Bundespräsident: Die Union nach der Wahl:Das Gift des Zweifels

Gefangen zwischen Enttäuschung und Wut steht für viele in der Union fest: Was bei der Wahl des Bundespräsidenten geschah, ist mehr als nur eine Warnung. Jetzt drängt die Frage: Wer ist Schuld am Debakel?

Stefan Braun, Berlin

Als alles vorbei ist, stürzen sich Angela Merkel und Horst Seehofer in den Kampf um die Verbreitung der richtigen Botschaft. Kaum ist Christian Wulff am späten Mittwochabend mit Ach und Krach zum Bundespräsidenten gewählt, gehen die Parteichefs von CDU und CSU vor die Kamera. Genauer: Die beiden gehen so ziemlich vor jede Kamera und jedes Mikrofon, das sich ihnen nach diesem Tag bietet. Öffentlich-rechtliche Sender im Doppelpack, dann Private, danach Phoenix und schließlich Radio - auf allen nur erdenklichen Wegen wollen die Parteichefs der Union ihre Deutung der Ereignisse unters Volk bringen. Insbesondere wollen sie dem Eindruck des Fast-Debakels was entgegenhalten. Das wirkt kämpferisch, ja entschlossen. Und für einen kurzen Moment könnte man glauben, die beiden hätten die Botschaft tatsächlich verstanden.

Angela Merkel, Volker Kauder

"Es gab keine Rauchzeichen, keine erkennbaren Gegner. Das macht die große Zahl an Nein-Sagern so bedrohlich": Angela Merkel und CDU-Fraktionschef Volker Kauder am Donnerstag im Bundestag.

(Foto: ap)

Dieser Eindruck indes hält nicht lange. Kaum haben die Kanzlerin und der CSU-Chef begonnen, die Lage in Worte zu fassen, kann jeder erkennen, dass CDU und CSU auch nach einem solchen Unfall nicht die gleiche Sprache finden. Merkel ist, wie sie immer ist: Sie fixiert alles auf das Ergebnis. Andere würden sagen: auf das, was hinten raus kam. Gewählt sei Christian Wulff, das sei entscheidend, erklärt sie. Zum Schluss habe es eine "gute Mehrheit" für Wulff gegeben, das allein zähle wirklich. Im übrigen werde die Koalition weiter gut arbeiten. Die Kanzlerin bemüht sich, gelassen zu wirken. "Da das unser gemeinsamer Kandidat war, bin ich überzeugt, dass er uns auch Kraft geben wird."

Bei Seehofer klingt das anders. Er lobt kurz Wulffs Wahl und widmet sich dann sehr lange und sehr ausführlich seiner Enttäuschung. Nein, so der CSU-Chef, das Ergebnis dürfe nicht ignoriert, es müsse dringend auf seine Ursachen hin aufgearbeitet werden. Zurück zur Tagesordnung? Nein, das dürfe auf gar keinen Fall passieren. Was am Mittwoch geschehen sei, sei mehr als eine kleine Warnung. "Es gab keine Rauchzeichen, es gab keine erkennbaren Gegner. Das macht die große Zahl an Nein-Sagern so bedrohlich." Während die Kanzlerin die Ereignisse schön reden möchte, will Seehofer, dass sich Grundsätzliches ändert. Das passt in der Tat gut als Sinnbild des Tages. Exemplarischer können die Unterschiede in der Koalition kaum mehr zutage treten. Beide wollen Schuldzuweisungen zwar vermeiden. Ansonsten aber gehen ihre Botschaften schon eine halbe Stunde nach dem Nochmalgeradebenso-Erfolg wieder diametral auseinander. Das ist ihre tatsächliche Botschaft.

Und das ist mittlerweile symptomatisch für die gegenwärtige Lage. Jedenfalls symptomatisch für die Stimmung, die seit Wochen, ja Monaten um sich greift zwischen einer Kanzlerin samt Umgebung - und den allermeisten anderen in ihrem schwarz-gelben Bündnis. Am Tag nach der Wahl kann man in Berlin zahlreiche Unionsabgeordnete sprechen, die - gefangen zwischen Zorn und Enttäuschung - ihrer Wut freien Lauf lassen. Wut vor allem, weil sie ein Problem ausgemacht haben, das sie seit langem kritisieren. "Wir werden nicht eingebunden. Seit Monaten laufen alle möglichen Entscheidungen an uns vorbei, sie werden getroffen, bevor wir ein einziges Wort dazu sagen können." Als Beispiel wird in solchen Gesprächen angeführt, dass sich Bundestagsabgeordnete schon fast zwangsläufig daran gewöhnt haben, von wichtigen Beschlüssen erst aus der Presse zu erfahren. So sei das bei der Nominierung von Christian Wulff gewesen. Und auch nach der großen Kabinettsklausur sei erst die Presse und dann die Fraktion informiert worden. "Hier stimmt etwas grundsätzlich nicht", schimpft ein Abgeordneter, der seit langem das Gefühl hat, dass die Parlamentarier im Denken und Handeln der Kanzlerin eine viel zu kleine Rolle spielen. "Wir werden nicht mehr ernst genommen, das ist die Lage." Es versteht sich fast schon von selbst, dass sich diese Abgeordnete nicht über das schlechte Ergebnis wundern.

