Bundesnachrichtendienst BND:Der Sauhaufen von Pullach

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Der BND hat seine Vergangenheit erforschen lassen. Historiker legen nun dar, wer nach dem Krieg die "Organisation Gehlen" aufgebaut hat. Es waren vor allem stramme Nazis und Mörder.

Von Franziska Augstein, München

Weil wichtige deutsche Ministerien und viele deutsche Großunternehmen ihre NS-Vergangenheit nach 1945 haben erforschen lassen, wollte der Bundesnachrichtendienst (BND) nicht hintanstehen: 2011 wurde eine "Unabhängige Historikerkommission" berufen. Das Projekt wurde vom Bund mit 2,2 Millionen Euro finanziert. Es steht unter der Ägide von Jost Dülffer, Klaus-Dietmar Henke, Wolfgang Krieger und Rolf-Dieter Müller.

Was hatten die Herausgeber zu tun? Zuerst einmal ging es darum, wie Dülffer sagt, den BND davon abzubringen, bloß erforschen zu lassen, wie viele Ex-Nazis im BND arbeiteten. Dass Konrad Adenauer erklärte, schlechtes Wasser schütte man nicht weg, solange man kein frisches habe: Das hat sich herumgesprochen. Ein bisschen mehr, fand die Historikerkommission, sollte schon herauskommen. Die vier dicken Bände, die am 6. Oktober vorgestellt wurden, haben es in sich. Wir ahnten es immer, belegt wird es hier: Die "Organisation Gehlen", die 1956 zum Bundesnachrichtendienst wurde, war - der Soldatenjargon ist angemessen - ein Sauhaufen.

Die Aktenführung des BND sei "ungeordnet, undurchsichtig und teilweise unvollständig"

Reinhard Gehlen, während des Zweiten Weltkriegs als Generalmajor Leiter der Abteilung "Fremde Heere Ost", war einer von den cleveren Nazis, die sich nach der Niederlage sofort bei den Amerikanern andienten. Weil es nun gegen den Kommunismus ging, gegen Stalin, durfte Gehlen ein paar Jahre lang in Pullach einen westdeutschen Geheimdienst aufbauen, den die CIA 1949 übernahm und einige Jahre später wieder an Gehlen abgab. Als die Stelle in Pullach eingerichtet wurde, erhielt sie 1947 den passenden Namen "Camp Nikolaus". Denn wie verkleidete Nikoläuse haben viele der Bediensteten dort sich aufgeführt, angefangen mit dem Chef.

Gehlen ließ sich "Doktor" oder "Professor" nennen. Bei der CIA wurde er unter dem Namen "Utility" geführt - also als von "Nutzen". Sein Ziel war: Alle Geheimdienstaktivitäten, im Ausland und im Inland, in seiner Hand zu haben, schließlich hatte man zu Nazi-Zeiten zwischen Ausland und Inland auch keinen großen Unterschied gemacht. Das allerdings ließ sich mit dem neuen deutschen Grundgesetz zu seinem Bedauern nicht vereinbaren.

Christoph Rass, der "Das Sozialprofil des Bundesnachrichtendienstes" erstellt hat, kommt zu dem Schluss, "dass sich am Ende in der Organisation Gehlen kaum ein Mitarbeiter befunden haben dürfte, der nicht enge biografische Bezüge zu den Institutionen des NS-Staates besaß". In den 60er-Jahren sah es nicht anders aus. Darüber hinaus war die "Org. Gehlen" ziemlich unfähig. Der Aufstand am 17. Juni 1953 in der DDR überraschte sie ebenso wie die Stasi. Die "Org. Gehlen" hatte in Ostdeutschland als Spion angeheuert, wer gerade zu haben war. Besonders gefragt waren Bürger, die in der Nähe von Truppenübungsplätzen wohnten oder an Straßen, auf denen militärisches Gerät transportiert wurde. Als die DDR im Oktober 1953 mit der Aktion "Feuerwerk" zurückschlug, wurden viele Leute verhaftet, die eigentlich nur als Abenteurer oder Geldabzocker unterwegs gewesen waren, nicht als antikommunistische Idealisten, wie man in Pullach meinte.

