Bundeskanzlerin:Merkel nach Trump-Interview: Europäer haben ihr Schicksal selbst in der Hand

  • Bundeskanzlerin Merkel reagiert zurückhaltend auf die Aussagen Donald Trumps zur Europäischen Union.
  • Nato-Vertreter zeigen sich irritiert von der Kritik des künftigen US-Präsidenten an dem Verteidigungsbündnis.
  • Angesichts Trumps Drohung, Strafzölle für deutsche Autofirmen einzuführen, mahnt Außenminister Steinmeier die Einhaltung internationaler Abkommen an.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will erst nach der Amtseinführung des künftigen US-Präsidenten Donald Trump über die mögliche Zusammenarbeit nachdenken. "Meine Positionen zu transatlantischen Fragen sind bekannt", sagte Merkel als Reaktion auf ein Interview der Bild-Zeitung mit Trump. "Ich persönlich warte jetzt erst einmal auf die Amtseinführung des amerikanischen Präsidenten. Das gehört sich so", fügte sie hinzu. "Dann werden wir auf allen Ebenen mit ihm zusammenarbeiten. Dann werde auch klar, "welche Art von Übereinkommen wir erzielen können".

"Ich denke, wir Europäer haben unser Schicksal selber in der Hand", sagte Merkel zur Ankündigung Trumps, dass er einen Zerfall der EU erwarte. Sie werde sich jedenfalls für eine enge Zusammenarbeit der 27 EU-Staaten (ohne Großbritannien) einsetzen. Wirtschaftliche Stärke, effiziente Entscheidungsstrukturen und die Einhaltung gemeinsam gesetzter Ziele seien dafür nötig. Die von Trump erwähnte Bekämpfung des Terrorismus sei im übrigen ein gemeinsames weltweites Thema.

Außerdem wurde am Montag bekannt, dass Merkel der neuen Administration in Washington angeboten hat, nach der Amtseinführung baldmöglichst zu einem Treffen in die US-Hauptstadt zu kommen. Dies sei auch mit Verweis auf Deutschlands Vorsitz im Kreis der G20 geschehen, hieß es am Montag in Regierungskreisen. Mit einer Visite Trumps in Deutschland wird entsprechend für dieses Frühjahr offenbar nicht mehr gerechnet. Als sicher gilt dagegen, dass der neue US-Präsident die Bundesrepublik aller Voraussicht nach im Juli zum G20-Gipfel in Hamburg besuchen wird.

Irritationen bei der Nato

Zuvor hatten die Äußerungen des künftigen US-Präsidenten bei der Nato für Irritationen gesorgt. Die Organisation habe die Erklärung, dass sie "obsolet" sei, "mit Besorgnis aufgenommen", sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nach einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel.

Die Äußerung Trumps widerspreche dem, was der designierte US-Verteidigungsminister James Mattis bei seiner Anhörung vor dem US-Senat gesagt habe. "Wir müssen sehen, was daraus für die amerikanische Politik folgt", sagte Steinmeier. Generell hätten Trumps Interview-Aussagen zu EU und Nato nicht nur in Brüssel "für Verwunderung und Aufregung gesorgt".

Aufgrund Trumps Äußerungen über mögliche Strafzölle für deutsche Firmen mahnte Steinmeier die Einhaltung internationaler Abkommen an: "Wir gehen davon aus, dass unser amerikanischer Partner sich auch weiterhin an die völkerrechtlichen Verpflichtungen und die WTO-Regeln hält", sagte er.

Steinmeier, der am Montag am Treffen der EU-Außenminister teilnahm, ging davon aus, dass Trumps Interview den Tag in Brüssel "vermutlich beeinflusst, wenn nicht bestimmt".

Trump hatte in einem Interview mit der Bild-Zeitung gesagt, die Nato sei "obsolet, weil sie erstens vor vielen, vielen Jahren entworfen wurde" und sich "nicht um den Terrorismus gekümmert" habe. Außerdem würden sich europäische Nato-Mitglieder zu wenig an den finanziellen Lasten im Bündnis beteiligen.

Weitere Reaktionen auf das Interview

Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, sieht in den Äußerungen Trumps vor allem eine protektionistische Konzentration auf kurzfristige Interessen der USA. "Der Westen als eine normative Einheit und politische Einheit, davon ist, glaube ich, tatsächlich in seinem Denken nichts vorhanden", sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk. Das sei "ein bedrohliches Novum für Europa und die Welt".

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat die USA vor einer Abschottung durch Strafsteuern etwa für im Ausland produzierte Autos gewarnt. "Die amerikanische Autoindustrie wird dadurch schlechter, schwächer und teurer", sagte der SPD-Vorsitzende der Bild. Zudem würden sich amerikanische Autobauer umgucken, wenn auch Zulieferteile, die nicht in den USA produziert würden, mit Strafzöllen belegt würden, konterte Gabriel den künftigen US-Präsidenten Donald Trump. Dieser hatte beklagt, dass zu viele deutsche und zu wenige US-Autos in New York zu sehen seien.

Gabriel äußerte zudem Zweifel daran, ob Trump seine Pläne etwa für Strafsteuern auf aus Mexiko importierte Autos überhaupt umsetzen könne: "Ich würde mal abwarten, was dazu der von Republikanern dominierte Kongress sagt. Das sind eigentlich Politiker, die das Gegenteil von Herrn Trump wollen."

Der britische Außenminister Boris Johnson begrüßte Trumps Äußerungen zu einem möglichen amerikanisch-britischen Handelspakt für die Zeit nach dem Brexit. "Ich denke, es sind sehr gute Nachrichten, dass die USA ein gutes Freihandelsabkommen mit uns abschließen wollen und dass sie es schnell machen wollen", sagte Johnson. Es müsse jedoch ein Deal sein, der die Interessen beider Seiten berücksichtige. In dem Interview mit der Londoner Times und der Bild-Zeitung hatte Trump gesagt, er wolle Großbritannien nach dem Brexit innerhalb weniger Wochen ein "faires" Abkommen anbieten.

Der scheidende französische Präsident François Hollande erklärte in Paris, Europa setze auf eigene Interessen und Werte: "Es braucht keine Ratschläge von außen, was es tun sollte." Hollande äußerte sich bei der Verleihung des höchsten französischen Ordens an die scheidende US-Botschafterin in Paris, Jane Hartley.

US-Außenminister John Kerry verteidigte die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel: Es sei unangebracht, dass sich Trump in die Politik anderer Staaten so direkt einschalte, sagte Kerry am Montag dem Fernsehsender CNN. Trump hatte Merkels Flüchtlingspolitik als "katastrophalen Fehler" bezeichnet. Kerry dagegen sagte nun: "Ich denke, dass sie sehr mutig war." Zwar habe es in Deutschland Probleme gegeben. Dies gelte aber für jedes große westliche Land, das Werte und Prinzipien habe und notleidenden Menschen helfe.

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