Bundespräsident Gauck in Nahost:Er darf ja nur reden

Joachim Gauck spricht von der Sicherheit Israels nicht als deutscher "Staatsräson" - wie Kanzlerin Merkel. Auch den Satz seines Vorgängers Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland, vermeidet er. Wer dahinter billige Retourkutschen vermutet, liegt falsch. Gaucks Entscheidung zeigt vielmehr, dass dieser Bundespräsident sich bewusst ist, welche Konsequenzen Worte haben können.

Nico Fried

Es heißt, das wichtigste Instrument eines Bundespräsidenten sei die Sprache. Und das nun seit gut drei Monaten amtierende Staatsoberhaupt wurde von nichts so parteiübergreifend ins Amt begleitet wie von der Zuversicht, dass gerade dieser Joachim Gauck, der frühere Pfarrer und erprobte Redner, dieses Instrument besonders gekonnt einsetzen werde.

Joachim Gauck

Sorgsam gewählte Worte: Joachim Gauck bei seiner Nahost-Reise, hier am Donnerstag in Ramallah nach einem Gespräch mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.

(Foto: AP)

Bei seinem Besuch in Israel hat Gauck nun sehr viel Richtiges in richtiger Weise gesagt, was ihm dort zur Ehre gereicht. Zuhause in Deutschland hat er ironischerweise die meiste Beachtung für ein Wort erhalten, das er gerade nicht gesagt, ja, das er bewusst vermieden hat.

Gauck hat sich den Begriff vom Existenzrecht und der Sicherheit Israels als deutsche "Staatsräson" nicht zu eigen gemacht. Damit ist er in eine öffentliche Bewertungsmaschinerie geraten, die gewohnheitsmäßig (und in der Alltagspolitik meist mit gutem Grund) zuerst darauf schaut, gegen wen eine Aussage gerichtet ist. Und sei es eine Aussage durch Weglassung.

Mithin ist klar: Der Bundespräsident wollte der Bundeskanzlerin eins auswischen, die den Begriff von der Staatsräson wiederholt gebraucht hat, erstmals 2007 vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York und 2008 noch einmal im israelischen Parlament. Diese Deutung liegt auch nahe, weil Angela Merkel diesen Gauck bekanntermaßen als Bundespräsident nicht wollte.

Damit scheint die Geschichte schon erzählt zu sein. Doch das wäre sie nur, wenn man Gauck eine Neigung zur billigen, demonstrativen und damit für jedermann leicht erkennbaren Retourkutsche unterstellte - also jenem Gauck, den so viele doch wegen seiner über Jahrzehnte erworbenen Integrität des höchsten Staatsamtes für besonders würdig erachtet haben.

Statement quasi im Vorbeigehen

So richtig mag das eine zum anderen nicht passen. Niedere Instinkte sind natürlich menschlich, übrigens auch politisch. Und ein Bundespräsident, ja selbst dieser Bundespräsident, ist auch nur ein Politiker und Mensch. Aber traut man ihm, dem man allenthalben so viel zugetraut hat, jetzt nicht ein bisschen wenig zu, wenn man seine Weglassung nur als Affront beurteilt?

Man kann Joachim Gauck vorwerfen, dass er selbst zu freien Interpretationen beigetragen hat, weil er in Israel auf die Frage nach der Staatsräson etwas zu wenig Sorgfalt verwendet hat. Es mag eine Mischung aus fröhlichem Selbstvertrauen und der Unerfahrenheit als Präsident gewesen sein, die Gauck dazu verleitete, über dieses Thema bei einem Statement quasi im Vorbeigehen zwischen zwei Terminen zu reden.

Dafür ist das Thema aber zu wichtig. Und dafür sind die Sensibilitäten auch zu groß. In einem Interview, das parallel zu seiner Reise erschienen ist, sagt der Bundespräsident dagegen nicht nur, dass Merkels Satz "aus dem Herzen meiner Generation" komme, sondern legt auch dar, wie ihn die Sorge umtreibt, ob es gelingt, diesen Appell in politisches Handeln umzusetzen.

Wie Gauck gedankliche Trägheit erschüttert

Nun ist es so, dass ein Gedanke des Bundespräsidenten auch dann einen Wert besitzen kann, wenn er nicht gegen die Kanzlerin oder jemand anderen gerichtet ist. Es gibt in der bisherigen Amtszeit Gaucks eine interessante Parallele: Sie betrifft den Satz seines Vorgängers Christian Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland. Auch diesen Satz wollte Gauck nicht übernehmen. Er würde ihn "so nicht formulieren", hat er gleich nach seiner Wahl gesagt.

Wollte er damit nur gegen seinen Vorgänger nachtreten? Oder ist er gar ein Gegner des Islam und der Migranten? Natürlich nicht. Der bewusste Kniff, sich Begriffe anderer nicht einfach anzueignen, spricht eher dafür, dass dieser Bundespräsident eben nicht nur im Reden gekonnt mit Sprache umgeht, sondern auch im Schweigen.

Er verwendet Sprache meistens klug, aber er hinterfragt sie auch. Wer wüsste schließlich besser als ein Kirchenmann, dass mit dem Aussprechen eines Wortes der Anspruch, der damit erhoben wird, noch längst nicht erfüllt ist.

Im Falle des Islam in Deutschland hat Gauck immer darauf hingewiesen, dass für ihn in der Integration von Migranten eine Aufgabe für alle Beteiligten steckt, die über das Anerkenntnis einer Kultur als Teil Deutschlands hinausgeht. Im Falle Israels hat er jetzt auf die Bedeutung abgehoben, die Merkels Wort von der Staatsräson im äußersten Fall haben könnte, nämlich einen Krieg im Nahen Osten mit deutscher Beteiligung, welcher Art auch immer.

Grenze zur operativen Politik

Gauck hat damit bei zwei für Deutschland sehr wichtigen Themen eine gedankliche Trägheit erschüttert, wie sie sich gelegentlich bei Begriffen oder Umständen einstellt, wenn sie denn einmal ausgesprochen sind.

Nur weil ein Bundespräsident einen Begriff auf seine Bedeutung hin abklopft, widerspricht er ihm aber nicht gleich. Wenn Gauck sagt, er wolle sich die Schwierigkeiten lieber nicht vorstellen, in die Merkel mit ihrem Wort von der Staatsräson geraten könnte, stellt er sich nicht gleich gegen die Aussage als solches.

Wohl aber macht er deutlich, wohin die Verpflichtung ein Land führen kann, das die historische Last des Holocaust trägt, wenn es diese Verpflichtung ernst nimmt. In gewisser Weise zieht Gauck sogar selbst noch einmal deutlich jene Grenze, die ihn von der operativen Politik trennt: Er darf nur reden. Andere müssen womöglich handeln.

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