht. Und einem schlechten Präsidenten will man nicht auch noch mehr Kompetenzen gönnen. Theodor Heuss, Gustav Heinemann und Richard von Weizsäcker haben gezeigt, welche Stärke, welchen Einfluss eine Symbolfigur entwickeln kann.

Das Doppelurteil des Bundesverfassungsgerichts zu den "Äußerungsbefugnissen" des Bundespräsidenten und zu den Rechten und Pflichten der Bundesversammlung, die ihn wählt, ist ein Lob auf diese Symbolik. Dieses Doppelurteil könnte die Kraft haben, Debatten um eine Veränderung der verfassungsrechtlichen Stellung des Bundespräsidenten zu beenden. Die Geschichte der Bundesrepublik lehrt, dass das Land und ihre Präsidenten einigermaßen zueinandergepasst haben, auch wenn der eine oder andere, zuletzt Christian Wulff, die Passform nicht hatten, die man sich gewünscht hätte.

Strahlkraft nicht verloren

Das Amt hat trotzdem - wie Joachim Gauck zeigt - seine Strahlkraft nicht verloren. In diesem Amt verbindet sich idealiter das Zeremonielle mit kluger und bisweilen aufrüttelnder Rede. Auch Demokratie braucht das Zeremonielle. Auch Demokraten sind Voyeure. Weil Politik eine öffentliche Angelegenheit ist, braucht sie das Ereignis, in dem sie sich legitimiert, abbildet, verdichtet, symbolisiert; sie braucht den Auftritt, in dem sie sich präsentiert und sich bestätigen lässt. Politik, die auf jegliche Inszenierung verzichtet, funktioniert nicht.

Die Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten nur wählt, aber nicht über ihn diskutiert, ist Teil dieser demokratischen Inszenierung - schlicht, aber doch wirkungsvoll. Es ist gut, dass das Verfassungsgericht die Bundesversammlung so belässt, wie sie ist: als demokratische Krönungsmesse für den obersten Repräsentanten und obersten Diskutanten der Republik.

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