Europäische Union:Wie Scholz den Westbalkan doch noch in die EU holen will

Europäische Union: "Ganz konkrete Dinge": Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) - hier am Samstag bei der Ankunft in Sofia - plant offenbar eine Reise in die Ukraine.

"Ganz konkrete Dinge": Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) - hier am Samstag bei der Ankunft in Sofia - plant offenbar eine Reise in die Ukraine.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Der Bundeskanzler will einen "neuen Anlauf" nehmen - und läuft bei seiner Reise durch Kosovo, Serbien, Nordmazedonien und Bulgarien zumindest einmal mit Anlauf gegen die Wand.

Von Daniel Brössler, Pristina/Belgrad/Thessaloniki/Skopje/Sofia

Wenige Augenblicke, bevor die Limousine mit dem deutschen Bundeskanzler heranrollt, tritt ein serbischer Soldat in Aktion. Zum Podest, auf dem Olaf Scholz und sein Gastgeber Aleksandar Vučić gleich der deutschen und der serbischen Nationalhymne lauschen werden, führt ein kleines Treppchen hinauf, das der - nicht ganz schlanke - Soldat nun mit zwei schnellen Hüpfern prüft. Dann läuft er über das Podest zu dem Treppchen, das wieder hinabführt. Der Soldat hüpft, die Treppe hält.

Knapp drei Stunden ist Scholz während seiner zweitägigen Balkan-Tour in Serbien zu Gast. Drei Stunden, in denen nichts schiefgehen soll und nichts dem Zufall überlassen bleibt. Der Besuch eines Bundeskanzlers in einem Land wie Serbien ist ein Ereignis, das vom Fernsehen Minute für Minute live übertragen wird und dessen Bedeutung niemand prägnanter auf den Punkt bringt als Gastgeber Vučić.

Europäische Union: Stationen einer Reise: Scholz mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić in Belgrad ...

Stationen einer Reise: Scholz mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić in Belgrad ...

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

"Selbstverständlich bin ich der Staatspräsident eines Staates, dem es viel wichtiger ist, mit dem deutschen Bundeskanzler zu reden, als es dem deutschen Bundeskanzler wichtig wäre, mit mir zu reden", beginnt Vučić die Pressekonferenz im sehr weitläufigen und recht jugoslawischen Präsidentenpalast. Scholz, der neben dem Lulatsch Vučić noch ein gutes Stück kürzer wirkt als gewöhnlich, lauscht ungerührt der Übersetzung, ahnt aber mutmaßlich nicht erst jetzt, dass Ungemach droht.

Vučić bedankt sich bei seinem Gast, dann tadelt und belehrt er ihn

Fünf Stationen in zwei Tagen absolviert Scholz. Ein "neuer Anlauf" soll das sein für den seit Jahren nicht enden wollenden Weg der Westbalkan-Staaten in die EU. 2003 in Thessaloniki hatten die Staats- und Regierungschefs der EU versprochen: "Die Zukunft der Balkanstaaten liegt in der Europäischen Union." Knapp 20 Jahre später ist der Glaube daran in der Region deutlich geschwunden. Der Kanzler ist gekommen, das zu ändern. "Es wird Zeit, dass diesem Versprechen Taten folgen", wird er am nächsten Tag in Nordmazedonien sagen. Hier und jetzt, im Präsidentenpalast von Belgrad, muss Scholz allerdings erst einmal erleben, wie schnell man in dieser Gegend auch mal mit Anlauf gegen die Wand rennt.

In seinem halben Jahr im Amt hat Scholz schon eine Menge erlebt, aber diese Art von rhetorischer Achterbahnfahrt, auf die ihn sein Gastgeber gleich mitschleifen wird, eher nicht. Vučić bedankt sich "ganz herzlich" für Hilfsangebote des Kanzlers. Er habe auch "tatsächlich" eine EU-Erweiterungsperspektive mitgebracht, preist Vučić den Kanzler und lobt: "Es ist nicht so wie in der Vergangenheit. Das ist eine wichtige Botschaft für uns alle auf dem Westbalkan." Dann wieder tadelt er seinen Gast, belehrt ihn, dass Serbien auf so etwas wie Druck nicht reagiere.

Europäische Union: ... im Regen von Pristina, der Hauptstadt Kosovos ...

... im Regen von Pristina, der Hauptstadt Kosovos ...

(Foto: Visar Kryeziu/AP)

Scholz ist aus Pristina, der Hauptstadt Kosovos, nach Belgrad gekommen, wo er auf den Umstand hingewiesen hatte, dass nicht vorstellbar sei, "dass zwei Länder, die sich gegenseitig nicht anerkennen, Mitglieder der EU werden". Hätte der Kanzler die Entdeckung eines neuen Sonnensystems verkündet, der serbische Präsident hätte darauf kaum verblüffter reagiert. "Das haben wir bis dato noch nie gehört", sagt er, "wir haben bisher von keinem aus Europa gehört, dass gegenseitige Anerkennung verlangt wird." Er habe, entgegnet Scholz lapidar, "etwas gesagt, das offensichtlich ist; vielleicht hilft das ja".

