Süddeutsche Zeitung

Bundeskanzlerin im ARD-Interview:Merkel verteidigt Waffenlieferungen an Kurden

"Ein Ausnahmefall, bei dem ein Völkermord vor aller Augen verübt wird": Kanzlerin Merkel sieht in den geplanten Waffenlieferungen an Kurden im Irak keinen Kurswechsel ihrer Regierung. Beim Koalitionspartner SPD gibt es hingegen Warnungen vor einem "Tabubruch".

  • IS-Miliz im Irak: Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigt im ARD-Sommerinterview die geplanten Waffenlieferungen an die Kurden im Norden des Landes, sie betont bei den Lieferungen handele es sich um einen "Ausnahmefall". In der SPD sind die Waffenlieferungen umstritten.
  • Nahostkonflikt: Die Kanzlerin betont das Recht Israels sich zu verteidigen, Merkel sieht vor allem Katar in der Verantwortung, Einfluss auf die Hamas zu nehmen.
  • Krise in der Ostukraine: Merkel warnt vor zu großen Erwartungen an das Treffen von Russlands Präsident Putin und dem Präsidenten der Ukraine Poroschenko.

Bundeskanzlerin verteidigt geplante Waffenlieferungen in den Nordirak

Deutschland könne sich angesichts der Bedrohung der religiösen Minderheiten "nicht einfach abseits stellen", sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel in dem Interview für die ARD-Sendung "Bericht aus Berlin". Im Nordirak gebe es einen "Ausnahmefall, bei dem ein Völkermord vor aller Augen verübt wird", so Merkel weiter. Spekulationen über einen generellen Kurswechsel bei Rüstungsexporten tritt Merkel entgegen.

Die Entscheidung der Regierung für Waffenlieferungen sei "nach sorgsamer Abwägung" getroffen worden. Waffenlieferungen auch an die in Deutschland verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) der türkischen Kurden werde es nicht geben.

Deutsche Kampftruppen im Irak schließt Merkel explizit aus. Anders stellt sich die Lage für Militärberater dar: Eine Einweisung kurdischer Kämpfer in deutsche Waffen sei möglich, so die Kanzlerin. Doch müsse dies nicht unbedingt im Irak stattfinden.

Details der geplanten Waffenlieferungen sowie ein Terminplan dafür stehen bislang nicht fest. Verteidigungsministerium und Auswärtiges Amt sollen dazu in der kommenden Woche Vorschläge machen. Der Bundestag debattiert am 1. September in einer Sondersitzung über die Waffenlieferungen.

Waffenlieferungen in der SPD umstritten

Beim Koalitionspartner SPD ist der Beschluss zu Waffenlieferungen umstritten. Der SPD-Vizevorsitzende Ralf Stegner hatte als Einziger in der Parteiführung dagegen votiert. Er sieht sich allerdings mit seinem Nein zu deutschen Waffenlieferungen in den Irak in der Partei nicht isoliert.

"Nach allem, was mir bekannt ist, gibt es auch viele in der SPD, die meine Bedenken teilen. Eine kleine Minderheit ist das jedenfalls nicht", sagte Stegner der Saarbrücker Zeitung. Stegner forderte, die SPD dürfe es Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nicht durchgehen lassen, "wenn sie den Konflikt im Irak zum Anlass nimmt, einem generellen militärischen Tabubruch das Wort zu reden".

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sagte hingegen: "Angesichts der wirklich dramatischen Entwicklung gibt es in der Partei Verständnis dafür, dass Deutschland im Geleitzug anderer europäischer Nationen den Widerstand der Kurden gegen den Vormarsch der Terrormiliz IS unterstützen muss", sagte Nahles der Rheinischen Post aus Düsseldorf. "Gleichzeitig gibt es unter den Mitgliedern ein erhebliches Diskussionsbedürfnis. Jeder Schritt muss begründet und nachvollziehbar sein." Deshalb sei auch die Regierungserklärung von Frau Merkel so wichtig." Diese ist für kommenden Mittwoch geplant.

Merkel sieht bei der Lösung des Nahostkonflikts Katar in der Verantwortung

Im Nahostkonflikt stellt sich die Kanzlerin klar hinter Israel und betonte dessen Recht auf Selbstverteidigung: "Israel muss erst einmal sicherstellen, dass die eigenen Bürger nicht Opfer von Raketenangriffen sind." Auf die Lage im Palästinensergebiet angesprochen, sagt die Kanzlerin: "Die Situation in Gaza ist dramatisch, keine Frage. Doch für einen Waffenstillstand braucht es zwei Seiten." Mehrmals sei die vereinbarte Feuerpause gebrochen worden.

Der radikalislamischen Hamas wirft Merkel vor, "auf perfide Art und Weise" Zivilisten mit Militäraktionen zu verknüpfen und so für viele zivile Opfer zu sorgen.

In besonderer Verantwortung sieht Merkel Katar. Hamas-Chef Chaled Maschal halte sich in dem Emirat auf. "Deshalb hat Katar hier sicher auch die Möglichkeit einzuwirken." Sie fordere, dass Katar die Bemühungen um eine Gesprächslösung unterstütze "und nicht in eine ganz andere Richtung arbeitet".

Israel war am Wochenende von drei Seiten unter Raketenbeschuss geraten. Während die Palästinenser ihre Angriffe aus dem Gazastreifen fortsetzten, schlugen auch Geschosse aus dem Libanon und aus Syrien ein. Damit wuchs die Befürchtung, dass der Konflikt auf weitere Teile der Region übergreift.

Kanzlerin dämpft Erwartungen an Treffen von Putin und Poroschenko in Minsk

Merkel warnt im Ukraine-Konflikt vor übersteigerten Erwartungen an das Gipfeltreffen der Präsidenten von Russland und der Ukraine, Wladimir Putin und Petro Poroschenko. Das Treffen am Dienstag im weißrussischen Minsk werde "sicherlich noch nicht den Durchbruch bringen", sagte die CDU-Vorsitzende.

Merkel hatte am Samstag in Kiew Poroschenko getroffen. "Man muss miteinander sprechen, wenn man Lösungen finden will", sagte die Kanzlerin. Sie sei fest davon überzeugt, dass nur eine politische Lösung möglich sei. "Eine militärische Lösung dieses Konfliktes wird es nicht geben."

Auf die Frage, ob sie mit einer russischen Invasion in der Ukraine rechne, antwortete Merkel: "Die Lage ist sehr fragil, das muss man sagen." Sie wolle keine Prognosen anstellen, sondern das in ihrer Macht stehende tun, um Lösungen für Meinungsverschiedenheiten zu finden.

Pkw-Maut und BND-Spionage

Am Sonntag flammte der Streit um die von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) erarbeitete Pkw-Maut wieder auf. Vor diesem Hintergrund sagte Merkel im Interview, sie wolle das Ergebnis der EU-Kommission abwarten, die derzeit prüft, ob Dobrindts Konzept gegen Europarecht verstößt. "Dann diskutieren wir in Ruhe weiter", sagte die CDU-Vorsitzende. "Es wird sicher eine muntere Diskussion geben, aber wir stehen alle zum Koalitionsvertrag." Darin sei festgelegt, dass es keine zusätzlichen Belastungen für deutsche Autofahrer geben dürfe.

Angesprochen auf die jüngsten Enthüllungen zu BND-Tätigkeiten wollte Merkel sich nicht im Detail äußern. Sie sagte lediglich, der Bundesnachrichtendienst müsse nach außen sicher stellen, dass Deutschland alle sicherheitsrelevanten Informationen erhalte.

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