Angela Merkel war nicht mehr in Moskau seit dem "versuchten Giftmord" an Alexej Nawalny - das waren damals ihre Worte. Sie gab dem Kreml die Schuld an dem Anschlag, besuchte den Oppositionellen in Berlin an seinem Krankenbett. Beides dürfte Wladimir Putin ihr gründlich übelgenommen haben. Der russische Präsident reagiert bis heute äußerst gereizt, wenn er auf Nawalny angesprochen wird. Merkel kommt nun ausgerechnet am Jahrestag der Vergiftung nach Moskau. Der "ungelöste Fall" Nawalny, stellte ihr Sprecher Steffen Seibert bereits klar, belaste die Beziehungen weiterhin schwer.
Die Antwort aus dem russischen Außenministerium folgte prompt, sie war lang, beinhaltete aber wenig Neues. Das Ministerium klagte, die ganze Sache sei eine "im Voraus geplante Provokation" gewesen, um Russland international zu diskreditieren. Es warf dem Westen "aggressive Propaganda" vor - die in Berlins Behauptung gipfele, dass sich "der russische Staat an der Vergiftung von Herrn Nawalny schuldig gemacht" habe. Moskau hat die Sache von Anfang an als Verleumdungskampagne dargestellt.
Dabei hatten Experten der Bundeswehr sowie schwedische und französische Spezialisten den Nervenkampfstoff Nowitschok in Nawalnys Proben nachgewiesen. Und die Behauptung des Kremls, Deutschland habe alle seine Rechtshilfegesuche ignoriert, ist schlicht nicht wahr. Dass die Regierung in Moskau nun erneut so lautstark über einen angeblich künstlich erzeugten "Hype" um Nawalny klagt, beweist auch, wie sehr die Aufmerksamkeit für den Oppositionellen sie nerven muss.
Die USA wollen, dass Merkel ihren Einfluss in Moskau nutzt
In diesem Klima also trifft sich Putin zum letzten Mal mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel, das Treffen ist nicht nur ein Abschiedsbesuch. Natürlich wird Merkel Nawalny ansprechen, der nach einem politisch motivierten Verfahren im Straflager sitzt, während immer noch kein Strafverfahren gegen seine Attentäter eingeleitet ist. Es ist nicht ihr einziges Anliegen: Merkel muss mit Putin zudem über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 sprechen. Die Bundeskanzlerin muss den Kremlchef davon überzeugen, trotz der neuen Pipeline auch jene durch die Ukraine weiter zu nutzen - und zwar über das Jahr 2024 hinaus.
So jedenfalls sieht es der Kompromiss vor, den Berlin und Washington im Streit um die Pipeline erzielt haben. Die USA wollen, dass Merkel ihren Einfluss in Moskau nutzt, um die negativen Folgen der Pipeline für die Ukraine zu mindern. Im Gegenzug bedrohen sie die Betreibergesellschaft von Nord Stream 2 nicht mehr mit Sanktionen. Moskau dagegen ist natürlich daran gelegen, die Ukraine so bald wie möglich zu umgehen und Gas nach Europa zu liefern, ohne Transitgebühren an Kiew zu zahlen.
Die russische Seite scheint nicht allzu besorgt zu sein, was das Pipeline-Projekt angeht - in Moskau gilt es als vielleicht letztes positives Beispiel in den deutsch-russischen Beziehungen. "Verschiedene politische Holprigkeiten wie Nawalny haben im Vergleich zu Nord Stream keine Bedeutung für die Geschichte", sagte Timofej Bordatschow, Außenpolitikexperte der Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta. Merkel habe ihre wirtschaftlichen Verpflichtungen erfüllt und das Nord-Stream-2-Problem mit den USA gelöst. Die Kanzlerin komme so "guten Gewissens nach Russland".
Libyen, Syrien und jetzt Afghanistan - Putin hat sich als Ansprechpartner unverzichtbar gemacht
Es sind natürlich längst nicht alle Probleme gelöst. Angela Merkel hat nicht nur deswegen so viel Zeit mit Putin verbracht, weil der schon im Kreml saß, als sie Bundeskanzlerin wurde. Der russische Präsident hat es vor allem in den letzten Jahren verstanden, sich zum unvermeidbaren Ansprechpartner in diversen regionalen Konflikten zu machen, in Libyen, in Syrien. Jetzt wird es bei den Gesprächen sicher auch um Afghanistan gehen. Moskau hat Kontakt zu den Taliban.
Die Problemliste, so scheint es, wird mit jedem Treffen länger. Merkel weiß, dass allein Putin noch Einfluss nehmen kann auf den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko. Der Friedensplan, die sie einst mit dem Kremlchef für die Ostukraine ausgehandelt hat, funktioniert bis heute nicht, auch weil Putin seit Jahren nicht einlenkt. Viel geredet, wenig erreicht, das ist vielleicht die Bilanz für Angela Merkel nach diesem Treffen. Man darf - noch einmal - deutliche Worte von ihr erwarten, als Signal an Putin, aber vielleicht auch als Wegweiser für ihren Nachfolger.