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(Foto: SZ-Karte/Mapcreator.io/HERE)

Eher nicht. Ihn überrasche das ja nicht, bemerkt Vučić spitz, die Lage ändere sich ja unablässig "zulasten oder zum Schaden von Serbien". Auch auf den Wunsch von Scholz, Serbien möge sich den Sanktionen gegen Russland anschließen, reagiert Vučić ausweichend. Zu berücksichtigen sei die "Besonderheit der Situation im Zusammenhang mit Kosovo und auch bezüglich der Energiebeziehungen und der traditionellen Beziehungen mit der Russischen Föderation". Kürzlich hat der Serbe mit Kremlchef Wladimir Putin telefoniert. Danach konnte er verkünden, Serbien erhalte für drei weitere Jahre Gas aus Russland - zu einem "äußerst günstigen" Preis.

Als Scholz am Abend ausgerechnet in Thessaloniki mit Staats- und Regierungschefs aus der Region zu Abend speist, kann er nur hoffen, dass Vučić es trotzdem ernst meint mit der Annäherung an die EU. Für den Herbst will Scholz zu einer großen Konferenz nach Berlin laden. So möchte der Kanzler den einst von seiner Vorgängerin ersonnenen "Berliner Prozess" wieder in Gang kriegen, der die Balkanstaaten dazu bewegen soll, in ganz praktischen Dingen zusammenzuarbeiten. Als Übung gewissermaßen für den Beitritt zur EU, der dann aber auch real werden soll. Scholz macht das nun zu seiner Sache. Er wolle sich "persönlich" dafür einsetzen, dass "nicht irgendwann in einer ganz fernen Zukunft, sondern so schnell wie möglich" die Aufnahme der Westbalkan-Staaten Wirklichkeit werde. Vor einer Zeitangabe hütet sich der Kanzler, außer der, dass es natürlich "nicht in sechs Monaten" gehen werde.

Die zugesagten Beitrittsverhandlungen müssen jetzt beginnen", verspricht Scholz

Am Samstagmorgen in Skopje an der Seite des nordmazedonischen Ministerpräsidenten Dimitar Kovačevski wird Scholz dann aber doch konkret. Am 23. Juni beim EU-Gipfel steht die Entscheidung an, ob die Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien nach langem Hinhalten beginnen können. Die Nordmazedonier hätten "sehr hart gearbeitet" und müssten nun endlich auch die Ernte einfahren können, sagt Scholz. "Die vor zwei Jahren fest zugesagten Beitrittsverhandlungen müssen jetzt beginnen. Ich werde mich jedenfalls dafür starkmachen", verspricht er. Tatsächlich haben die Mazedonier nicht nur alle von der EU aufgestellten Kriterien für den Verhandlungsstart erfüllt, sie haben auch noch ihren Landesnamen in Nordmazedonien geändert, weil Griechenland auf "Mazedonien" die älteren Rechte anmeldet.

"Hier hat es das gegeben, was in der Politik oft vermisst wird, nämlich politische Führung und die Bereitschaft, etwas zu wagen", lobt Scholz, der natürlich weiß, dass das Wagnis Kovačevskis Vorgänger Zoran Zaev seinen Job gekostet hat und dann zwar Griechenland, aber nicht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erweichen konnte. Kovačevski entscheidet sich, den Besuch von Scholz als "grünes Licht" zu werten, was allerdings - wie alle in Nordmazedonien wissen - nicht ganz stimmt. Nun ist es, als wohl letztes Land, Bulgarien, das den Start der Beitrittsverhandlungen blockiert. Ein ärgerlicher Umstand, der Scholz nach einem halbstündigen Flug über die Berge des Balkan nach Sofia in ein etwas byzantinisch anmutendes Regierungsgebäude führt.

Europäische Union: ... und mit dem bulgarischen Ministerpräsidenten Kiril Petkow in Sofia.

... und mit dem bulgarischen Ministerpräsidenten Kiril Petkow in Sofia.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Das Pech will es, dass die bulgarische Regierung gerade von einer Krise erschüttert wird und ein Entgegenkommen in Sachen Nordmazedonien Ministerpräsident Kiril Petkow seine Mehrheit zu kosten scheint. Die populistische Partei ITN des Entertainers Slawi Trifonow hat ihre vier Minister aus der Vier-Parteien-Regierung zurückgezogen. Der Streit ist kompliziert, dreht sich aber im Kern um die Frage, wie und wann Nordmazedonien die bulgarische Minderheit als "konstituierende Nation" in ihrer Verfassung verankert. Scholz scheint dafür keine Lösung mitgebracht zu haben und in Sofia auch keine zu hören. So ringt er sich in der Pressekonferenz mit Petkow leicht ermattet nur noch zu einer "ganz, ganz vorsichtigen Zuversicht" durch, "dass wir Fortschritte machen". Kurz vor dem Rückflug nach Berlin klingt das ganz so, als sei Scholz auf dem Balkan angekommen.

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