Bundesparteitag der Piraten:Es fehlt der Spirit

Bundesparteitag Piratenpartei

Piraten auf dem Bundesparteitag in Bremen

(Foto: dpa)

Lässig, lustig, idealistisch? Davon ist auf dem Parteitag der Piraten nicht mehr viel übrig. Für den neuen Parteivorsitzenden Thorsten Wirth bedeutet das: "Wir müssen Strukturen schaffen, die uns nicht kaputt machen."

Von Hannah Beitzer, Bremen

Wieder frei. Das sind die beiden Worte, die Ex-Piratenchef Bernd Schlömer twittert, nachdem ihn die Piraten auf ihrem Bundesparteitag entlastet haben. Dahinter setzt er die Tastenkombination \o/ - das Zeichen für "Jubel". Er hat für die jahrelange ehrenamtliche Arbeit nicht mal ein paar Blumen bekommen.

Schlömer hat sein Amt abgegeben, ist nicht mehr Vorsitzender dieser Partei, die in den vergangenen Monaten vor den Augen der Öffentlichkeit im Chaos versank. Er selbst hat das nicht verhindern können, bekam das ein oder andere Mal die Wut seiner Parteifreunde zu spüren und wirkte zuletzt ausgebrannt. Nun verlässt er die Messehalle in Bremen am frühen Nachmittag.

Auch die meisten seiner Vorstandskollegen treten nicht zur Wiederwahl an, mit ähnlichen Begründungen: Manche können oder wollen sie sich die unbezahlte Vorstandsarbeit nicht mehr leisten, einige geben an, wieder mehr Zeit mit der Familie verbringen zu wollen. Erschöpft wirken sie alle.

Zeit also für einen Neuanfang? Vielleicht sogar die Chance auf einen echten Neustart? Nun, an diesem Samstag frönen die Piraten erstmal ihren üblichen Ritualen: Es gibt eine Kampfabstimmung über die Geschäftsordnung (GO), dann noch eine über die Tagesordnung (TO) und dann kommt auch noch ein Antrag durch, der den kompletten Bundesvorstand neu organisiert. So soll es zum Beispiel keine Beisitzer mehr geben, dafür optional Stellvertreter für den Schatzmeister, den politischen Geschäftsführer und den Generalsekretär.

Das ist insofern ein Problem, als es die Kandidaturen zum Bundesvorstand komplett über den Haufen wirft: Wer bisher als Beisitzer kandidiert hatte, muss sich umorientieren. Bezahlung soll es übrigens auch in Zukunft nicht geben - es sei denn, ein Mitglied des Vorstands ist auf Sozialleistungen angewiesen.

Formalia spielen auf Piratenparteitagen traditionell eine große Rolle, die Partei ist geradezu verliebt in ihre GO-, und TO-Schlachten. Doch hier wird es selbst einigen Piraten zu viel, die Kommentare auf Twitter zunehmend missmutig. "Der #bpt132 kostet die Piraten übrigens 100 Euro pro Minute", schreibt etwa Ex-Vorstandsmitglied Klaus Peukert.

Richtig schlimm wird es allerdings erst, als sich die Kandidaten und Kandidatinnen für den Bundesvorsitz vorstellen. Bereits vor ihren Redebeiträgen rauschen abfällige Bemerkungen über Twitter: "Bei den Kandidaten müsste man eigentlich austreten", "wenn die Kandidierenden ein Stimmungsbild der Partei sind, dann sieht es schlecht aus".

Zu zwei Kandidaten fallen den Mitgliedern nicht einmal Fragen ein. Dem ehemaligen Vorsitzenden der bayerischen Piraten, Stefan Körner, schlägt während der Befragung ein ungewöhnliches Maß an Abneigung entgegen: Er habe ja schon seinen Landesverband zerstört, die Wahlen in Bayern versemmelt - was will er da bitteschön auf Bundesebene erreichen?

Ein Kandidat rastet auf der Bühne nach allen Regeln der Kunst aus: "In dieser Partei herrscht Krieg!" Und: "Dies ist ein Schicksalsparteitag!" Seine Hände zittern heftig, als er von internem Mobbing, Unterdrückung und einer "Medienmacht" spricht, die es zu brechen gelte. Der Saal gerät in Unruhe, da schneidet ihm die Versammlungsleitung das Wort ab.