Die große Erschöpfung

Dieses Problem wird im übrigen nicht dadurch geringer, dass viele Abgeordnete dies schon befürchtet haben, bevor die Wahl am Mittwoch zum Denkzettel für Merkel werden konnte. Es hat nämlich, was man am Donnerstag auch erfahren kann, zahlreiche Warnhinweise an Merkels Umgebung, aber auch an die Kanzlerin ganz persönlich gegeben. Und was viele Abgeordnete bedrückt bis verärgert, ist so oder sehr ähnlich auch aus den einzelnen Bundesländern zu vernehmen. Neuneinhalb Stunden Bundesversammlung bieten viel Zeit und viele Pausen, um mit allen möglichen Landespolitikern zu sprechen. Ob Atomkraft, Solarenergie oder Sicherungsverwahrung - nicht wenige Ministerpräsidenten und CDU-Landesverbände empfinden derzeit vor allem zweierlei: Sie ärgern sich darüber, dass andauernd wichtige Fragen wie Energie, Gesundheit oder Mehrwertsteuer stets noch einmal verschoben werden. "Die Verschieberitis macht uns wahnsinnig", sagt ein Ministerpräsident aus den Ländern. Hinzu komme, dass die Länder, jedenfalls nach eigenem Eindruck, vom Kanzleramt und seiner Regierungschefin nicht oder nur nach bereits getroffenen Entscheidungen beteiligt würden. "Hier hat sich im Regierungsmanagement etwas festgefressen, was unsere Beziehungen seit längerer Zeit immer mehr vergiftet", berichtet der CDU-Generalsekretär eines gar nicht so kleinen Bundeslandes. "Dass das irgendwann zu einer Explosion führen würde, war allen klar, die hingehört haben."

Nun muss an der Stelle daran erinnert werden, dass zumindest in den letzten Stunden vor der Abstimmung bei vielen in der Union die Hoffnung aufkeimte, es könnte ohne größere Schrammen ablaufen. Die große Mehrheit ging deshalb davon aus, dass es ein paar Stimmen für Gauck, aber kein Debakel geben würde. Dass sich dieser Eindruck als Täuschung erwies, macht den Schreck nun freilich größer. "Da haben welche nicht nur gezündelt, die haben bewusst Feuer gelegt. Das macht es gefährlich", fasst ein führender Koalitionär alles zusammen.

Dabei rückt, so ist die Stimmung derzeit, immer mehr das Politikmanagement der Kanzlerin in den Fokus. "Es gibt zu viele Entscheidungsebenen, es gibt zu viele bilaterale Gespräche, es gibt zu viele negative Gerüchte, die ausgestreut werden", argumentiert einer, der bei den allermeisten Koalitionsgesprächen dabei ist. Merkel, so lautet eine zentrale Kritik insbesondere der Unionsfürsten aus den Ländern, denke zu viel an den persönlichen Auftritt und zu wenig daran, eine echte, eine eng verbundene Mannschaft aufzubauen. Schlimmer noch: Bei nicht wenigen in der Koalitionsführung ist bis heute kein Gefühl da, wirklich als Mitstreiter zusammen zu gehören. Einer, der nicht der CDU angehört, fasst es in die Worte: Solange die Kanzlerin sich ihre Mehrheiten dort zusammen suche, wo sie sie gerade finde, könne kein tragfähiges Vertrauen entstehen. "Es fehlt bis heute der eine zentrale Magnet an gemeinsamen Zielen oder Überzeugungen, der uns alle unmissverständlich aneinander bindet", beklagt ein Mitglied des Koalitionsausschusses.

Angesichts solcher Stimmungen, die sich derzeit rasant ausbreiten, kann es kaum überraschen, dass man am Donnerstag bei so manchem engen Mitstreiter von Merkel vor allem einer großen Erschöpfung begegnet. Sie kennen die Kritik, sie wissen, dass sich etwas ändern müsste. Und sie ärgern sich fast schon verzweifelt darüber, dass diese Koalition zwar Erfolge habe, es aber dennoch schaffe, keine Punkte zu sammeln. "Wir schaffen im Bund das beste bürgerliche Ergebnis seit zwanzig Jahren - und können nichts draus machen", klagt einer, der sich bislang zu den Optimisten gezählt hat. "Die wirtschaftliche Lage ist überraschend gut - und wir schaffen es, dass niemand das mit uns verbindet." Man spürt ihm an: So, wie es ist, kann es nicht mehr lange bleiben.

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