So sah es in den 70er Jahren in der BND-Zentrale im Entwicklungslabor für elektronische Spezialgeräte aus. Was der Geheimdienst nach dem Krieg so alles getrieben hat, haben nun Historiker publiziert. (Foto: Dagmar Wiede/SZ Photo)

Die "Org. Gehlen" war auch nicht dazu aufgelegt, ihre Akten ordentlich abzulegen. Anfang der 60er-Jahre, als der BND schon erstanden war, kam man in der Bundeshauptstadt Bonn irgendwie auf die Idee, es seien dort doch arg viele Ex-Nazis beschäftigt, genauer gesagt: Leute, die sich zu NS-Zeiten als Mörder hervorgetan hatten. Die Historikerin Sabrina Nowack ist der sogenannten Selbstreinigung im BND nachgegangen: "Die Aktenführung", schreibt sie, sei "ungeordnet, undurchsichtig und teilweise unvollständig." Das lag an dem eingeführten "Schottensystem". Auch innerhalb des BND sollte möglichst niemand nichts von niemandem wissen. Es verstand sich damals, dass ehemalige Angehörige der Waffen-SS, die lediglich Mannschafts- oder Unteroffiziersgrade inne gehabt hatten, von einer Überprüfung a priori ausgenommen wurden. Mitte der 60er-Jahre trennte sich der BND dann von 68 Mitarbeitern. Das war der Tribut, um in seiner Umtriebigkeit von Bonn nicht weiter gestört zu werden.

Das spektakulärste Kapitel der Frühgeschichte des BND betrifft das Feindbild "Rote Kapelle". Die Geschichte dieser Chimäre von einer Organisation hat Gerhard Sälter fabelhaft erforscht und erzählt. Die Nazis hatten sich den Namen "Rote Kapelle" ausgedacht für Leute, die gegen das NS-Regime opponierten. Reinhard Gehlen hat den Begriff wieder aufleben lassen. Zum einen war er ein paranoider Antikommunist, zum anderen musste er ja etwas vortragen, um sich die CIA gewogen zu halten. Also informierte Gehlen die CIA, dass Hans Globke - der bekanntlich die Nürnberger Rassegesetze mitformuliert hatte und dann zu einem von Kanzler Adenauers engsten Beratern wurde - möglicherweise ein sowjetischer Spion sei. In der CIA-Zentrale im amerikanischen Langley war man daraufhin ziemlich aufgewühlt.

Das war nicht fair von Gehlen. An sich hatte er beste Beziehungen zu Globke und ihn in Schutz genommen vor Anwürfen wegen dessen NS-Vergangenheit. Es mussten aber nun mal Spione der "Roten Kapelle" aufgetrieben werden. Am Bodensee wurde Gehlen fündig. Lauter Leute, die einander teils nicht einmal kannten, wurden gemeldet: Vorneweg die Schriftsteller Theodor Plievier und Günther Weisenborn; dazu kam auch Heinrich Graf von Einsiedel, der als Kampfpilot 1942 abgeschossen worden war und dann in russischer Kriegsgefangenschaft zu den Gründern des "Nationalkomitees Freies Deutschland" gehörte. Ob Einsiedel ein Kommunist war, fragte man in Pullach gar nicht erst. Überhaupt machte man zwischen Widerstandskämpfern und Kommunisten keinen Unterschied. Es herrschte dasselbe Denken wie zur NS-Zeit, und es entsprach der damaligen Zeitstimmung. Pullach unterstützte eine neue Dolchstoßlegende: Deutschland habe den Zweiten Weltkrieg nur wegen der "Roten Kapelle" verloren.

Die Kommunistensuche fand kein Halten - das war Bonn auch genehm. Selbst Eugen Kogon wurde als sowjetischer Spion gehandelt. Kogon war jüdischer Abkunft, katholisch sozialisiert, kam ins KZ Buchenwald und hat nach der Befreiung des Lagers eine brillante Aufklärung über das KZ-System publiziert. Erschütternd an Gerhard Sälters Darstellung ist, dass er deutlich macht: Antifaschismus war nach dem Krieg in der Bundesrepublik nicht gefragt und in der "Org. Gehlen" schon gar nicht.

Was der BND heute so treibt, man weiß es nicht. Nun soll ein neues Gesetz verabschiedet werden, demzufolge es dem BND überlassen bleibt, welche Unterlagen er freigibt. An sich gilt die Regelung, dass öffentliche Dokumente nach 30 Jahren beim Bundesarchiv einsehbar sind, das im Hinblick auf die nationale Sicherheit durchaus restriktiv ist. Es wäre gut, wenn das geplante Gesetz nicht durchkäme. Denn es wäre gut, wenn Interessierte und Historiker einmal erfahren könnten, was der BND in seiner Geschichte so alles getrieben hat.

© SZ vom 07.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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