Gräben werden überdeutlich

Und die einzige Kandidatin? Nun, sie wurde bereits vor dem Bundesparteitag von einer ehemaligen Mitstreiterin via Blogeintrag für komplett unfähig erklärt und gerät heftig ins Stottern, als sie von den Mitgliedern zu Wirtschaftsthemen befragt wird.

Es ist also ein wirklich trauriges Bild, das die Piraten hier, auf ihrem ersten Parteitag nach der mit 2,2 Prozent verlorenen Bundestagswahl, abgeben. Klar, in der Partei waren noch nie Politikprofis am Werk, die schon in ihrer Bewerbungsrede eine lückenlose Analyse des ökonomischen und politischen Weltgeschehens liefern konnten. Aber zumindest herrschte eine gewisse Fröhlichkeit, ein ansteckender naiver Idealismus, der - wenn schon nicht professionell - dann doch wenigstens sympathisch wirkte.

Davon ist nicht mehr viel übrig, stattdessen kommen die Gräben innerhalb der Partei überdeutlich zum Vorschein. Der Applaus für die meisten Kandidaten fällt nicht einmal pflichtschuldig aus.

Wirth übt sich in der Fehleranalyse

Schließlich gewinnt mit großer Mehrheit ein Pirat der ersten Stunde die Wahl: Der 45-jährige Software-Entwickler Thorsten Wirth, der schon einmal Mitglied im Bundesvorstand der Piraten war. Also einer, der weiß, worauf er sich einlässt.

In seiner Bewerbungsrede übt er sich hauptsächlich in Fehleranalyse: "Wir haben eine Kultur entwickelt, die alles kaputt hatet", stellt er fest. Der Streit im Bundesvorstand, die vielen Shitstorms - viele Piraten seien schlicht ausgebrannt.

Nach der Wahl erklärt er: "Ich werde mein Bestes geben, die Piraten wieder da hin zu bringen, wo wir 2009 angefangen haben." 2009, das war lange vor dem Hype nach der Wahl ins Berliner Abgeordnetenhaus 2011. Was das nun bedeutet, welche Maßnahmen ihm vorschweben? Wirth wirkt gegenüber den etwa 20 Journalisten, die ihn hier befragen, nervös, verliert sich im Ungefähren.

Erst im persönlichen Gespräch wird er deutlicher: Im Bundesvorstand müsse in Klausur gehen, außerdem will er ein Kampagnenteam und ein Presse-Ad-Hoc-Team einführen. "Wir müssen Strukturen schaffen, die uns nicht kaputt machen." Es fehle eine sinnvolle Diskussionskultur.

"Mir geht es um den Spirit von 2009"

Dann schimpft er über die Selbstverliebtheit vieler Piraten, darüber, dass sich die Partei lieber in Debatten über Geschäftsordnungen und Satzungsänderungsanträgen verliere, als ihre Grundsätze nach außen zu tragen. "Mir geht es um den Spirit von 2009", sagt er. Damals habe es eine Aufbruchstimmung gegeben. Inzwischen habe die Partei ihre Progressivität verloren.

Die nächste Station für die Piraten ist nun die Europawahl. Auf die Feststellung, dass jene Themen, die den Wahlkampf prägen werden - Eurokrise, Rettungsfonds, Bankensanierung - nicht gerade zu den Spezialgebieten der Piraten gehören, reagiert er selbstbewusst. "Wir haben dafür keine Lösung, aber wir haben dafür die Kritik an dem Konstrukt", sagt er. Die EU sei vom Europäischen Rat dominiert, stattdessen solle aber das Europaparlament mehr Macht erhalten. "Wenn wir diese Strukturen angehen - dann muss das doch reichen", ruft er.

Währenddessen wählen die Piraten Wirths Stellvertreter. Den Posten bekommt Caro Mahn-Gauseweg. Die 32-jährige Ingenieurin aus Sachsen ist seit März 2011 Mitglied der Piratenpartei. Draußen ist es längst dunkel. Die treffendste Analyse der Situation ist da eigentlich schon längst erfolgt, vormittags, eher nebenbei, während der endlosen Diskussion um Satzungsänderungen.

"Unsere Wahlprogrammatik interessiert keinen Menschen, solange wir nicht unsere internen Probleme lösen", sagt da einer. Das stimmt. Es sieht gerade nur nicht so aus, als hätten die Piraten die Kraft, das zu schaffen.

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