Süddeutsche Zeitung

Bundeshaushalt 2021:Eine Lücke von 96 Milliarden Euro

Statt mit einer schwarzen Null plant Bundesfinanzminister Olaf Scholz erstmals mit neuen Schulden - etwa 86 Milliarden Euro mehr, als die Schuldenbremse eigentlich erlaubt. Gespart wird frühestens nach der Bundestagswahl. Schuld ist das Coronavirus.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Das Coronavirus hat die Bundesregierung zu einer abrupten Kehrtwende in der Haushaltsplanung gezwungen. Statt mit einer schwarzen Null unterm Strich plant Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) im kommenden Jahr mit 96,2 Milliarden Euro neuen Schulden, um die Folgekosten der Pandemie zu zahlen. Das sind rund 86 Milliarden Euro mehr, als die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse erlaubt. Ab 2026 sollen die neuen Schulden über 17 Jahre wieder getilgt werden.

Die Bundesregierung zeigte sich am Freitag optimistisch, mit dieser Planung gut durch die Krise zu kommen: "Ja, wir schaffen das, wir können das wuppen", hieß es in Berlin, wo Details aus dem Entwurf der Haushalts- und Finanzplanung bekannt wurden. Das Geld diene dazu, trotz der Krise den Strukturwandel zu bewältigen, den Kampf gegen den Klimawandel voranzutreiben sowie Länder und Kommunen zu unterstützen. Allein 2021 würden 55 Milliarden Euro investiert. "Wir setzen nicht den Rotstift an", hieß es.

Das Virus wird auch die Haushaltsplanungen der nächsten Bundesregierung belasten. Voraussichtlich bis 2024, so weit reicht die Finanzplanung, wird die aus der Bundestagswahl 2021 hervorgehende Koalition zusätzliche Milliardenkredite aufnehmen müssen, um die Folgekosten der Pandemie zu bezahlen. Ab 2022 soll dennoch die Schuldenbremse wieder gelten, welche die Neuverschuldung begrenzt. Dazu sei "ein Handlungsbedarf" nötig, hieß es - was übersetzt bedeutet, dass die nächste Regierung entscheiden muss, ob sie massiv spart oder Steuern erhöht, um die Löcher zu stopfen. Die Antwort auf diese Frage wird voraussichtlich den Wahlkampf im nächsten Jahr bestimmen.

Seit Scholz zum Kanzlerkandidaten der SPD ausgerufen worden ist, muss er sich des Vorwurfs erwehren, sich den Wahlsieg erkaufen zu wollen. Friedrich Merz, Bewerber um den Vorsitz der CDU, hatte zuletzt moniert, Scholz "haut zurzeit das Geld raus, als gäbe es kein Morgen mehr". In Berlin hieß es am Freitag dagegen, Scholz passe "gut auf unser Geld auf". Seit 2014 musste der Bund keine zusätzlichen Kredite aufnehmen. Selbst 2015 und in den Folgejahren, als jährlich Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen, musste die Koalition keine neuen Schulden machen, um den Flüchtlingen Schutz zu gewähren und sie zu integrieren.

Dramatische Veränderung der politischen Rituale

Die aktuelle Budgetplanung spiegelt mehrfach wider, wie dramatisch die Pandemie auch politische Rituale verändert. Scholz legt den Haushalt 2021 einige Monate später als üblich vor. Er hat extra die Steuereinnahmen im September außerplanmäßig schätzen lassen, um eine verlässliche Planungsbasis zu bekommen. Weil viele Menschen Jobs verloren haben oder in Kurzarbeit sind und damit Lohneinbußen hinnehmen mussten, weil Unternehmen geschlossen worden sind und Exporte weggebrochen, sind 2020 die Steuereinnahmen so drastisch gesunken wie nie zuvor. Die Wirtschaftskraft wird um voraussichtlich knapp sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr sinken.

Zugleich geben die Bürger weniger Geld für privaten Konsum aus, die Unternehmen zögern, zu investieren. Die Bundesregierung versucht, die Folgen der Pandemie mit einem mehr als 1000 Milliarden Euro umfassenden Hilfs- und Konjunkturpaket zu mildern. Die Hilfen umfassen Zuschüsse, Kredite, Darlehen und Garantien; insgesamt stiegen die Ausgaben des Bundes an. Die Differenz zwischen Einnahmen und geplanten Ausgaben muss auch in den Folgejahren voraussichtlich mit neuen Krediten gefüllt werden. "Wir fahren dabei auf Sicht", hieß es.

Vor der Pandemie hatte Scholz für 2020 und die Folgejahre mit einem ausgeglichenen Haushalt geplant. Das Virus zwang ihn, zwei Nachtragshaushalte für 2020 vorzulegen. Er muss in diesem Jahr knapp 218 Milliarden Euro neue Schulden machen, um die Folgen der Pandemie für Bürger und Wirtschaft zu mildern. Der Haushalt für 2021 ist dann der erste Haushalt, der planmäßig nicht mehr ausgeglichen sein wird. Statt einer schwarzen Null gibt es eine rote 96.

CDU, CSU und SPD, die seit sieben Jahren in großen Koalitionen regieren, hatten bisher nur Haushaltslagen mit Überschüssen kennengelernt. Die Milliardenüberschüsse waren der Kitt, der die Koalition zusammengehalten hat. Ausgerechnet vor dem Wahljahr klaffen nun Haushaltslöcher. Doch von Sparen ist bisher nicht die Rede, im Gegenteil: Gerade jetzt sind viele Geldtöpfe extra wegen Corona gut gefüllt worden.

Einige Minister haben die Großzügigkeit in der Pandemie für eigene Spezialprojekte genutzt, um höhere Zuschüsse herauszuhandeln. Besonders bedürftig sind Minister, die Sozialkassen zu verwalten haben. Im Ressort von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) steigen die Sozialausgaben coronabedingt auf einen Pik von 255 Milliarden Euro; danach sollen sie sinken. Die Bundesagentur für Arbeit soll weitere 3,2 Milliarden Euro bekommen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) darf mit zusätzlich fünf Milliarden Euro rechnen.

Auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) soll einige Hundert Millionen Euro zusätzlich erhalten. Das hat nichts mit Corona zu tun, sondern mit dem Versprechen der Bundesregierung, die Rüstungsausgaben bis 2024 auf einen Richtwert von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Der Wert soll 2021 bei rund 1,6 Prozent liegen. Das Bundeskabinett soll die Budget- und Finanzplanung am kommenden Mittwoch beschließen, danach berät das Parlament.

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SZ vom 19.09.2020/mcs
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