Bundespräsident Christian Wulff:Kein Cicero, kein Zampano

Als bedeutende Bundespräsidenten gelten jene, die sich nicht auf Augenhöhe mit Volk und Politik bewegt haben. Christian Wulff fehlt jedoch jene Selbstgewissheit, um stets drei Stufen höher zu stehen als jeder andere.

Kurt Kister

In den letzten Tagen war viel die Rede von Debakel, Desaster oder Chaos. Zwar ging es nur um die vorzeitige Wahl eines Bundespräsidenten in dieser sehr stabilen Demokratie. Aber Politik und Medien, Talkshowbewohner und Blogger haben es sich längst angewöhnt, so häufig in Superlativen übereinander herzuziehen, dass man manchmal den Eindruck hat, es gebe nur noch Gierige, Schlechte und/oder Dumme in der Politik.

Bundespräsident Christian Wulff

Christian Wulff: Im Amt des Bundespräsidenten noch ein Unfertiger.

(Foto: dpa)

Gewiss, man soll die Dinge klar beim Namen nennen: Die schwarz-gelbe Regierung hat bisher stark enttäuscht, und Angela Merkel befindet sich in der Gefahr, entscheidend an Respekt und Autorität in den eigenen Reihen zu verlieren. Die kleineren Regierungsparteien unter der prägenden Führung von Guido Westerwelle und Horst Seehofer verhalten sich nicht wie Partner in einem Bündnis, sondern wie Konkurrenten und manchmal wie eifersüchtige Nebenbuhler. Weniger vor der immer noch schwächelnden SPD muss sich Schwarz-Gelb fürchten, als eher vor den allmählich zur Volkspartei werdenden Grünen. Die größte Unbill aber für Union und FDP liegt darin, dass sie nicht miteinander auskömmlich und effizient regieren können.

Man sieht das an der Findung des Kandidaten für die Bundespräsidentschaft und an der Wahl selbst. Die Findung erfolgte par ordre de mufti, wobei es sich um Madame Mufti Merkel handelte. Das vergrätzte viele in FDP und CDU. Der Gegenkandidat Gauck hätte zwar bei SPD und Grünen unter anderen Umständen wenig Chancen gehabt, aber man muss den Egotaktikern Gabriel und Trittin zugute halten, dass sie den Eigennutz ihrer Parteien - "schade dem Gegner, wo es nur geht" - als Akt der Besorgnis um das Gemeinwohl zu tarnen verstanden.

Dieser Kampf ums Schloss Bellevue war ein Streit der Parteien in Reinkultur. Weil er nicht nur entlang der üblichen Lagerlinien geführt wurde, sondern bei Schwarz und Gelb auch noch als unbewaffneter interner Konflikt, geriet die Wahl plötzlich viel freier, als dies Demokratietheoretiker vom Schlage Biedenkopfs vorher vor Kameras fordern konnten. Die Wahl hatte sich gewissermaßen selbst freigegeben, was nicht daran lag, dass plötzlich bürgerlicher Pfingstgeist über die Bundesversammlung gekommen wäre. Nein, von Schwarz bis Dunkelrot gab es enorm viele Rechnungen untereinander zu begleichen. Wäre die Linkspartei nicht immer noch in entscheidenden Momenten eine DDR-Selbstverteidigungspartei, dann wäre am Freitag vielleicht nicht der Bundespräsident Christian Wulff vereidigt worden.

Die Antrittsrede - eine durchaus passende Alltagsrede

Christian Wulff ist ein ungewöhnlicher Bundespräsident, weil er für sein Amt jung ist. Gauck hätte eher jener Tradition der älteren Herren entsprochen, die sich ihrer Bedeutung stets überbewusst waren. Schon richtig, Wulff zählt zu den Profipolitikern, die außer Politik und vielleicht familiären Widrigkeiten wenig erlebt haben - wie auch Gabriel, Westerwelle, Trittin oder Guttenberg. Gauck verkörpert dagegen die deutschen Umbrüche. Wulff steht mit seiner Biographie für jene breite, überwiegend westdeutsche Mittelschicht, die nach Jahrzehnten des Friedens und relativen Wohlstands Demokratie als selbstverständlich betrachten und den Streit um Prinzipien eher ironisch belächeln. Gauck wurzelt, wie auch seine schärfsten Gegner auf der Linken, noch im ideologischen Zeitalter.

Die Antrittsrede des neuen Bundespräsidenten war denn auch in vielerlei Hinsicht eine Alltagsrede und deswegen durchaus passend. Wulff zeigte sich als ein für die patriarchalische Geste zu junger Mann, den dennoch der Zustand der Gesellschaft kümmert: Integration, Bildung, innerer Frieden. Hier sprach kein Cicero, schon gar kein Zampano, sondern ein Mensch, der manchmal so wirkte, als gerate ihm die Demut angesichts des großen Amtes zu Beklemmung und Lampenfieber.

Christian Wulff ist im Amt des Bundespräsidenten natürlich noch ein Unfertiger. Die Unsicherheit wird wohl weichen. Ob sie durch Souveränität oder nur durch Routine ersetzt werden wird, weiß man heute noch nicht. Jedenfalls muss man zu seinen (und auch zu unser aller) Gunsten hoffen, dass ihm nicht widerfährt, was Horst Köhler in den Rücktritt trieb. Köhler und Wulff sind sehr verschiedene Menschen. Beiden aber fehlt jene Selbstgewissheit, mit deren Hilfe man im Amte des ersten Repräsentanten stets drei Stufen höher stehen kann als jeder andere, der über einen spricht.

Als "bedeutende" Bundespräsidenten galten jene, die eben nicht "auf Augenhöhe" mit Volk und Politik waren. Im Gegenteil: Die Popularität eines Bundespräsidenten (oder auch eines Kandidaten für dieses Amt) resultiert auch daraus, dass er mal freundlich, mal überheblich distanziert gegenüber der Tagespolitik ist. Beispiele dafür sind bis heute der Präsident a.D. Richard von Weizsäcker sowie der nie gewählte, aber immer amtierende Virtualpräsident Helmut Schmidt.

Ob aus Christian Wulff jemals ein Herr Bundespräsident in diesem Sinne wird, ist eher zu bezweifeln. Aber er ist durchaus geeignet, das heutige Deutschland zu repräsentieren. Er wird Fehler machen, aber er wird vermutlich auch all die superlativischen Aburteiler Lügen strafen. Die Bundesversammlung hat ihn gewählt, im politischen Streit, wie das manchmal passiert. Richtig gut hat dabei keine der beteiligten Parteien ausgesehen, aber ein Desaster hat auch niemand erlitten.

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