Bundespräsident: Der Tag danach:Meuterei gegen Merkel

In der Union brodelt und gärt es nach dem Wahldesaster in der Bundesversammlung. 44 fehlende Stimmen aus dem Lager der Koalition im ersten Wahlgang haben Kanzlerin Angela Merkel deutlich gezeigt, dass es brennt in der CDU. Dabei ist niemand ernsthaft an Neuwahlen interessiert. Ein Erklärungsversuch

Thorsten Denkler, Berlin

Technischer K. o., so lässt sich wohl umschreiben, was da am gestrigen Mittwoch in der Bundesversammlung passiert ist. Angezählt sind die schwarz-gelbe Regierung und vor allem ihre Vorsteherin Angela Merkel, Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende.

Bundestag

Der Tag nach dem Wahlkrimi in der Bundesversammlung: Bundeskanzlerin Angela Merkel stützt ihre Hand auf das Kinn. Ihre schwarz-gelbe Regierung kommt nicht zur Ruhe.

(Foto: ddp)

Die Fakten: Allein im ersten Wahlgang fehlten 44 Stimmen aus dem Regierungslager für den eigenen Kandidaten Christian Wulff. Auch im zweiten Wahlgang unterbot Wulff die absolute Mehrheit deutlich, obwohl Schwarz-Gelb 21 Stimmen mehr als nötig hatte. Erst im dritten Wahlgang schaffte Wulff mit drei Stimmen Vorsprung die absolute Mehrheit.

Nur hätte da auch die einfache Mehrheit gereicht. Das Signal derer, die Wulff erst nicht gewählt haben, ist klar: Zweimal hat Merkel einen donnernden Kinnhaken versetzt bekommen. Im dritten Wahlgang machten sie Wulff klar, dass er nicht gemeint war.

Was aber hat die 44 Meuterer bewogen? Und: Wer sind die überhaupt? Offenbart hat sich noch keiner, darum sind die Erklärungen für den mittwöchlichen "Super-Gauck" rein spekulativer Natur. Wir zeigen drei Szenarien.

These eins: Der Coup war von einer gut organisierten Truppe Unzufriedener von langer Hand geplant.

Dafür spricht das schon bald schulbuchmäßige Stimmverhalten der 44 Abweichler. Im ersten Wahlgang geschlossen keine Stimme für Wulff, viele aber für Joachim Gauck. Im zweiten Wahlgang lassen sie Wulff erneut durchfallen, aber mit dem Signal, dass die einfache Mehrheit in der letzten Runde stehen wird.

Im dritten Wahlgang dann der Triumph für Wulff mit einer nicht mehr nötigen absoluten Mehrheit. Er weiß jetzt, dass er ist nicht gemeint gewesen war. Merkel weiß jetzt: Sie war das Ziel.

Einige Beobachter glauben, dass so eine taktische Meisterleistung kein Produkt des Zufalls sein kann. Dafür müssten sich die 44 aber einem Geheimbund gleich organisiert haben. Nichts ist nach außen gedrungen. Niemand hat auch nur eine Ahnung, wer der Rädelsführer dieses Putschversuches sein könnte.

These zwei: Alles war nur Zufall, bis auf die jetzt messbare Unzufriedenheit vieler aus dem sogenannten bürgerlichen Lager mit der Bundesregierung.

Gründe, Merkel eins auszuwischen, gibt es reichlich. In den konservativen Hochburgen der CDU in Baden-Württemberg und Hessen sträuben sich manchem die Nackenhaare bei dem Gedanken daran, wie Merkel die CDU zur zweiten sozialdemokratischen Kraft im Land hat verkommen lassen. Seien es die Familienpolitik, die neue Migrationspolitik, Merkels Werben für Staatshilfen für Opel, die schlechten Wahlergebnisse in Hessen, Thüringen und Nordrhein-Westfalen.

Es ist in diesem Szenario aber nicht allein die Kanzlerin, sondern der Kandidat selbst, der manchen Kopfschmerzen bereitet. Einige wenige, vor allem aus Baden-Württemberg, werfen Wulff vor, er habe sich den urschwäbischen Autobauer Porsche unter den Nagel gerissen.

Wulff hat sich als Ministerpräsident von Niedersachsen massiv in den Machtkampf zwischen Volkswagen und Porsche eingemischt. Am Ende obsiegten Volkswagen und das Land Niedersachsen, Miteigentümer von VW. Porsche gehört jetzt dem Autokonzern aus dem Norden.

Das Kalkül der FDP

These drei: Die Abstimmungsniederlagen gehörten zu einem abgekarteten Spiel der FDP, um endlich mal als regierungsfähig dastehen zu können.

German Presidential Elections

Die Erleichterung ist ihnen anzumerken: Angela Merkel und Christian Wulff freuen sich nach dem dritten Wahlgang, der endlich die Mehrheit für den Niedersachsen brachte.

(Foto: Getty)

Zugegeben, für dieses Szenario braucht es mehr Phantasie. Aber die Vorstellung hat ihren Reiz: In Umfragen ist die FDP im Keller. Nicht zuletzt deshalb, weil CDU und CSU die FDP regelmäßig auflaufen lassen. Also organisiert die FDP eine Pseudodebatte um eine Handvoll Abweichler aus den eigenen Reihen.

Dann wird getan, als gäbe es in der FDP eine offene und ehrliche Debatte, damit hinterher kein Verdacht auf die Liberalen gelenkt werden kann. Schließlich verkünden Spitzenliberale nach den gescheiterten Wahlgängen, die FDP sei es nicht gewesen, da gebe es nur eine Handvoll Abweichler und die seien namentlich bekannt. Die Botschaft: Wenn hier einer regieren kann, dann ist es die FDP.

Wahrscheinlich aber ist es eine Mischung aus den ersten beiden Szenarien. Dass die Aktion völlig ohne Absprache funktioniert hat, kann sich kaum einer vorstellen. Dass aber alle Abweichler eingeweiht waren, ist auch nicht sehr wahrscheinlich.

Botschaft an die Kanzlerin

Wie auch immer, das Signal an Merkel war deutlich. Vor allem weil sie nicht weiß, wie viele der Abtrünnigen aus der eigenen Fraktion kommen. Schwarz-Gelb hat im Bundestag 332 Stimmen. Das sind 20 Stimmen mehr als für die absolute Mehrheit nötig sind. Da baut sich ein erhebliche Drohpotential auf, wenn nur die Hälfte der Abweichler in der Bundesversammlung aus den Bundestagsfraktionen von Union und FDP stammen.

Die Frage, die sich Merkel stellen muss ist: Hat sie noch eine stabile Mehrheit? Im Moment ist die Frage nicht deutlich zu beantworten. Eine Vertrauensfrage könnte Klarheit bringen. Doch im Moment ist das Risiko hoch, dass Merkel verliert. Neuwahlen aber will derzeit niemand.

Die FDP müsste Sorge haben, ob sie wieder in den Bundestag einziehen kann. Die Union wäre dann ohne Partner, die SPD ist nicht gefestigt genug und den Grünen machen die bis zu 18 Prozent Angst, auf die sie momentan in Umfragen taxiert werden. Nicht mal die Linke glaubt, dass ihr Neuwahlen helfen können, ihr Ergebnis erneut zu verbessern.

Merkel hat nach der Wahl von Wulff angekündigt, dass jetzt regiert werden müsse. Diese Botschaft hat sie offenbar aus dem Wahl-Desaster gelesen. Wenn sie glaubt, dass das reicht, um die Reihen wieder zu schließen, dann dürften sich die 44 womöglich schon sehr bald genötigt fühlen, der Kanzlerin eine erneute Demonstration ihrer Macht zu geben.

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