Süddeutsche Zeitung

Scheidender Bundespräsident Joachim Gauck:Der Anzettler

Zu seinen besten Zeiten fand der scheidende Bundespräsident Joachim Gauck klare Worte. Später hätte man sich manchmal weniger Diplomatie gewünscht.

Kommentar von Constanze von Bullion

Sage uns, welche Musik du hörst, und wir sagen dir, wer du bist. Ginge es nach diesem Motto, müsste man Bundespräsident Joachim Gauck wohl als Chimäre bezeichnen, als Mischwesen, in dem ein Freund der Volksmusik mit einem Popstar und einem unbedingten Mann Gottes lebt. "Freiheit, die ich meine", dieses alte Volkslied hat Gauck sich zum Großen Zapfenstreich gewünscht, mit dem er am Freitag verabschiedet wird. Danach spielt die Kapelle "Über sieben Brücken musst du geh'n" von Karat, den erfolgreichsten Hit der DDR. Es folgt das Lied "Ein feste Burg ist unser Gott", das Martin Luther unter dem Eindruck der Pest geschrieben haben soll (oder aber als Kampfruf gegen osmanische Invasoren).

Hoffnungslos altmodisch werden das diejenigen finden, die Gauck sowieso für einen Mann von gestern halten, schon seines Alters wegen. Jahrgang 1940, das ist für viele junge Menschen gerade so, als sei da einer aus einem fernen Erdzeitalter in die Gegenwart spaziert, um es sich an der Staatsspitze gemütlich zu machen. Wirft man zum Ende der Ära Gauck aber noch einmal einen Blick zurück, dann ist es genau das, Gaucks Alter, das seine Präsidentschaft von einer guten zu einer außergewöhnlichen gemacht hat.

Ein Präsident regiert nicht. Aber er hat die Begleitmusik zu spielen

Joachim Gauck gehört - die Wortwahl sei verziehen - zur aussterbenden Spezies europäischer Politiker, deren Identität geprägt ist von Krieg, Diktaturen und der Erkenntnis, wie leicht eine Kulturnation moralischer Verheerung anheimfallen kann. Dieses Wissen ist bei Gauck kein akademisches. Er hat in der Familie erfahren, was Unrecht und Unterdrückung bedeuten, auch die beispiellose Gefühllosigkeit der Deutschen angesichts des Judenmords. Später hat er erlebt, wie Millionen DDR-Bürger sich taub stellten, um nicht aufbegehren zu müssen gegen ein System, das Menschen an der Grenze zusammenschießen ließ.

Gauck hat das alles oft wortreich beschrieben, ohne es damals wirklich selbst besser gemacht zu haben. Er war kein Ankläger seiner nationalsozialistischen Eltern, und auch kein Freiheitskämpfer der DDR; da gab es Mutigere. Aber wenn man so will, hat er sich und seinen Deutschen seit der friedlichen Revolution ein Mittel gegen das Gift des Funktionierens verordnet: Emotion. Kein Bundespräsident hat das Amt so mit Gefühl gefüllt, mit Tränen über deutsche Kriegsverbrechen, mit Zorn über Autokraten der Marke Putin oder Erdoğan. Die Botschaften kamen nicht immer gut an, aber sie wurden verstanden, auch im Ausland.

Dem Amt hat Gauck so Respekt verschafft. Zum Beispiel bei seinem Besuch in der Türkei, wo er tat, was er am besten kann: Streit anzetteln mit Leuten, die es nicht besser verdienen. Gauck hielt der türkischen Regierung vor, es fehle an Meinungsfreiheit im Land. Solche Töne wünscht man sich heute von Regierenden in Deutschland. Ein Bundespräsident aber regiert nicht, er hat die Begleitmusik zu spielen, womit ein Dilemma von Gaucks Präsidentschaft erreicht wäre.

Gauck hat von Deutschland mehr Einmischung gefordert- auch militärische

Denn wie in der Türkei blieb es nicht. Wäre diese Amtszeit eine Fieberkurve, würde sie nach einem vorsichtigen Start zur Mitte steil ansteigen, um am Ende wieder abzufallen. Am höchsten Punkt aber, jedenfalls nach Gaucks Verständnis, hält er eine Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz.

Hier gerinnt all das, was er an Lebens- und Diktaturerfahrung mitbringt, zu einer Botschaft: Packt an, notfalls militärisch. Die Deutschen sollen sich in den Konflikten der Welt nicht hinter anderen verstecken - und auch nicht, das ist das weit kontroversere Element, hinter der Einzigartigkeit des Holocaust und dem Nie-wieder-Krieg.

Gauck rührt da ans Allerheiligste der deutschen Nachkriegsgesellschaft, und er hätte wohl gern einen handfesten Geschichtsstreit vom Zaun gebrochen. Er lässt es - zu gefährlich. An anderer Stelle aber hätte man sich gewünscht, dass dieser intellektuelle Querkopf sich weniger einhegen lässt vom Gebot der Diplomatie. Bei Obama sitzt er brav wie ein Schulbub, statt zu fragen, wo die amerikanische Regierung ihre Verantwortung für Kriege und Massenflucht im Nahen Osten sieht. Den Menschenschindern in Chinas Führung erspart Gauck direkte Kritik - und auch den Fremdenfeinden im eigenen Land allzu unbequeme Worte.

In seinen besten Reden hat Gauck das Land ermutigt, sich zu öffnen und dem deutschen "Wir" nicht stets ein zugewandertes "Ihr" entgegenzusetzen. Als es darauf ankam aber, als all die Flüchtlinge kamen, verstummte er fast. Vielleicht, weil das, was er sagen wollte, die Kanzlerin in Schwierigkeiten gebracht hätte. Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich, das gilt eben auch für Präsidenten. Er habe Demut gelernt im Amt, hat Gauck mal gesagt. Er wird fehlen.

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SZ vom 14.03.2017/jly
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