Flüchtlinge in Deutschland:Berlin bekam die Betreuung von Flüchtlingen lange nicht in den Griff

Auch im Nachbarland Brandenburg sind die zentralen Erstaufnahmelager überfüllt. Eines befindet sich in Eisenhüttenstadt, einem Ort, der nach dem Zusammenbruch der DDR massiv an Einwohnern verloren hat. Vor einem Vierteljahrhundert waren es mehr als 50 000, nun leben noch 28 000 Menschen dort. Die Unterkunft für Flüchtlinge liegt am Stadtrand in einer früheren Polizeikaserne. Als an diesem Morgen ein Sonderzug mit rund 900 Flüchtlingen kommt, gibt es kaum jemanden, der wartet, um sie willkommen zu heißen. Ein paar ehrenamtliche Helfer immerhin verteilen Getränke. Der Bahnhof ist weiträumig abgesperrt. 310 der Neuankömmlinge sollen später weiter nach Berlin.

Dort, in der Hauptstadt, war in letzter Zeit oft eine große Diskrepanz zu spüren. Während unzählige Bürger helfen und in Eigeninitiative die Betreuung von Flüchtlingen organisieren, bekam die Sozialverwaltung die Situation lange nicht in den Griff. Vor dem "LaGeSo", dem Landesamt für Gesundheit und Soziales, warteten Flüchtlinge tagelang, um überhaupt registriert zu werden. Es fehlte an Personal. Inzwischen soll sich die Lage etwas gebessert haben. Für die jetzt ankommenden Flüchtlinge eröffnet das LaGeSo immerhin ein mobiles Büro. Berlin prüft, ob die Neuankömmlinge im früheren Internationalen Congress Centrum ICC untergebracht werden können. Das geht in den großen Städten. In Hamburg, wo am Sonntag weitere tausend Menschen eintrafen, haben sie inzwischen Teile der Messehalle als Quartier freigeräumt; die anderen Notunterkünfte sind bereits überfüllt.

Noch geht alles. Doch die Krisenzeichen nehmen zu. Und das meint nicht die Brandstiftungen in Asylbewerberheimen oder in Gebäuden, die als Flüchtlingsunterkünfte vorgesehen sind. Und auch nicht die Demonstrationen der Rechten: Als die ersten Züge Samstagnacht ankamen, ging in Dortmund bereits die Neonazi-Szene am Bahnhof auf die Straße, und Unbekannte versuchten, eine Flüchtlingsunterkunft in der Stadt in Brand zu stecken.

Vernehmbares Echo hatte vielmehr Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper bereits am Wochenende ausgelöst. Ein Fernsehreporter fragte Trümper, ob angesichts der vielen Zugänge ein Kollaps des Asylsystems denkbar sei. "Ich glaube, der ist schon ganz nah dran", sagte der Kommunalpolitiker von der SPD. Kritisiert wurde er dafür unter anderem von Wulf Gallert, dem Landeschef der Linkspartei. Die Aufgaben, die vor Sachsen-Anhalt stünden, seien zu bewältigen, sagte dieser.

Kretschmann genießt es, dass die Kanzlerin dieselbe Position wie er vertritt

Aber Grummeln ist überall vernehmbar. In Baden-Württemberg haben die Berufsschullehrer des Landes an diesem Montag ein Vetorecht gefordert, wenn es um die Belegung von Turnhallen mit Flüchtlingen geht. Eine Kürzung der Sportstunden sei akzeptabel, aber zumindest müssten noch Noten vergeben werden können, sagte der Verbandssprecher in Stuttgart und warnte eine Woche vor Schulbeginn: "Vorsicht, dass die Stimmung nicht kippt!"

100 000 Flüchtlinge muss Baden-Württemberg in diesem Jahr aufnehmen - mit einer derart gewaltigen Zahl hatte niemand kalkuliert, auch der großzügige Ausbau der Landeserstaufnahmestellen seit vergangenem Sommer hat sich als höchst unzureichend erwiesen. Nun peilt die grün-rote Regierung eine weitere Verdoppelung an, von 10 000 auf 20 000 Plätze. Doch das geht nicht von heute auf morgen.

In Orten wie Meßstetten, Ellwangen oder Heidelberg, wo große Flüchtlingsquartiere massiv überbelegt sind, regt sich schon länger immer wieder einiger Unmut. Die Opposition im Land versucht, diesen Unmut gegen die grün-rote Regierung zu wenden. Sie habe das Problem unterschätzt und betreibe schlechtes Management. Jenseits von humanitären Aspekten ist es ein halbes Jahr vor der Landtagswahl auch ein strategischer Segen für den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, dass Angela Merkel die Flüchtlingsfrage zur Chefsache gemacht hat. Und damit für alle sichtbar auch zur Sache der CDU.

Aber selbst beim besten Willen und unter Aufgebot aller Kräfte läuft manches schief: Mal verzögern sich die Bettenlieferungen, mal die Bauarbeiten an Unterkünften. Und die Personalreserven reichen bei Weitem nicht: Im Saarland mobilisierte Innenminister Klaus Bouillon (CDU) inzwischen den Katastrophenschutz seines Landes zur Flüchtlingsunterbringung. Und sucht verzweifelt nach medizinischem Personal, damit Ankömmlinge zumindest einigermaßen versorgt werden können. Seine Augen, und die anderer Landespolitiker, richten sich da auf die Bundeswehr. Bouillon hätte gern ein paar Mediziner ausgeliehen. Er ist mit seinen Begehrlichkeiten nicht allein: Hessen wünscht sich Armee-Material wie etwa Schlafsäcke, um jedem Flüchtling wenigstens eine Bettstatt zu geben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema