Süddeutsche Zeitung

Bundeskanzlerin:Wahlkampf aus dem Regierungsflugzeug

  • Merkel tritt zu einem Reisemarathon an: Nach Belgien, Saudi-Arabien, in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Russland - in vier Tagen.
  • Bei Gesprächen zum Brexit und Krieg in Syrien kann die Bundeskanzlerin als globale Krisenmanagerin auftreten.
  • Zugleich macht sie Wahlkampf nach ihrem Verständnis: Die Leute wollen eine Kanzlerin bei der Arbeit sehen.

Von Nico Fried und Robert Roßmann

Den Vorwurf, sie steige nicht entschlossen genug in den Wahlkampf ein, hat Angela Merkel nie gelten lassen. Nach der Nominierung von Martin Schulz zum SPD-Kandidaten waren in der Union Forderungen laut geworden, die Kanzlerin müsse stärker dagegenhalten. Merkel findet aber, sie mache schon jeden Tag Wahlkampf. Soll heißen: Nach ihrem Verständnis wollen die Leute Monate vor einer Bundestagswahl eine Kanzlerin bei der Arbeit sehen.

An diesem Wochenende beginnt eine Reihe von Reisen Merkels, die den Unterschied zwischen der Amtsinhaberin und dem Herausforderer besonders deutlich machen. Am Samstag fliegt die Kanzlerin zum EU-Gipfel nach Brüssel; die Präsidentschaft in der G-20-Gruppe und die Vorbereitung des dazugehörigen Gipfels in Hamburg Anfang Juli geben Merkel am Sonntag den Anlass für einen Besuch in Saudi-Arabien, verbunden mit einem Abstecher in die Vereinigten Arabischen Emirate tags darauf; am Dienstag dann fliegt Merkel nach Sotschi, wo sie den russischen Präsidenten Wladimir Putin trifft.

Der innenpolitische Nutzen ist nicht unwillkommen

Die außenpolitischen Themen, vorneweg der Syrien-Konflikt, sind dramatisch - gleichwohl ist der innenpolitische Kollateralnutzen der intensiven Reisetätigkeit gewiss nicht unwillkommen: Bilder über Bilder von Merkel, der Krisenmanagerin, die auch mit schwierigen Gesprächspartnern geduldig den Austausch sucht. Dazu passt, dass Donald Trump, der Merkel im US-Wahlkampf noch als verrückt bezeichnet hatte, nach einer Zählung der BBC in den ersten 100 Tagen als US-Präsident keinen Staats- oder Regierungschef so oft angerufen hat wie die Kanzlerin: Schon sechsmal telefonierten Trump und Merkel - doppelt so oft wie Trump und der japanische Premierminister Shinzo Abe, dreimal so oft wie Trump und die britische Regierungschefin Theresa May.

Freilich liegt in einigen Reisezielen auch Potenzial für Angriffe politischer Gegner auf Merkel. Deutschlands Beziehungen zu Saudi-Arabien sind umstritten. In dem Land, das die Königsfamilie sich untertan gemacht hat, gelten Frauen nichts. Homosexuelle werden verfolgt, Blogger ausgepeitscht, Todesurteile öffentlich mit Säbeln vollstreckt. Aus Saudi-Arabien heraus werden islamistische Gruppen finanziert. Außerdem spielt das Königshaus im Krieg in Jemen eine unrühmliche Rolle. Wenn sich westliche Demokraten mit derart mittelalterlichen Theokraten einlassen, hat das einen Hautgout. Das gilt umso mehr, als Deutschland noch immer Waffenexporte nach Saudi-Arabien erlaubt, zuletzt beispielsweise Patrouillenboote. Die Bundesregierung - und hier vor allem Sigmar Gabriel, als er noch Wirtschaftsminister war - hat sich zwar um eine Reduzierung der Waffenverkäufe bemüht. Doch ein "Moratorium, keine Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien zu liefern", gebe es nicht, wurde am Freitag in Regierungskreisen eingestanden.

Das Kanzleramt bemüht sich um wenig Angriffsfläche

Im Kanzleramt ist man bemüht, den Kritikern in Deutschland trotzdem wenig Angriffsfläche zu bieten. In der Wirtschaftsdelegation, die Merkel nach Saudi-Arabien begleitet, sei kein Vertreter einer Rüstungsfirma, hieß es am Freitag. Außerdem stehe derzeit kein weiteres Waffengeschäft an. Es wird auch keine Bilder geben, die man als kleidertechnische Anbiederung der Kanzlerin an die Saudi-Araber interpretieren kann. Merkel wird auftreten wie immer. Weiblichen Mitreisenden empfiehlt das Auswärtige Amt jedoch, außerhalb des offiziellen Programms der Kanzlerin eine Abaya zu tragen.

Ein wichtiges Thema in Dschidda, der Hafenstadt am Roten Meer, wird der Krieg in Syrien sein. Saudi-Arabien gehört zu den härtesten Gegnern von Präsident Baschar al-Assad. In Sotschi, der Stadt am Schwarzen Meer, trifft Merkel dann Assads Schutzpatron Wladimir Putin. Die Kanzlerin hat Russland wiederholt für sein militärisches Eingreifen in Syrien kritisiert. Schon beim letzten Treffen von Merkel und Putin im Oktober 2016 in Berlin war der Krieg ein Thema, blieben aber auch die Gespräche ergebnislos.

Es gebe im deutsch-russischen Verhältnis "belastende Umstände, die man nicht wegdiskutieren kann", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag. Dazu gehöre auch die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ostukraine durch prorussische Separatisten. Es sei aber immer die Absicht der Bundesregierung gewesen, so Seibert, "Russland, soweit das möglich ist, in konstruktive Lösungen einzubinden". Auch im Verhältnis zu Moskau hat Merkel innenpolitische Kritik zu gewärtigen. Vertreter der Wirtschaft dringen schon lange darauf, die Sanktionen der EU zu lockern. Und auch vielen Wählern wäre wohler, wenn sich das Verhältnis zu Russland wieder entspannte. Merkels nächste Reise führt übrigens am Donnerstag nach Nordrhein-Westfalen: Die CDU-Chefin macht dann Wahlkampf in Bad Godesberg und Waldbröl.

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SZ vom 29.04.2017/ees
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