Bundespräsident a. D.:Im Angesicht der Diktatur

Joachim Gauck

Zum 80. gibt es ein Ehrenessen in Bellevue: Joachim Gauck.

(Foto: Henning Kaiser/dpa)

Kriegskind, Seemannssohn, ewiger Pastor: Joachim Gauck feiert seinen 80. Geburtstag in Sorge um den demokratischen Konsens in Deutschland.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es gibt bis heute diesen Wunsch, heiße Eisen anzupacken. Auch wenn er sich manches Mal schon die Finger daran verbrannt hat. Und mehr noch als die Plage des Älterwerdens scheint diesen Unruhegeist umzutreiben, wo das Land noch hinwill, in dem nichts bleiben mag, wie es war.

Joachim Gauck wird 80 Jahre alt an diesem Freitag, und wie es eben so ist bei runden Geburtstagen: Schon bevor die Feierlichkeiten beginnen, hagelt es Glückwünsche und gut gemeinte Zuschreibungen. Gauck, Bundespräsident im Ruhestand und erster Ostdeutscher in Schloss Bellevue. Gauck, der immer und ewige Pastor. Gauck der Provokateur, gerne der Wundarzt der deutschen Seele, der Finger-in-die-Wunde-Leger. Und dann ist da noch der Seemannssohn Gauck, der es ins allerhöchste Staatsamt geschafft hat, nicht immer zur Freude des gesamten Publikums, meist aber zur eigenen.

Nein, es haben nicht immer alle applaudiert, wenn Joachim Gauck etwas zu sagen hatte. Und sein Leben, das zwei Diktaturen durchquert hat, darunter 40 Jahre einen von ihm verachteten Staat namens DDR und die friedliche Revolution, ist auch im höchsten Amt der Bundesrepublik ein gezeichnetes geblieben.

Gauck, Jahrgang 1940, hat früher gern mal aus seiner Kindheit an der Ostsee erzählt. Eine Welt ist das, in der viel gelesen und bei Unbotmäßigkeit hart zugeschlagen wird. Keiner spricht damals in der Familie darüber, warum beide Eltern früh in der NSDAP waren. Fragen nach dem Judenmord und der Verwüstung Europas stellt der Sohn Joachim erst, als er längst erwachsen ist. Und die Tränen, die er später so reichlich vergossen hat, als Bundespräsident an Orten deutscher Kriegsverbrechen? Konnten immer auch als nachgeholte Trauer verstanden werden über das, was einst an Mitgefühl versäumt worden war.

Wie bleibt man aufrecht oder eben nicht im Angesicht der Diktatur und ihrer Hinterlassenschaften? Das ist zu einer Leitmelodie in Gaucks Leben geworden. Sie begleitet ihn bis heute. Als kürzlich in Thüringen Ratlosigkeit herrschte, weil die von der Linkspartei geführte Landesregierung ihre Mehrheit verloren hatte, während in der Thüringer CDU schon die ersten rübermachen wollten zur AfD, da war es Gauck, der unvermittelt aus der Kulisse trat wie dereinst aus der Tapetentür im Empfangszimmer von Schloss Bellevue.

Der Antikommunist, der sich über Jahrzehnte mit Stasi-Zuträgern und SED-Nachfolgern gerauft hatte, ausgerechnet dieser Gauck moderierte nun eine sachte Annäherung der Thüringer CDU an die Linke und "eine begrenzte Form der Duldung". Demokraten, rückt zusammen, und zwar dalli, war da die Botschaft.

Für einen wie Gauck ist das eine scharfe Volte, und sie lässt ahnen, wie groß seine Sorge um den demokratischen Konsens geworden sein muss. Dabei war er selbst nicht ganz unbeteiligt am Stimmungsumschwung im Land. "Unser Herz ist groß. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich" - mit diesen Sätzen aus dem Flüchtlingsjahr 2015 ist Gauck zum Kronzeugen gegen die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel geworden, ob er wollte oder nicht. Und als er 2019 für eine "erweiterte Toleranz in Richtung rechts" warb, sahen manche ihn schon ins Nationalistische abdriften.

Aber Gauck wäre nicht Gauck, könnten seine Kritiker ihm nicht gern auch mal den Buckel runterrutschen. Zum 80. Geburtstag lässt er sich, seinen Wegbegleitern und seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt ein Ehrenessen in Schloss Bellevue spendieren. Die Gästeliste soll nicht gerade kurz sein.

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