Als am Samstagmorgen 211 Delegierte ihre rote Karten in die Luft halten, ist das für Frank Tempel ein Erfolg. Tempel, 42, sitzt für die Linke im Bundestag, er ist drogenpolitischer Sprecher seiner Partei. Auf dem Bundesparteitag in Erfurt geht es am Samstagmorgen um sein Fachgebiet, Drogenpolitik. Genauer: Die Legalisierung von Drogen. Die ist auch bei den Linken umstritten. Dank Tempel und seinen Mitstreitern hat die Partei nun jedoch einen besonders radikalen Vorschlag in ihrem Grundsatzprogramm stehen: Die langfristige Legalisierung aller Rauschmittel.
Egal ob Alkohol, Nikotin, Heroin oder Cannabis - geht es nach der Linken, wird da künftig kein Unterschied gemacht. Bislang verbotene Drogen sollen legal gekauft werden können - auch solche, die wegen ihrer hohen Suchtgefahr und der zum Teil verheerenden Auswirkungen auf Psyche und Gesundheit als besonders gefährlich eingestuft werden.
Der ursprüngliche Entwurf des Programms hatte vorgesehen, lediglich weiche Drogen wie Cannabis zu legaliseren. Das ging Tempel und seinen Mitstreitern, darunter die Bundesarbeitsgemeinschaft Drogenpolitik der Linken, nicht weit genug. Die Einteilung in weiche und harte Drogen sei willkürlich. "Der Begriff 'weiche Drogen' ist in der Fachwelt veraltet", sagt Tempel im Gespräch mit sueddeutsche.de. Er kennt sich aus: Tempel ist Kriminalbeamter im gehobenen Dienst.
Dank seiner Initiative heißt es im Grundsatzprogramm der Linken nun: "Wir treten daher für eine rationale und humane Drogenpolitik ein, was eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums und langfristig eine Legalisierung aller Drogen beinhaltet." Tempel sagt: "Die Umstände durch die Kriminalisierung verursachen viel größere Schäden als der Konsum selbst."
Das Verbot harter Drogen führe nur dazu, dass gefährliche Streckmittel die Gesundheit der Konsumenten unnötig belasteten. Außerdem kämen immer neue, noch härtere Drogen auf den Markt. Fällt das Verbot, verschwinden auch diese Effekte. So sieht Tempel das.
"Ich will nicht jedem Dealer einen Job geben, aber es muss möglich sein, legale, anerkannte, geprüfte Produkte zu erwerben", sagt der Delegierte aus Thüringen. Seine Partei strebe eine "langfristige, akzeptierende Drogenpolitik bei gleichzeitigem Ausbau von Prävention und Suchtbegleitung" an.
Manch einem mag das verrückt erscheinen: Drogen legalisieren und gleichzeitig Geld dafür ausgeben, dass vor Drogen gewarnt wird und dass Süchtige behandelt werden. Auch in der eigenen Partei ist die Position nicht unumstritten. Der entsprechende Antrag erhielt 211 Für- und 173 Gegenstimmen, 29 Delegierte enthielten sich. In Teilen des Saals war Jubel zu hören, anderswo ein lautes Raunen.
Der Parteivorsitzende der Linken, Klaus Ernst, warnt vor übereiligen Schlüssen: "Ich betone: Wir sprechen von einer langfristigen Perspektive", sagt Ernst gegenüber sueddeutsche.de. "Unser Beschluss zur Drogenpolitik bedeutet selbstverständlich, dass Drogenhandel weiter unter Strafe steht und verfolgt wird. Wir tragen lediglich der Tatsache Rechnung, dass die Kriminalisierung der Drogenkonsumenten deren Situation verschärft und das Problem nicht löst."
Ernst rudert denn auch am Abend zurück - er schlug vor, den Punkt in dem Programmentwurf mit dem Halbsatz ergänzen: "das bedeutet die Entkriminalisierung der Abhängigen und die Organisierung von Hilfe und einer legalen, kontrollierten Abgabe von Drogen an diese." Seinen Vorschlag begründete Ernst damit, dass das Drogenthema in der Medienberichterstattung die anderen Beschlüsse des Parteitages überlagert habe. Mit dieser Korrektur beendete der Parteitag seine Beratungen über das neue Parteiprogramm.
Tempel ist der Meinung, die Strafe müsse langfristig weg: "Ich selbst empfehle niemandem, Drogen zu konsumieren, ob legal oder illegal, aber die Politik der Repression ist gescheitert", sagt er. Drogenkonsum sei ein Teil der Gesellschaft, "das Verbot allein schreckt kaum jemanden ab." Zudem verstößt das Verbot harter Drogen nach Tempels Auffassung gegen das Grundgesetz: "Darin sind nur staatliche Eingriffe in die Privatsphäre erlaubt, die geeignet, erforderlich und angemessen sind. Die Verbotspraxis ist aber kein geeignetes Mittel.