Bundespräsident Gauck in Griechenland:Zwischen Schuld und Schulden

Joachim Gauck und Karolos Papoulias

Im Januar 2013 war der griechische Staatspräsident Karolos Papoulias (links) zu Gast in Berlin, nun reist Bundespräsident Joachim Gauck nach Griechenland.

(Foto: dpa)

Joachim Gauck reist nach Griechenland - es könnte ein kniffliger Besuch werden. Der Bundespräsident muss einen Spagat schaffen zwischen dem Gedenken an schwere NS-Kriegsverbrechen und ermunternden Worten zur aktuellen Finanzkrise.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es könnte eine Reise der Gegensätze werden, oder diplomatisch ausgedrückt: des großen Spannungsbogens. Bundespräsident Joachim Gauck fliegt nach Griechenland, als vierter Bundespräsident der Geschichte und als erster, der sich bemüßigt fühlt, eine Bitte um Vergebung nach Athen zu tragen.

Gauck will an die Verbrechen der Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs in Griechenland erinnern, zum einen. Zum anderen aber will er das überschuldete Land, in dem das Bild des hässlichen Deutschen wieder umgeht, zum Durchhalten ermuntern und dazu, Verantwortung für eigene Misswirtschaft zu übernehmen. Das könnte, sagen wir, auch mal knifflig werden.

Mit Jubelrufen jedenfalls ist nicht unbedingt zu rechnen, wenn Joachim Gauck mit seiner Gefährtin Daniela Schadt am Mittwochnachmittag die Akropolis betritt, um sich unter den weltberühmten Marmortrümmern einen ersten Eindruck zu verschaffen von dem Land, das die Deutschen stets als Schatzkammer der Antike verehrt haben, um seine jüngere Geschichte umso eiliger zu vergessen.

Fußnote im großen Buch des Gedenkens

Anders als die Untaten, die Deutsche den Polen, Russen oder Niederländern im Zweiten Weltkrieg angetan haben, hat das Wüten von Wehrmachtssoldaten in Griechenland zwischen 1941 und 1944 so gut wie keinen Eingang in deutsche Schulbücher gefunden. Auch frühere Bundespräsidenten sparten mit klaren Worten. Johannes Rau aber raffte sich auf, im Jahr 2000 die Kleinstadt Kalavrita zu besuchen, in der die Wehrmacht 1943 ein Massaker angerichtet hatte. Rau sprach von tiefer "Trauer und Scham", immerhin. Das Wort Vergebung fiel auch dort nicht. Griechenland ist im großen Buch des Gedenkens Fußnote geblieben.

Das also soll jetzt anders werden, weshalb der Bundespräsident seine Reise ganz offiziell in einen Reigen früherer Besuche an Orten schwerer Kriegsverbrechen eingereiht sehen will. Nach Lidice in Tschechien, Sant'Anna di Stazzema in Italien und Oradour in Frankreich lässt Gauck sich vom griechischen Präsidenten Karolos Papoulias in dessen Heimatregion begleiten, den Epirus.

In der Bergregion im Nordwesten Griechenlands kämpfte Papoulias als junger Mann an der Seite linker Partisanen, erst gegen die Italiener, dann gegen die Deutschen. Gauck und Papoulias dürften sich verstehen, nicht nur weil der Grieche fließend Deutsch spricht, sondern weil beide zu einer Generation gehören, deren politische Sozialisation sich aus dem Erleben von zweierlei Diktaturen speist.

Gedenken an grausame Vernichtungsaktion in Lyngiádes

Die beiden Präsidenten werden Lyngiádes besuchen, ein Bergdorf, in dem deutsche Gebirgsjäger 1943 kaum einen Stein auf dem anderen ließen. In einer grausamen "Sühnemaßnahme" für einen Hinterhalt von Partisanen, bei dem ein Wehrmachtskommandant umkam, trieben die Deutschen die Dorfbevölkerung von Lyngiádes zusammen. Die meisten waren Kinder, alte Leute und Frauen. Kaum ein Mann war im Dorf, Gegenwehr so gut wie inexistent, da alle, die bei Kräften waren, bei der Ernte waren. Was folgte, war eine Vernichtungsaktion, bei der die schreienden Menschen in Keller getrieben und dort niedergeschossen wurden, bevor die Deutschen die Häuser ansteckten.

Fünf Menschen überlebten unter den Leichen, 83 Menschen kamen um, der älteste Tote war 100 Jahre alt, das jüngste Kind nur wenige Monate. Keiner der Täter wurde je zur Verantwortung gezogen. Heute erinnert eine Stele an das Kriegsverbrechen von Lyngiádes, das in Deutschland bislang nur Eingeweihte kannten. Wenn Gauck hier nach den richtigen Worten suchen wird für das, was Jahrzehnte beschwiegen wurde, werden ihn dabei zwei Jugendliche aus Nordrhein-Westfalen begleiten, die als Young Workers for Europe auf einem jüdischen Friedhof im nahen Ioannina arbeiten.

Kritisch dürften Fragen nach Reparationszahlungen werden

Letzteres dürfte nach dem Geschmack des Bundespräsidenten sein, der gern engagierte junge Leute trifft. Andere Programmpunkte hingegen könnten kritischer werden, der Besuch der jüdischen Gemeinde von Ioannina etwa. Dort werden wohl Fragen nach den 1,9 Millionen Drachmen laut werden, die die Wehrmacht 1942 von der jüdischen Gemeinde Thessaloniki erpresste, angeblich, um 9000 Männer vor Zwangsarbeit zu bewahren. Die Männer wurden dennoch deportiert, jetzt klagt die Gemeinde in Straßburg auf 50 Millionen Euro, mit Zinsen.

Aber auch deutsche Reparationszahlungen dürften bei Gaucks Besuch zur Sprache kommen. Widerstandsgruppen sollen Ansprüche von bis zu 162 Milliarden Euro errechnet haben. Auch die griechische Regierung prüft, ob da noch Rechnungen offen sind. Die Bundesregierung sieht den Fall als erledigt an.

Gauck wird da keine Abhilfe schaffen können, aber auch nicht mit ganz leeren Händen kommen. Für den Aufbau eines deutsch-griechischen Jugendwerks etwa soll er Mittel im Gepäck haben, aber auch für einen griechisch-deutschen Zukunftsfonds, der dem erstaunlichen Nichtwissen junger Leute über die Kriegsverbrechen von einst ein Ende bereiten soll.

Von der Schuld zu den Schulden

Bleibt die griechische Gegenwart, die mühselige, die den Rest von Gaucks Reise dominieren wird. Ein Essen mit dem griechischen Ministerpräsidenten Antonis Samaras steht auf dem Programm, auch ein Treffen mit Existenzgründern oder Alexis Tsipras, dem Anführer des radikal linken Parteienbündnisses Syriza. Angela Merkel wollte den jungen Wilden gar nicht erst kennenlernen, bei Gauck überwiegt offenbar die Neugier.

Wie will der Präsident es eigentlich fertigbringen, sich vor den NS-Opfern zu verneigen, beim Thema Finanzkrise nicht als Zuchtmeister Europas aufzutreten, einen versöhnlichen Ton anzuschlagen, dabei aber strikt den Eindruck zu vermeiden, vom Europakurs der deutschen Kanzlerin abzuweichen? "Der Bundespräsident und die Bundeskanzlerin haben verschiedene Rollen", heißt es im Präsidialamt. Und dass der Herr des Hauses schon irgendwie einen Bogen schlagen wird von der Schuld zu den Schulden und der Frage, auf wessen Schultern sie zu verteilen sind.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: