Es wird keine Ausnahme geben am Donnerstag in der Bundespressekonferenz in Berlin - nicht so wie kürzlich beim Finale der Fußballeuropameisterschaft, als viel mehr Zuschauer ins berühmte Wembley-Stadion durften, als die normalen Covid-19-Regeln eigentlich erlaubten hätten. Obwohl ja auch in Berlin ein großes Finale angesetzt ist: Die Bundeskanzlerin wird vor die Hauptstadtpresse treten, um ihre Sommerpressekonferenz zu geben. Wie die vorherigen 15 Jahre auch. Nur, dass es das letzte Mal ist. "Natürlich weiß ich, dass das jetzt noch ein Jahr ist", hat sie vor einem Jahr gesagt, am 28. August 2020. Jetzt sind es nur noch Tage, 66, um genau zu sein, bis zum regulären Ende ihrer Amtszeit.
Normalerweise wäre der Andrang groß. Weil aber Corona herrscht, wird verlost, wer auf jedem dritten Platz in jeder zweiten Reihe im Saal sitzen darf. Keine Ausnahme, wir sind ja hier nicht in England.
Angela Merkel hat es sich zur Routine gemacht, sich jedes Jahr zur Sommerzeit einmal allen Fragen zu stellen, die man so an sie haben kann. Meist ist sie vor ihrem Urlaub in die Bundespressekonferenz gekommen, manchmal auch erst danach, je nachdem, wie die Lage gerade so war. Und da der Sommer drei kalendarische Monate umfasst, hat sie sich damit eine gewisse Freiheit bewahrt, besonders unangenehmen Themen terminlich auch mal ausweichen zu können.
"Wir schaffen das"
Im Flüchtlingssommer 2015, da war sie erst am 31. August vor die Journalisten getreten. Und nach den obligatorischen 90 Minuten war klar, dass nicht nur das Deutschland von morgen ein anderes sein würde. Sondern dass es heute schon anders war. Es ist der Auftritt, bei dem sie sagt, dass deutsche Gründlichkeit super ist, deutsche Flexibilität aber jetzt mehr gefragt sein könnte. Es fällt dieser Satz, der sie seither begleitet hat, im Guten wie im Schlechten: "Wir schaffen das."
Zumindest sie hat es nun tatsächlich geschafft. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass sie ihren Plan, selbst zu bestimmen, wann sie aus dem Amt scheidet, verwirklichen wird. Das hat noch kein Kanzler vor ihr geschafft. Nach 16 Jahren Kanzleramt macht sie einfach Schluss.
Aber wird sie auch ganz raus sein? In den vergangenen Tagen, als sie die Flutgebiete besuchte und mit den Menschen sprach, ist wie nebenbei eine Ankündigung gefallen, die aufhorchen ließ. Sie werde wiederkommen. Auch, wenn sie nicht mehr Kanzlerin sei. "Wir werden Sie nicht nach Kurzem vergessen, sondern werden uns immer ein Bild davon machen, wie es um den Wiederaufbau steht", sagte sie in Bad Münstereifel in Richtung der Bürgermeisterin und des Landrats. Unterwegs war sie da mit dem Kanzlerkandidaten der Union, Armin Laschet. Auch wenn sie dann nicht mehr im Amt sei, wolle sie vorbeischauen. Man kann sie an diesem Donnerstag fragen, wie sie das genau gemeint hat. Und ob Laschet das auch recht wäre, der sie ja beerben will.
"Einigen Sie sich, was schräg ist"
Die Sommerpressekonferenzen der Bundeskanzlerin sind ein Ritual, fast schon Kult. Sie leben vom spröden Humor der Kanzlerin, von ihren intellektuellen Haken. Vor ziemlich genau vier Jahren wurde Merkel vorgehalten, sie wirke wie eine Schlaftablette im Wahlkampf. Sie wisse ja nicht, was die Definition des Fragestellers von Wahlkampf sei, kam da zurück. Wenn andere meinten, "schön ist Wahlkampf nur, wenn man sich gegenseitig beschimpft, dann ist das nicht die Vorstellung, die ich von Wahlkampf habe". Sie jedenfalls könne sich nicht beklagen, dass niemand komme "zu meinen Darlegungen". Darlegungen! Schon ist man wieder eingenickt.
Vor zwei Jahren, als die Sitzungsleiterin das Wort dem Journalisten "schräg hinter" dem vorherigen erteilt und Verwirrung entsteht, schaltet sich Merkel ein: "Einigen Sie sich, was schräg ist."
Die Kanzlerin hat harte und nicht so harte Sommerpressekonferenzen hinter sich gebracht. 2019 war das Interesse besonders groß, weil man annehmen konnte, dass es ihr letzter Auftritt sein könnte. SPD-Chefin Andrea Nahles hatte hingeschmissen, der Koalitionspartner war kopflos, sie selbst hatte den CDU-Parteivorsitz abgegeben und ihre Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer kämpfte mit Startschwierigkeiten. Merkel musste den Journalisten trotzdem - ohne rot zu werden - eine Regierung beschreiben, die im Arbeitsmodus ist und nicht etwa gelähmt von Nachfolgediskussionen. Heute weiß man, dass es knapp war.
An den großen Themen hat man erkennen können, wie die Stimmung im Land war. Bankenkrise, Wirtschaftskrise und dann Griechenland, Griechenland, Griechenland. Die Union lag damals bei 42 Prozent in den Umfragen, die AfD bei drei. Die Dauerkrise im Südosten Europas geriet erst in Vergessenheit, als die Flüchtlinge kamen. Und die AfD wuchs in den Umfragen, kam in den Bundestag.
Persönlichen oder gefühligen Fragen ist Merkel stets ausgewichen. Sie arbeite nicht mit solchen Begriffen oder Kategorien. Erst in der Pandemie hat sie sich Gefühle gestattet; und jetzt in der Flutkatastrophe auch. Als sie mit der an MS leidenden Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz durch die verwüsteten Flutgebiete lief, spürte sie, dass Malu Dreyer schlecht laufen konnte. Angela Merkel nahm sie bei der Hand, stützte sie. Das sind Bilder, die bleiben.
Auf der Internetseite der Bundeskanzlerin kann man auch Informationen finden über ihre Sommer-PKs. Die sind wieder, klar, staubtrocken: "Nach ihrem Amtsantritt 2005 gab Bundeskanzlerin Angela Merkel 2006 ihre erste Sommer-PK in der Bundespressekonferenz. Für die Hauptstadt-Journalisten ist die traditionelle Sommer-Pressekonferenz eine gute Möglichkeit, Fragen zu stellen, bevor die Kanzlerin ihren Urlaub antritt." 29 Mal wird die Kanzlerin nach diesem Donnerstag in der Bundespressekonferenz zu Gast gewesen sein.