Bundesparteitag der Piraten in Bochum:Politik im Flaschenhals

Endlose Debatten, bürokratisches Kleinklein: Die Piraten kommen auf ihrem Weg zum Wahlprogramm nur langsam voran. Die Partei droht an ihrem basisdemokratischen Anspruch zu scheitern.

Hannah Beitzer, Bochum

Irgendwann reicht es auch so manchem Piraten. "Wenn das so weitergeht, haben wir bald das teuerste Wahlprogramm der Welt: 10.000 Euro pro Kapitel", murrte eine im RuhrCongress in Bochum. Das war, als der Bundesparteitag sich schon längst verloren hatte in endlosen Diskussionen und bürokratischem Kleinklein.

Bereits am Samstagabend - als die Partei drei Stunden gebraucht hatte, um ein eigentlich wenig kontroverses Wirtschaftsprogramm zu verabschieden - war klar, dass die von den Piraten angestrebte große Programmoffensive so nicht funktionieren wird.

Etwa 20 Anträge sind dann letztlich angenommen geworden, allesamt so grundsätzlich wie ein Grundsatzprogramm nur sein kann. Und während sich die Parteispitze noch bemüht, die Ergebnisse als riesigen Erfolg zu verkaufen, herrscht in der Halle Unmut.

Fast 700 Entwürfe hatten die Piraten vor dem Wochenende in mühevoller Kleinarbeit online ausgearbeitet, diskutiert, abgestimmt und priorisiert. Doch der Parteitag bleibt der Flaschenhals, durch den sie nur Stück für Stück hereintröpfeln. Da werden Vorschläge stundenlang angegriffen und verteidigt, in ihre Einzelteile zerstückelt, immer und immer wieder auf die Tagesordnung gehievt, kurz: komplett zerredet.

Dass die Meinungen innerhalb der Partei in vielen Themen massiv auseinanderklaffen, ist ein Problem. So schaffen es nach mühevollen und langen Diskussionen dann doch größtenteils Entwürfe ins Programm, die starke Aussagen vermeiden, auf Konsens setzen.

Andere gut gemeinte Anträge scheitern an Kleinigkeiten: So wird das Grundsatzprogramm Inklusion abgelehnt, weil in ihm der Begriff "Nationale Identität" zu finden ist. Die Möglichkeit, vor Ort nachzubessern, gibt es nicht.

Online-Mitbestimmung scheitert an der Realität

Der von den Piraten selbst propagierte Traum von der Online-Mitbestimmung scheitert so Mal um Mal kläglich an der Realität. Was nützt es, wochen- und monatelang online über politische Streitfragen von der Steuerpolitik bis hin zu Inklusion in Kindergärten zu diskutieren, wenn am Ende doch nichts davon beschlossen wird? Wenn Anträge immer wieder auf den nächsten Parteitag verschoben werden?

Einige Piraten glauben, die Lösung für das Problem schon zu kennen: die ständige Mitgliederversammlung, die es den Piraten ermöglichen soll, zwischen den Parteitagen zumindest Positionspapiere zu verabschieden. Damit müsste, so sagen sie, kein armer Pirat mehr in Talkshows stammeln: "Dazu haben wir noch keine Meinung."

Doch viele Piraten haben Vorbehalte gegen die SMV, wie sie diese Form der Online-Mitbestimmung nennen. Und so wird ein entsprechender Antrag auf dem Parteitag gar nicht behandelt.

In der Tat wiegen die Argumente der Gegner schwer: Es gibt Bedenken beim Datenschutz. Außerdem, so argumentieren die Kritiker, sei es wenig basisdemokratisch, Teilhabe nur denjenigen zu ermöglichen, die sich in komplizierten Online-Tools zurechtfinden. Die meisten finden schlicht, dass der vorliegende Entwurf noch zu unausgereift sei, um beschlossen zu werden.

Doch früher oder später kommt die Partei nicht darum herum, die eigene Online-Mitbestimmung zu erweitern. Nicht nur, weil zum Beispiel potenzielle Bundestagsabgeordnete nicht immer auf den nächsten Parteitag warten können, um über Kriegseinsätze, sozialpolitische Neuerungen oder den Haushalt zu entscheiden.

Es wäre auch wichtig, um die Lücken im Programm zu schließen und den Flaschenhals Bundesparteitag wenigstens ein Stück zu öffnen. Viel Zeit bleibt den Piraten nicht mehr. Vor der Bundestagswahl wird es nur noch einen Bundesparteitag geben.

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