Süddeutsche Zeitung

Bundeskanzlerin Merkel in Afrika:Merkel zu Besuch am Ende der Träume

Durch Niger führt die wichtigste Transitroute afrikanischer Migranten auf dem Weg zum Mittelmeer. Die Kanzlerin besucht dort ein Lager, in dem jene auf die Heimkehr vorbereitet werden, die es nicht geschafft haben.

Von Nico Fried, Niamey

Bitan ist 23. Eine kleine Frau mit einem Säugling im Arm. Vor fünf Jahren, sagt sie, habe sie Monrovia verlassen, die Hauptstadt Liberias, an der Westküste Afrikas. Sie hatte dort einen kleinen Laden, handelte mit Kleidern und Schuhen, verdiente aber kaum genug Geld, um sich und einen Sohn durchzubringen. Im Fernsehen, so erzählt sie, habe sie damals Bilder vom Leben in Europa gesehen. Das wollte sie auch.

Sie verkaufte ihren Laden, nahm ihr Erspartes dazu, womöglich noch ein wenig Hilfe von Verwandten, und zog los. Den Sohn ließ sie bei einer Familie in Monrovia, seit fünf Jahren hat sie nichts mehr von ihm gehört. Und er nichts von ihr. Das Geld gab sie irgendwelchen Leuten, die ihr versprachen, sie durch Nordafrika bis zum Mittelmeer zu bringen. Irgendwo in Libyen war der Weg nach Europa zu Ende. Und das Geld auch. Bitan erzählt, sie sei in einem Lager eingesperrt gewesen, man habe sie schlecht behandelt. Von einem anderen Liberianer wurde sie schwanger, gerade noch rechtzeitig kamen beide zusammen nach Niger, in der Hauptstadt Niamey brachte sie im September im siebten Monat per Notoperation eine Tochter auf die Welt.

Bitan ist einer von 150 000 Menschen, die in einem Jahr durch Niger gezogen sind

Mittlerweile lebt Bitan mit ihrem Lebensgefährten und der kleinen Jocelyne in einem Auffanglager der International Organisation for Migration (IOM) in Niamey. Die IOM ist eine Organisation, die 1951 gegründet wurde, um europäischen Regierungen im Umgang mit Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg zu helfen. Heute hat sie 165 Mitgliedstaaten, 400 Büros in aller Welt und 9000 Mitarbeiter. 120 davon arbeiten derzeit in Niger. Und einige kümmern sich in Niamey um Bitan und ihre Tochter. An diesem Tag erzählt sie immer und immer wieder ihre Geschichte. Erst den deutschen Journalisten. Dann der deutschen Bundeskanzlerin. Bitan berichtet schnell, fast emotionslos, in einem Englisch mit hartem Akzent. Jocelyne wandert vom Arm einer Betreuerin zum nächsten und schläft.

Angela Merkel ist an diesem Montag für einige Stunden in Niger. Durch den westafrikanischen Staat führt die wichtigste Route für Migranten aus den west- und den zentralafrikanischen Staaten. 80 bis 90 Prozent ziehen durch Niger nach Norden, 150 000 laut Schätzungen allein im vergangenen Jahr. Das Land, das als eines der ärmsten der Welt gilt, erfährt seit der Flüchtlingskrise erhöhte Aufmerksamkeit. Die Europäische Union hat Hilfe zugesagt, Deutschland, Frankreich und Italien wollen in zusätzlichen Migrationspartnerschaften helfen, den Zug nach Norden einzudämmen.

Es ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Niger soll mehr Entwicklungshilfe bekommen, den Schleppern sollen alternative Erwerbsmöglichkeiten geboten werden. 17 Millionen Euro hat Merkel zuvor in einer Pressekonferenz mit dem Präsidenten Nigers für neue Jobs zugesagt. Weitere 60 Millionen, wenn das Programm gut läuft. Ohne diese Hilfe könne man von den Menschen nicht erwarten, dass sie die Schlepperei von Migranten aufgäben, so die Kanzlerin. Von der Regierung aber erwarten die Europäer auch staatliche Maßnahmen gegen die Schleuser. Es sei gut, so Merkel, dass Niger die Schlepperei mittlerweile zu einer Straftat erklärt habe.

Manche Migranten schaffen es vor allem von Libyen aus nach Europa, viele ertrinken im Mittelmeer. Andere schlagen sich als Tagelöhner durch, viele landen in Zwangsarbeit. Und manche kehren um. In einem Auffanglager der IOM endet für viele der Traum von Europa. Ihre Reise aber ist hier noch nicht zu Ende.

Vier Auffanglager betreibt die IOM in Niger. Die meisten Migranten landen in Agadez und Arlit, nordöstlich der Hauptstadt Niamey. In den vergangenen zwei Jahren haben 5480 Migranten hier Schutz gefunden, die meisten nachdem sie in Libyen oder Algerien nicht mehr weitergekommen waren und keinen Job mehr gefunden hatten. Um Geld zu verdienen. Um neue Schlepper zu bezahlen.

Auf einer kleinen Informationstafel steht, was die Migranten bekommen, wenn sie in einem der Lager eintreffen. Eine Matratze, eine Decke, ein Leintuch. Waschzeug, ein Zahnbürste, 30 Gramm Waschmittel, ein Deodorant. Sie können nach Hause telefonieren, für manche kein leichtes Unterfangen, weil sie den Verwandten sagen müssen, dass ihre Reise in den Wohlstand gescheitert ist. Die IOM bietet kleine Kurse an, um den Migranten den Start in ihrer alten Heimat zu erleichtern. Wer besonders gelitten hat, bekommt psychologische Hilfe. Und die IOM bezahlt die Heimreise.

Merkel ist sichtlich beeindruckt

Marine ist eine junge Französin. Sie arbeitet seit eineinhalb Jahren für die IOM. Geduldig übersetzt sie die Geschichten der Migranten, gibt Auskunft über die Arbeit ihrer Organisation. Bevor sie nach Niger ging, arbeitete sie in Wien für ein Projekt zum Schutz osteuropäischer Kinder, die von Menschenhändlern geschmuggelt wurden, vermutlich auch nach Deutschland. Schlepperei ist kein afrikanisches Phänomen.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat sich vor einigen Monaten schon ein Bild von der Arbeit des IOM gemacht. Entwicklungsminister Gerd Müller hat im Sommer das Auffanglager in Agadez besucht. Jetzt ist Merkel da - und sichtlich beeindruckt. Die Bundesregierung will auch die Mittel für die IOM aufstocken, um zehn bis 15 Millionen Euro im kommenden Jahr. Die Migranten, die heimkehren nach Liberia oder Guinea, in den Senegal oder nach Kamerun, sollen den Menschen dort von ihren Erfahrungen erzählen. Davon, wie schwer es ist, nach Europa zu kommen.

Ob es hilft? Einer der jungen Männer, mit denen Merkel spricht, erzählt ihr, wie er nach seiner Umkehr andere Migranten traf. Sie blieben von seinen Erzählungen unbeeindruckt. Er sei eben nicht clever genug gewesen, um durchzukommen, hätten sie gesagt. Sie würden es schon schaffen.

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